Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Aeußeren nicht sonderlich verändert. Der tadellose Wuchs,
die eigenthümlich stolzen und doch geschmeidigen Gliederbewe¬
gungen waren ihr geblieben; aber aus ihrem Antlitz, das trotz
der weißen Schminke noch immer schön genannt werden konnte,
war alles Milde und Liebliche verschwunden, und ein herrsch¬
süchtiger, rücksichtsloser, durch das herannahende Alter gereizter
und erbitterter Wille hatte sich mit fast verletzender Schärfe
in jedem einzelnen Theile ausgeprägt. Einen noch traurigern
Anblick bot Rödern. Er war vor der Zeit grau geworden;
seine Haltung erschien nachlässig und gebückt, während in
seinen schlaffen Zügen ein unsäglich öder, trostloser Ausdruck
von stummer Duldung und verbissenen Qualen lag, den der
sorgfältig gepflegte dünne Bart und das kunstvoll gescheitelte
Haar nur noch deutlicher hervorhoben. Mit scheuer, ver¬
drossener Lüsternheit blickte er von der Seite nach dem jungen
großäugigen Geschöpfe, das, ein dünnes Korallenschnürchen
um den bräunlichen Hals, vor seiner Begleiterin stand. Er
schien froh zu sein, als diese endlich eine Anzahl kleiner
Sträuße ausgewählt und mit unangenehmem Lächeln mehrere
Silbermünzen in den Korb des Mädchens geworfen hatte. --

Der Ausspruch von damals hatte sich also erfüllt: "er
war ihr verfallen mit Leib und Seele!" Wie ernst, wie
furchtbar sind doch die Verkettungen des Lebens! So dacht'
ich, während die Erinnerungen jener Mondnacht in mir auf¬
leuchteten, und konnte mich nicht enthalten, den Beiden bis

Aeußeren nicht ſonderlich verändert. Der tadelloſe Wuchs,
die eigenthümlich ſtolzen und doch geſchmeidigen Gliederbewe¬
gungen waren ihr geblieben; aber aus ihrem Antlitz, das trotz
der weißen Schminke noch immer ſchön genannt werden konnte,
war alles Milde und Liebliche verſchwunden, und ein herrſch¬
ſüchtiger, rückſichtsloſer, durch das herannahende Alter gereizter
und erbitterter Wille hatte ſich mit faſt verletzender Schärfe
in jedem einzelnen Theile ausgeprägt. Einen noch traurigern
Anblick bot Rödern. Er war vor der Zeit grau geworden;
ſeine Haltung erſchien nachläſſig und gebückt, während in
ſeinen ſchlaffen Zügen ein unſäglich öder, troſtloſer Ausdruck
von ſtummer Duldung und verbiſſenen Qualen lag, den der
ſorgfältig gepflegte dünne Bart und das kunſtvoll geſcheitelte
Haar nur noch deutlicher hervorhoben. Mit ſcheuer, ver¬
droſſener Lüſternheit blickte er von der Seite nach dem jungen
großäugigen Geſchöpfe, das, ein dünnes Korallenſchnürchen
um den bräunlichen Hals, vor ſeiner Begleiterin ſtand. Er
ſchien froh zu ſein, als dieſe endlich eine Anzahl kleiner
Sträuße ausgewählt und mit unangenehmem Lächeln mehrere
Silbermünzen in den Korb des Mädchens geworfen hatte. —

Der Ausſpruch von damals hatte ſich alſo erfüllt: „er
war ihr verfallen mit Leib und Seele!“ Wie ernſt, wie
furchtbar ſind doch die Verkettungen des Lebens! So dacht'
ich, während die Erinnerungen jener Mondnacht in mir auf¬
leuchteten, und konnte mich nicht enthalten, den Beiden bis

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0287" n="271"/>
Aeußeren nicht &#x017F;onderlich verändert. Der tadello&#x017F;e Wuchs,<lb/>
die eigenthümlich &#x017F;tolzen und doch ge&#x017F;chmeidigen Gliederbewe¬<lb/>
gungen waren ihr geblieben; aber aus ihrem Antlitz, das trotz<lb/>
der weißen Schminke noch immer &#x017F;chön genannt werden konnte,<lb/>
war alles Milde und Liebliche ver&#x017F;chwunden, und ein herr&#x017F;ch¬<lb/>
&#x017F;üchtiger, rück&#x017F;ichtslo&#x017F;er, durch das herannahende Alter gereizter<lb/>
und erbitterter Wille hatte &#x017F;ich mit fa&#x017F;t verletzender Schärfe<lb/>
in jedem einzelnen Theile ausgeprägt. Einen noch traurigern<lb/>
Anblick bot Rödern. Er war vor der Zeit grau geworden;<lb/>
&#x017F;eine Haltung er&#x017F;chien nachlä&#x017F;&#x017F;ig und gebückt, während in<lb/>
&#x017F;einen &#x017F;chlaffen Zügen ein un&#x017F;äglich öder, tro&#x017F;tlo&#x017F;er Ausdruck<lb/>
von &#x017F;tummer Duldung und verbi&#x017F;&#x017F;enen Qualen lag, den der<lb/>
&#x017F;orgfältig gepflegte dünne Bart und das kun&#x017F;tvoll ge&#x017F;cheitelte<lb/>
Haar nur noch deutlicher hervorhoben. Mit &#x017F;cheuer, ver¬<lb/>
dro&#x017F;&#x017F;ener Lü&#x017F;ternheit blickte er von der Seite nach dem jungen<lb/>
großäugigen Ge&#x017F;chöpfe, das, ein dünnes Korallen&#x017F;chnürchen<lb/>
um den bräunlichen Hals, vor &#x017F;einer Begleiterin &#x017F;tand. Er<lb/>
&#x017F;chien froh zu &#x017F;ein, als die&#x017F;e endlich eine Anzahl kleiner<lb/>
Sträuße ausgewählt und mit unangenehmem Lächeln mehrere<lb/>
Silbermünzen in den Korb des Mädchens geworfen hatte. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Der Aus&#x017F;pruch von damals hatte &#x017F;ich al&#x017F;o erfüllt: &#x201E;er<lb/>
war ihr verfallen mit Leib und Seele!&#x201C; Wie ern&#x017F;t, wie<lb/>
furchtbar &#x017F;ind doch die Verkettungen des Lebens! So dacht'<lb/>
ich, während die Erinnerungen jener Mondnacht in mir auf¬<lb/>
leuchteten, und konnte mich nicht enthalten, den Beiden bis<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0287] Aeußeren nicht ſonderlich verändert. Der tadelloſe Wuchs, die eigenthümlich ſtolzen und doch geſchmeidigen Gliederbewe¬ gungen waren ihr geblieben; aber aus ihrem Antlitz, das trotz der weißen Schminke noch immer ſchön genannt werden konnte, war alles Milde und Liebliche verſchwunden, und ein herrſch¬ ſüchtiger, rückſichtsloſer, durch das herannahende Alter gereizter und erbitterter Wille hatte ſich mit faſt verletzender Schärfe in jedem einzelnen Theile ausgeprägt. Einen noch traurigern Anblick bot Rödern. Er war vor der Zeit grau geworden; ſeine Haltung erſchien nachläſſig und gebückt, während in ſeinen ſchlaffen Zügen ein unſäglich öder, troſtloſer Ausdruck von ſtummer Duldung und verbiſſenen Qualen lag, den der ſorgfältig gepflegte dünne Bart und das kunſtvoll geſcheitelte Haar nur noch deutlicher hervorhoben. Mit ſcheuer, ver¬ droſſener Lüſternheit blickte er von der Seite nach dem jungen großäugigen Geſchöpfe, das, ein dünnes Korallenſchnürchen um den bräunlichen Hals, vor ſeiner Begleiterin ſtand. Er ſchien froh zu ſein, als dieſe endlich eine Anzahl kleiner Sträuße ausgewählt und mit unangenehmem Lächeln mehrere Silbermünzen in den Korb des Mädchens geworfen hatte. — Der Ausſpruch von damals hatte ſich alſo erfüllt: „er war ihr verfallen mit Leib und Seele!“ Wie ernſt, wie furchtbar ſind doch die Verkettungen des Lebens! So dacht' ich, während die Erinnerungen jener Mondnacht in mir auf¬ leuchteten, und konnte mich nicht enthalten, den Beiden bis

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/287
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/287>, abgerufen am 30.04.2024.