Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Geschichte der Sexualtheorie.
Einsicht, so zwar, daß Koelreuter's Bastardiruungen auch jetzt noch,
obgleich seitdem Tausende derartiger Experimente gemacht worden
sind, zu den besten und lehrreichsten zählen. Er war es aber
auch, der zuerst die verschiedenen Einrichtungen innerhalb der
Blüthe in ihrer Beziehung zum Sexualverhältniß sorgfältig stu-
dirte, zuerst die Bedeutung des Nektars und die Mithülfe der
Insecten bei der Bestäubung erkannte und die Ansicht vom
Wesen des Sexualactes als einer Vermischung zweier verschiedener
Materien aufstellte, welche, wenn auch mit namhaften Verän-
derungen, in der Hauptsache jetzt noch als die giltige zu be-
trachten ist.

Vergleicht man Koelreuter's nicht umfangreiche, aber inhalts-
schwere Schriften mit Allem, was seit Camerarius ge-
schrieben worden war, so erstaunt man, nicht nur über die Fülle
neuer Gedanken, sondern noch mehr über die außerordentliche
Klarheit und Durchsichtigkeit derselben und über die Sicherheit
ihrer Begründung durch Experimente und Beobachtung. Bei der
Lectüre von Linne's, Gleichen's, Wolff's Schriften über die
Sexualität tritt man in eine uns längst fremdgewordene, schwer
verständliche Gedankenwelt ein, die nur noch historisches Interesse
darbietet. Koelreuter's Schriften dagegen heimeln uns an, als
ob sie unserer Zeit angehörten; sehr natürlich, weil das Beste,
was wir über die Sexualität wissen, von ihm zuerst ausge-
sprochen worden ist; selbst nach mehr als hundert Jahren sind
seine Schriften nicht als veraltet zu betrachten. Man sieht hier,
wie ein wirklich begabter Denker mit der nöthigen Ausdauer in
wenigen Jahren allein weit mehr leistet, als zahlreiche weniger
begabte Beobachter im Laufe vieler Jahrzehnte. Wie es aber
gerade in solchen Fällen gewöhnlich geschieht und wie es schon
Camerarius erfahren hatte, so geschah es auch hier; es
dauerte viel länger, bis Andere die Bedeutung seiner Arbeiten
schätzen lernten, als er nöthig gehabt hatte, seine Entdeckungen
zu Tage zu fördern.

Koelreuter's wichtigste und bekannteste Schrift kam in
vier Abtheilungen 1761, 1763, 1764, 1766 unter dem Titel:

Geſchichte der Sexualtheorie.
Einſicht, ſo zwar, daß Koelreuter's Baſtardiruungen auch jetzt noch,
obgleich ſeitdem Tauſende derartiger Experimente gemacht worden
ſind, zu den beſten und lehrreichſten zählen. Er war es aber
auch, der zuerſt die verſchiedenen Einrichtungen innerhalb der
Blüthe in ihrer Beziehung zum Sexualverhältniß ſorgfältig ſtu-
dirte, zuerſt die Bedeutung des Nektars und die Mithülfe der
Inſecten bei der Beſtäubung erkannte und die Anſicht vom
Weſen des Sexualactes als einer Vermiſchung zweier verſchiedener
Materien aufſtellte, welche, wenn auch mit namhaften Verän-
derungen, in der Hauptſache jetzt noch als die giltige zu be-
trachten iſt.

Vergleicht man Koelreuter's nicht umfangreiche, aber inhalts-
ſchwere Schriften mit Allem, was ſeit Camerarius ge-
ſchrieben worden war, ſo erſtaunt man, nicht nur über die Fülle
neuer Gedanken, ſondern noch mehr über die außerordentliche
Klarheit und Durchſichtigkeit derſelben und über die Sicherheit
ihrer Begründung durch Experimente und Beobachtung. Bei der
Lectüre von Linné's, Gleichen's, Wolff's Schriften über die
Sexualität tritt man in eine uns längſt fremdgewordene, ſchwer
verſtändliche Gedankenwelt ein, die nur noch hiſtoriſches Intereſſe
darbietet. Koelreuter's Schriften dagegen heimeln uns an, als
ob ſie unſerer Zeit angehörten; ſehr natürlich, weil das Beſte,
was wir über die Sexualität wiſſen, von ihm zuerſt ausge-
ſprochen worden iſt; ſelbſt nach mehr als hundert Jahren ſind
ſeine Schriften nicht als veraltet zu betrachten. Man ſieht hier,
wie ein wirklich begabter Denker mit der nöthigen Ausdauer in
wenigen Jahren allein weit mehr leiſtet, als zahlreiche weniger
begabte Beobachter im Laufe vieler Jahrzehnte. Wie es aber
gerade in ſolchen Fällen gewöhnlich geſchieht und wie es ſchon
Camerarius erfahren hatte, ſo geſchah es auch hier; es
dauerte viel länger, bis Andere die Bedeutung ſeiner Arbeiten
ſchätzen lernten, als er nöthig gehabt hatte, ſeine Entdeckungen
zu Tage zu fördern.

Koelreuter's wichtigſte und bekannteſte Schrift kam in
vier Abtheilungen 1761, 1763, 1764, 1766 unter dem Titel:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0452" n="440"/><fw place="top" type="header">Ge&#x017F;chichte der Sexualtheorie.</fw><lb/>
Ein&#x017F;icht, &#x017F;o zwar, daß Koelreuter's Ba&#x017F;tardiruungen auch jetzt noch,<lb/>
obgleich &#x017F;eitdem Tau&#x017F;ende derartiger Experimente gemacht worden<lb/>
&#x017F;ind, zu den be&#x017F;ten und lehrreich&#x017F;ten zählen. Er war es aber<lb/>
auch, der zuer&#x017F;t die ver&#x017F;chiedenen Einrichtungen innerhalb der<lb/>
Blüthe in ihrer Beziehung zum Sexualverhältniß &#x017F;orgfältig &#x017F;tu-<lb/>
dirte, zuer&#x017F;t die Bedeutung des Nektars und die Mithülfe der<lb/>
In&#x017F;ecten bei der Be&#x017F;täubung erkannte und die An&#x017F;icht vom<lb/>
We&#x017F;en des Sexualactes als einer Vermi&#x017F;chung zweier ver&#x017F;chiedener<lb/>
Materien auf&#x017F;tellte, welche, wenn auch mit namhaften Verän-<lb/>
derungen, in der Haupt&#x017F;ache jetzt noch als die giltige zu be-<lb/>
trachten i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Vergleicht man Koelreuter's nicht umfangreiche, aber inhalts-<lb/>
&#x017F;chwere Schriften mit Allem, was &#x017F;eit <hi rendition="#g">Camerarius</hi> ge-<lb/>
&#x017F;chrieben worden war, &#x017F;o er&#x017F;taunt man, nicht nur über die Fülle<lb/>
neuer Gedanken, &#x017F;ondern noch mehr über die außerordentliche<lb/>
Klarheit und Durch&#x017F;ichtigkeit der&#x017F;elben und über die Sicherheit<lb/>
ihrer Begründung durch Experimente und Beobachtung. Bei der<lb/>
Lectüre von Linn<hi rendition="#aq">é</hi>'s, Gleichen's, Wolff's Schriften über die<lb/>
Sexualität tritt man in eine uns läng&#x017F;t fremdgewordene, &#x017F;chwer<lb/>
ver&#x017F;tändliche Gedankenwelt ein, die nur noch hi&#x017F;tori&#x017F;ches Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
darbietet. Koelreuter's Schriften dagegen heimeln uns an, als<lb/>
ob &#x017F;ie un&#x017F;erer Zeit angehörten; &#x017F;ehr natürlich, weil das Be&#x017F;te,<lb/>
was wir über die Sexualität wi&#x017F;&#x017F;en, von ihm zuer&#x017F;t ausge-<lb/>
&#x017F;prochen worden i&#x017F;t; &#x017F;elb&#x017F;t nach mehr als hundert Jahren &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;eine Schriften nicht als veraltet zu betrachten. Man &#x017F;ieht hier,<lb/>
wie ein wirklich begabter Denker mit der nöthigen Ausdauer in<lb/>
wenigen Jahren allein weit mehr lei&#x017F;tet, als zahlreiche weniger<lb/>
begabte Beobachter im Laufe vieler Jahrzehnte. Wie es aber<lb/>
gerade in &#x017F;olchen Fällen gewöhnlich ge&#x017F;chieht und wie es &#x017F;chon<lb/><hi rendition="#g">Camerarius</hi> erfahren hatte, &#x017F;o ge&#x017F;chah es auch hier; es<lb/>
dauerte viel länger, bis Andere die Bedeutung &#x017F;einer Arbeiten<lb/>
&#x017F;chätzen lernten, als er nöthig gehabt hatte, &#x017F;eine Entdeckungen<lb/>
zu Tage zu fördern.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Koelreuter</hi>'s wichtig&#x017F;te und bekannte&#x017F;te Schrift kam in<lb/>
vier Abtheilungen 1761, 1763, 1764, 1766 unter dem Titel:<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[440/0452] Geſchichte der Sexualtheorie. Einſicht, ſo zwar, daß Koelreuter's Baſtardiruungen auch jetzt noch, obgleich ſeitdem Tauſende derartiger Experimente gemacht worden ſind, zu den beſten und lehrreichſten zählen. Er war es aber auch, der zuerſt die verſchiedenen Einrichtungen innerhalb der Blüthe in ihrer Beziehung zum Sexualverhältniß ſorgfältig ſtu- dirte, zuerſt die Bedeutung des Nektars und die Mithülfe der Inſecten bei der Beſtäubung erkannte und die Anſicht vom Weſen des Sexualactes als einer Vermiſchung zweier verſchiedener Materien aufſtellte, welche, wenn auch mit namhaften Verän- derungen, in der Hauptſache jetzt noch als die giltige zu be- trachten iſt. Vergleicht man Koelreuter's nicht umfangreiche, aber inhalts- ſchwere Schriften mit Allem, was ſeit Camerarius ge- ſchrieben worden war, ſo erſtaunt man, nicht nur über die Fülle neuer Gedanken, ſondern noch mehr über die außerordentliche Klarheit und Durchſichtigkeit derſelben und über die Sicherheit ihrer Begründung durch Experimente und Beobachtung. Bei der Lectüre von Linné's, Gleichen's, Wolff's Schriften über die Sexualität tritt man in eine uns längſt fremdgewordene, ſchwer verſtändliche Gedankenwelt ein, die nur noch hiſtoriſches Intereſſe darbietet. Koelreuter's Schriften dagegen heimeln uns an, als ob ſie unſerer Zeit angehörten; ſehr natürlich, weil das Beſte, was wir über die Sexualität wiſſen, von ihm zuerſt ausge- ſprochen worden iſt; ſelbſt nach mehr als hundert Jahren ſind ſeine Schriften nicht als veraltet zu betrachten. Man ſieht hier, wie ein wirklich begabter Denker mit der nöthigen Ausdauer in wenigen Jahren allein weit mehr leiſtet, als zahlreiche weniger begabte Beobachter im Laufe vieler Jahrzehnte. Wie es aber gerade in ſolchen Fällen gewöhnlich geſchieht und wie es ſchon Camerarius erfahren hatte, ſo geſchah es auch hier; es dauerte viel länger, bis Andere die Bedeutung ſeiner Arbeiten ſchätzen lernten, als er nöthig gehabt hatte, ſeine Entdeckungen zu Tage zu fördern. Koelreuter's wichtigſte und bekannteſte Schrift kam in vier Abtheilungen 1761, 1763, 1764, 1766 unter dem Titel:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/452
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/452>, abgerufen am 03.05.2024.