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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Sexualtheorie.
Fall, wo nur zahlreiche Experimente weiterhelfen konnten und
wo noch langjährige Arbeit erforderlich gewesen wäre. Weder
die äußere Lebensstellung Konrad Sprengel's noch der Erfolg
seines genialen Werkes konnte ihn, auch wenn er es gewollt
hätte, ermuntern, diese letzte und schwierigste Aufgabe, selbst zu
lösen. Die Botaniker waren gerade in jener Zeit und später
ganz in Anschauungen befangen, die derartige biologische und
physiologische Thatsachen des Pflanzenlebens unbeachtet bei Seite
liegen ließen, und zudem waren Sprengel's Ergebnisse dem Dogma
von der Constanz der Arten keineswegs günstig; vom Standpunct
desselben betrachtet, mußten die wunderbaren Beziehungen zwischen
der Organisation der Blüthen und der der Insecten geradezu
abgeschmackt und abstoßend erscheinen; minder begabten Naturen
aber ist es in solchen Fällen eigen, lieber die Thatsachen zu
leugnen oder sie unbeachtet zu lassen, als die eigene liebgewordene
Meinung zu opfern; so erklärt sich leicht die Nichtbeachtung, auf
welche Sprengel's Werk überall stieß. Dazu kam aber, daß trotz
der Arbeiten eines Camerarius und Koelreuter auch am Anfang
unseres Jahrhunderts die Sexualität der Pflanzen überhaupt
sehr Vielen noch zweifelhaft schien. Selbst nachdem Knight
und William Herbert die von Sprengel offen gelassene Frage
richtig erfaßt und experimentelle Ergebnisse zu ihrer Beantwortung
gewonnen hatten, konnte die neue Lehre sich doch nicht Bahn
brechen. Auf die frühere naive, aber consequente Teleologie in
der Behandlung physiologischer Fragen folgte später eine ent-
schiedene Verwerfung aller teleologischen Erklärungen, die jeden-
falls das Ihrige dazu beitrug, Sprengel's Ergebnisse unbequem
erscheinen zu lassen, insofern gerade sie anscheinend nur teleolo-
gische Erklärungen zuließen. Man war vor 1860 derartigen
Naturerscheinungen gegenüber in eine Lage gerathen, die sozusagen
gar keinen Standpunct der Beurtheilung zuließ; man schämte sich
vom teleologischen Standpunct aus mit Konrad Sprengel zu
glauben, daß jede noch so unscheinbare Einrichtung der Orga-
nismen das wohlüberlegte Werk eines Schöpfers sei; etwas Besseres
aber hatte man nicht an die Stelle zu setzen und so blieben

Geſchichte der Sexualtheorie.
Fall, wo nur zahlreiche Experimente weiterhelfen konnten und
wo noch langjährige Arbeit erforderlich geweſen wäre. Weder
die äußere Lebensſtellung Konrad Sprengel's noch der Erfolg
ſeines genialen Werkes konnte ihn, auch wenn er es gewollt
hätte, ermuntern, dieſe letzte und ſchwierigſte Aufgabe, ſelbſt zu
löſen. Die Botaniker waren gerade in jener Zeit und ſpäter
ganz in Anſchauungen befangen, die derartige biologiſche und
phyſiologiſche Thatſachen des Pflanzenlebens unbeachtet bei Seite
liegen ließen, und zudem waren Sprengel's Ergebniſſe dem Dogma
von der Conſtanz der Arten keineswegs günſtig; vom Standpunct
desſelben betrachtet, mußten die wunderbaren Beziehungen zwiſchen
der Organiſation der Blüthen und der der Inſecten geradezu
abgeſchmackt und abſtoßend erſcheinen; minder begabten Naturen
aber iſt es in ſolchen Fällen eigen, lieber die Thatſachen zu
leugnen oder ſie unbeachtet zu laſſen, als die eigene liebgewordene
Meinung zu opfern; ſo erklärt ſich leicht die Nichtbeachtung, auf
welche Sprengel's Werk überall ſtieß. Dazu kam aber, daß trotz
der Arbeiten eines Camerarius und Koelreuter auch am Anfang
unſeres Jahrhunderts die Sexualität der Pflanzen überhaupt
ſehr Vielen noch zweifelhaft ſchien. Selbſt nachdem Knight
und William Herbert die von Sprengel offen gelaſſene Frage
richtig erfaßt und experimentelle Ergebniſſe zu ihrer Beantwortung
gewonnen hatten, konnte die neue Lehre ſich doch nicht Bahn
brechen. Auf die frühere naive, aber conſequente Teleologie in
der Behandlung phyſiologiſcher Fragen folgte ſpäter eine ent-
ſchiedene Verwerfung aller teleologiſchen Erklärungen, die jeden-
falls das Ihrige dazu beitrug, Sprengel's Ergebniſſe unbequem
erſcheinen zu laſſen, inſofern gerade ſie anſcheinend nur teleolo-
giſche Erklärungen zuließen. Man war vor 1860 derartigen
Naturerſcheinungen gegenüber in eine Lage gerathen, die ſozuſagen
gar keinen Standpunct der Beurtheilung zuließ; man ſchämte ſich
vom teleologiſchen Standpunct aus mit Konrad Sprengel zu
glauben, daß jede noch ſo unſcheinbare Einrichtung der Orga-
nismen das wohlüberlegte Werk eines Schöpfers ſei; etwas Beſſeres
aber hatte man nicht an die Stelle zu ſetzen und ſo blieben

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[454/0466] Geſchichte der Sexualtheorie. Fall, wo nur zahlreiche Experimente weiterhelfen konnten und wo noch langjährige Arbeit erforderlich geweſen wäre. Weder die äußere Lebensſtellung Konrad Sprengel's noch der Erfolg ſeines genialen Werkes konnte ihn, auch wenn er es gewollt hätte, ermuntern, dieſe letzte und ſchwierigſte Aufgabe, ſelbſt zu löſen. Die Botaniker waren gerade in jener Zeit und ſpäter ganz in Anſchauungen befangen, die derartige biologiſche und phyſiologiſche Thatſachen des Pflanzenlebens unbeachtet bei Seite liegen ließen, und zudem waren Sprengel's Ergebniſſe dem Dogma von der Conſtanz der Arten keineswegs günſtig; vom Standpunct desſelben betrachtet, mußten die wunderbaren Beziehungen zwiſchen der Organiſation der Blüthen und der der Inſecten geradezu abgeſchmackt und abſtoßend erſcheinen; minder begabten Naturen aber iſt es in ſolchen Fällen eigen, lieber die Thatſachen zu leugnen oder ſie unbeachtet zu laſſen, als die eigene liebgewordene Meinung zu opfern; ſo erklärt ſich leicht die Nichtbeachtung, auf welche Sprengel's Werk überall ſtieß. Dazu kam aber, daß trotz der Arbeiten eines Camerarius und Koelreuter auch am Anfang unſeres Jahrhunderts die Sexualität der Pflanzen überhaupt ſehr Vielen noch zweifelhaft ſchien. Selbſt nachdem Knight und William Herbert die von Sprengel offen gelaſſene Frage richtig erfaßt und experimentelle Ergebniſſe zu ihrer Beantwortung gewonnen hatten, konnte die neue Lehre ſich doch nicht Bahn brechen. Auf die frühere naive, aber conſequente Teleologie in der Behandlung phyſiologiſcher Fragen folgte ſpäter eine ent- ſchiedene Verwerfung aller teleologiſchen Erklärungen, die jeden- falls das Ihrige dazu beitrug, Sprengel's Ergebniſſe unbequem erſcheinen zu laſſen, inſofern gerade ſie anſcheinend nur teleolo- giſche Erklärungen zuließen. Man war vor 1860 derartigen Naturerſcheinungen gegenüber in eine Lage gerathen, die ſozuſagen gar keinen Standpunct der Beurtheilung zuließ; man ſchämte ſich vom teleologiſchen Standpunct aus mit Konrad Sprengel zu glauben, daß jede noch ſo unſcheinbare Einrichtung der Orga- nismen das wohlüberlegte Werk eines Schöpfers ſei; etwas Beſſeres aber hatte man nicht an die Stelle zu ſetzen und ſo blieben

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/466>, abgerufen am 29.04.2024.