Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Neue Gegner der Sexualität etc. etc.
Gärtner's Bastardirungen wurden an demselben Orte, wo
Koelreuter die seinigen in den Jahren 1762 und 1763 ge-
macht hatte, nämlich zu Calw in Württemberg ausgeführt.
So waren es also zwei kleine Städte Württembergs, in welchen die
Sexualtheorie von den drei hervorragensten Experimentatoren
begründet und soweit es sich durch Experimente thun läßt, zum
Abschluß geführt worden ist. Camerarius in Tübingen, Koel-
reuter und C. F. Gärtner in Calw hatten allein zur experimen-
tellen Begründung der Sexualtheorie soviel beigetragen, daß alles
Uebrige, was Andere in dieser Richtung gethan haben, fast
als Nebensache erscheinen müßte, wenn es sich ausschließlich
um künstliche Bestäubung handelte. Wie dagegen die Be-
stäubung in der freien Natur gewöhnlich vermittelt wird,
das hatte Koelreuter zwar unvollkommen erkannt, aber erst
Konrad Sprengel in allen wichtigeren Beziehungen durch-
schaut, und es darf hier nicht verschwiegen werden, daß Gärt-
ner die ergiebigste Quelle neuer großartiger Resultate unbenutzt
ließ, indem er Konrad Sprengel's merkwürdige Ergebnisse
einer ernsten Beachtung nicht für werth hielt; seine fleißige
Behandlung der Nektarabsonderung, der Reizbarkeit der Befrucht-
ungsorgane und seine zahlreichen Wahrnehmungen über sonstige
biologische Verhältnisse der Blüthen würden erst dann ihren na-
türlichen Abschluß gefunden haben, wenn er sie mit Sprengel's
allgemeinen Sätzen über die Beziehung des Blüthenbaues zur
Insectenwelt überall verknüpft hätte. Das unterließ Gärtner
vollständig und so blieb es auch hier wieder der wunderbaren
Combinationsgabe Darwin's vorbehalten, die Summe aus
den Ergebnissen einer hundertjährigen Forschung zu ziehen
und die Resultate Koelreuter's, Knight's, Herbert's und Gärt-
ner's mit Konrad Sprengel's Blüthentheorie zu einem lebendigen
Ganzen zu verschmelzen, so daß nunmehr alle physiologischen
Einrichtungen der Blüthe in ihren Beziehungen zur Befruchtung
nicht nur, sondern in ihrer Abhängigkeit von den natürlichen Be-
dingungen, unter denen die Bestäubung ohne Mithülfe des
Menschen stattfindet, verständlich geworden sind. Es war hier

Sachs, Geschichte der Botanik. 30

Neue Gegner der Sexualität etc. etc.
Gärtner's Baſtardirungen wurden an demſelben Orte, wo
Koelreuter die ſeinigen in den Jahren 1762 und 1763 ge-
macht hatte, nämlich zu Calw in Württemberg ausgeführt.
So waren es alſo zwei kleine Städte Württembergs, in welchen die
Sexualtheorie von den drei hervorragenſten Experimentatoren
begründet und ſoweit es ſich durch Experimente thun läßt, zum
Abſchluß geführt worden iſt. Camerarius in Tübingen, Koel-
reuter und C. F. Gärtner in Calw hatten allein zur experimen-
tellen Begründung der Sexualtheorie ſoviel beigetragen, daß alles
Uebrige, was Andere in dieſer Richtung gethan haben, faſt
als Nebenſache erſcheinen müßte, wenn es ſich ausſchließlich
um künſtliche Beſtäubung handelte. Wie dagegen die Be-
ſtäubung in der freien Natur gewöhnlich vermittelt wird,
das hatte Koelreuter zwar unvollkommen erkannt, aber erſt
Konrad Sprengel in allen wichtigeren Beziehungen durch-
ſchaut, und es darf hier nicht verſchwiegen werden, daß Gärt-
ner die ergiebigſte Quelle neuer großartiger Reſultate unbenutzt
ließ, indem er Konrad Sprengel's merkwürdige Ergebniſſe
einer ernſten Beachtung nicht für werth hielt; ſeine fleißige
Behandlung der Nektarabſonderung, der Reizbarkeit der Befrucht-
ungsorgane und ſeine zahlreichen Wahrnehmungen über ſonſtige
biologiſche Verhältniſſe der Blüthen würden erſt dann ihren na-
türlichen Abſchluß gefunden haben, wenn er ſie mit Sprengel's
allgemeinen Sätzen über die Beziehung des Blüthenbaues zur
Inſectenwelt überall verknüpft hätte. Das unterließ Gärtner
vollſtändig und ſo blieb es auch hier wieder der wunderbaren
Combinationsgabe Darwin's vorbehalten, die Summe aus
den Ergebniſſen einer hundertjährigen Forſchung zu ziehen
und die Reſultate Koelreuter's, Knight's, Herbert's und Gärt-
ner's mit Konrad Sprengel's Blüthentheorie zu einem lebendigen
Ganzen zu verſchmelzen, ſo daß nunmehr alle phyſiologiſchen
Einrichtungen der Blüthe in ihren Beziehungen zur Befruchtung
nicht nur, ſondern in ihrer Abhängigkeit von den natürlichen Be-
dingungen, unter denen die Beſtäubung ohne Mithülfe des
Menſchen ſtattfindet, verſtändlich geworden ſind. Es war hier

Sachs, Geſchichte der Botanik. 30
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0477" n="465"/><fw place="top" type="header">Neue Gegner der Sexualität etc. etc.</fw><lb/><hi rendition="#g">Gärtner</hi>'s Ba&#x017F;tardirungen wurden an dem&#x017F;elben Orte, wo<lb/>
Koelreuter die &#x017F;einigen in den Jahren 1762 und 1763 ge-<lb/>
macht hatte, nämlich zu Calw in Württemberg ausgeführt.<lb/>
So waren es al&#x017F;o zwei kleine Städte Württembergs, in welchen die<lb/>
Sexualtheorie von den drei hervorragen&#x017F;ten Experimentatoren<lb/>
begründet und &#x017F;oweit es &#x017F;ich durch Experimente thun läßt, zum<lb/>
Ab&#x017F;chluß geführt worden i&#x017F;t. Camerarius in Tübingen, Koel-<lb/>
reuter und C. F. Gärtner in Calw hatten allein zur experimen-<lb/>
tellen Begründung der Sexualtheorie &#x017F;oviel beigetragen, daß alles<lb/>
Uebrige, was Andere in die&#x017F;er Richtung gethan haben, fa&#x017F;t<lb/>
als Neben&#x017F;ache er&#x017F;cheinen müßte, wenn es &#x017F;ich aus&#x017F;chließlich<lb/>
um kün&#x017F;tliche Be&#x017F;täubung handelte. Wie dagegen die Be-<lb/>
&#x017F;täubung in der freien Natur gewöhnlich vermittelt wird,<lb/>
das hatte <hi rendition="#g">Koelreuter</hi> zwar unvollkommen erkannt, aber er&#x017F;t<lb/>
Konrad <hi rendition="#g">Sprengel</hi> in allen wichtigeren Beziehungen durch-<lb/>
&#x017F;chaut, und es darf hier nicht ver&#x017F;chwiegen werden, daß <hi rendition="#g">Gärt</hi>-<lb/><hi rendition="#g">ner</hi> die ergiebig&#x017F;te Quelle neuer großartiger Re&#x017F;ultate unbenutzt<lb/>
ließ, indem er Konrad <hi rendition="#g">Sprengel</hi>'s merkwürdige Ergebni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
einer ern&#x017F;ten Beachtung nicht für werth hielt; &#x017F;eine fleißige<lb/>
Behandlung der Nektarab&#x017F;onderung, der Reizbarkeit der Befrucht-<lb/>
ungsorgane und &#x017F;eine zahlreichen Wahrnehmungen über &#x017F;on&#x017F;tige<lb/>
biologi&#x017F;che Verhältni&#x017F;&#x017F;e der Blüthen würden er&#x017F;t dann ihren na-<lb/>
türlichen Ab&#x017F;chluß gefunden haben, wenn er &#x017F;ie mit <hi rendition="#g">Sprengel</hi>'s<lb/>
allgemeinen Sätzen über die Beziehung des Blüthenbaues zur<lb/>
In&#x017F;ectenwelt überall verknüpft hätte. Das unterließ <hi rendition="#g">Gärtner</hi><lb/>
voll&#x017F;tändig und &#x017F;o blieb es auch hier wieder der wunderbaren<lb/>
Combinationsgabe Darwin's vorbehalten, die Summe aus<lb/>
den Ergebni&#x017F;&#x017F;en einer hundertjährigen For&#x017F;chung zu ziehen<lb/>
und die Re&#x017F;ultate Koelreuter's, Knight's, Herbert's und Gärt-<lb/>
ner's mit Konrad Sprengel's Blüthentheorie zu einem lebendigen<lb/>
Ganzen zu ver&#x017F;chmelzen, &#x017F;o daß nunmehr alle phy&#x017F;iologi&#x017F;chen<lb/>
Einrichtungen der Blüthe in ihren Beziehungen zur Befruchtung<lb/>
nicht nur, &#x017F;ondern in ihrer Abhängigkeit von den natürlichen Be-<lb/>
dingungen, unter denen die Be&#x017F;täubung ohne Mithülfe des<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;tattfindet, ver&#x017F;tändlich geworden &#x017F;ind. Es war hier<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Sachs</hi>, Ge&#x017F;chichte der Botanik. 30</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[465/0477] Neue Gegner der Sexualität etc. etc. Gärtner's Baſtardirungen wurden an demſelben Orte, wo Koelreuter die ſeinigen in den Jahren 1762 und 1763 ge- macht hatte, nämlich zu Calw in Württemberg ausgeführt. So waren es alſo zwei kleine Städte Württembergs, in welchen die Sexualtheorie von den drei hervorragenſten Experimentatoren begründet und ſoweit es ſich durch Experimente thun läßt, zum Abſchluß geführt worden iſt. Camerarius in Tübingen, Koel- reuter und C. F. Gärtner in Calw hatten allein zur experimen- tellen Begründung der Sexualtheorie ſoviel beigetragen, daß alles Uebrige, was Andere in dieſer Richtung gethan haben, faſt als Nebenſache erſcheinen müßte, wenn es ſich ausſchließlich um künſtliche Beſtäubung handelte. Wie dagegen die Be- ſtäubung in der freien Natur gewöhnlich vermittelt wird, das hatte Koelreuter zwar unvollkommen erkannt, aber erſt Konrad Sprengel in allen wichtigeren Beziehungen durch- ſchaut, und es darf hier nicht verſchwiegen werden, daß Gärt- ner die ergiebigſte Quelle neuer großartiger Reſultate unbenutzt ließ, indem er Konrad Sprengel's merkwürdige Ergebniſſe einer ernſten Beachtung nicht für werth hielt; ſeine fleißige Behandlung der Nektarabſonderung, der Reizbarkeit der Befrucht- ungsorgane und ſeine zahlreichen Wahrnehmungen über ſonſtige biologiſche Verhältniſſe der Blüthen würden erſt dann ihren na- türlichen Abſchluß gefunden haben, wenn er ſie mit Sprengel's allgemeinen Sätzen über die Beziehung des Blüthenbaues zur Inſectenwelt überall verknüpft hätte. Das unterließ Gärtner vollſtändig und ſo blieb es auch hier wieder der wunderbaren Combinationsgabe Darwin's vorbehalten, die Summe aus den Ergebniſſen einer hundertjährigen Forſchung zu ziehen und die Reſultate Koelreuter's, Knight's, Herbert's und Gärt- ner's mit Konrad Sprengel's Blüthentheorie zu einem lebendigen Ganzen zu verſchmelzen, ſo daß nunmehr alle phyſiologiſchen Einrichtungen der Blüthe in ihren Beziehungen zur Befruchtung nicht nur, ſondern in ihrer Abhängigkeit von den natürlichen Be- dingungen, unter denen die Beſtäubung ohne Mithülfe des Menſchen ſtattfindet, verſtändlich geworden ſind. Es war hier Sachs, Geſchichte der Botanik. 30

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/477
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/477>, abgerufen am 28.04.2024.