Lebenskraft. -- Athmung und Eigenwärme; Endosmose.
pighi, Mariotte und Hales zu erwärmen. Ganz im Ge- gensatz dazu erscheint Meyen's Behandlung der Physiologie frisch und jugendlich; ohne das Alte zu mißachten, hält er sich doch vorwiegend an die neueren Errungenschaften der Wissen- schaft; während Treviranus mit merkwürdigem Mißgeschick fast immer das Brauchbare und Folgenreiche übersieht, findet Meyen aus der vorliegenden Literatur gewöhnlich das Beste heraus; furchtsam vermeidet Treviranus, irgend eine Ansicht entschieden auszusprechen und sie festzuhalten, wogegen Meyen, bei seiner uns bereits bekannten Massenproduktion, keine Zeit findet, seine Gedanken zu ordnen, in seinem Urtheil sich vielfach überstürzt und sich häufig widerspricht. Trotz dieser Mängel in Meyen's Darstellung, erscheint er jedoch als Vorkämpfer der sich neu anbahnenden Richtung; während Treviranus ganz und gar in der Vergangenheit lebt, und in ihm keine Spur des rüstig schaffenden Geistes zu finden ist, der sich bald darauf im Beginn der vierziger Jahre auf allen Gebieten der Naturwissen- schaft so kräftig entfalten sollte.
Betrachten wir nun, was beide auf dem Gebiet der Er- nährungslehre leisteten, so zeigen sich die angegebenen Unterschiede ihrer Gesammtauffassung zunächst in der Behandlung der auf- saugenden Thätigkeit der Wurzel, der Mechanik des aufsteigenden Saftes; hier ist bei Treviranus Alles Lebenskraft, die Gefäße des Holzes leiten vermittelst derselben die Säfte aus den Wurzeln in die Blätter und dergleichen Veraltetes mehr; Meyen dagegen acceptirt Dutrochet's Standpunct und weist sogar die Wurzel- schwämmchen De Candolle's zurück. Mit der Athmung weiß Treviranus Nichts anzufangen; Meyen erklärt sie rundweg als eine der thierischen Athmung entsprechende Function und findet in ihr die Hauptursache der Eigenwärme, welche Tre- viranus in alterthümlicher mystischer Weise aus der Lebens- kraft ableitet. In Einem Punct aber stimmen beide überein, in der völligen Verkennung der maßgebenden Bedeutung der Kohlensäurezersetzung in den Blättern für die gesammte Ernährung der Pflanzen. Es ist zum Verständniß der Begriffsverwirrung,
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Lebenskraft. — Athmung und Eigenwärme; Endosmoſe.
pighi, Mariotte und Hales zu erwärmen. Ganz im Ge- genſatz dazu erſcheint Meyen's Behandlung der Phyſiologie friſch und jugendlich; ohne das Alte zu mißachten, hält er ſich doch vorwiegend an die neueren Errungenſchaften der Wiſſen- ſchaft; während Treviranus mit merkwürdigem Mißgeſchick faſt immer das Brauchbare und Folgenreiche überſieht, findet Meyen aus der vorliegenden Literatur gewöhnlich das Beſte heraus; furchtſam vermeidet Treviranus, irgend eine Anſicht entſchieden auszuſprechen und ſie feſtzuhalten, wogegen Meyen, bei ſeiner uns bereits bekannten Maſſenproduktion, keine Zeit findet, ſeine Gedanken zu ordnen, in ſeinem Urtheil ſich vielfach überſtürzt und ſich häufig widerſpricht. Trotz dieſer Mängel in Meyen's Darſtellung, erſcheint er jedoch als Vorkämpfer der ſich neu anbahnenden Richtung; während Treviranus ganz und gar in der Vergangenheit lebt, und in ihm keine Spur des rüſtig ſchaffenden Geiſtes zu finden iſt, der ſich bald darauf im Beginn der vierziger Jahre auf allen Gebieten der Naturwiſſen- ſchaft ſo kräftig entfalten ſollte.
Betrachten wir nun, was beide auf dem Gebiet der Er- nährungslehre leiſteten, ſo zeigen ſich die angegebenen Unterſchiede ihrer Geſammtauffaſſung zunächſt in der Behandlung der auf- ſaugenden Thätigkeit der Wurzel, der Mechanik des aufſteigenden Saftes; hier iſt bei Treviranus Alles Lebenskraft, die Gefäße des Holzes leiten vermittelſt derſelben die Säfte aus den Wurzeln in die Blätter und dergleichen Veraltetes mehr; Meyen dagegen acceptirt Dutrochet's Standpunct und weiſt ſogar die Wurzel- ſchwämmchen De Candolle's zurück. Mit der Athmung weiß Treviranus Nichts anzufangen; Meyen erklärt ſie rundweg als eine der thieriſchen Athmung entſprechende Function und findet in ihr die Haupturſache der Eigenwärme, welche Tre- viranus in alterthümlicher myſtiſcher Weiſe aus der Lebens- kraft ableitet. In Einem Punct aber ſtimmen beide überein, in der völligen Verkennung der maßgebenden Bedeutung der Kohlenſäurezerſetzung in den Blättern für die geſammte Ernährung der Pflanzen. Es iſt zum Verſtändniß der Begriffsverwirrung,
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Lebenskraft. — Athmung und Eigenwärme; Endosmoſe.
pighi, Mariotte und Hales zu erwärmen. Ganz im Ge-
genſatz dazu erſcheint Meyen's Behandlung der Phyſiologie
friſch und jugendlich; ohne das Alte zu mißachten, hält er ſich
doch vorwiegend an die neueren Errungenſchaften der Wiſſen-
ſchaft; während Treviranus mit merkwürdigem Mißgeſchick
faſt immer das Brauchbare und Folgenreiche überſieht, findet
Meyen aus der vorliegenden Literatur gewöhnlich das Beſte
heraus; furchtſam vermeidet Treviranus, irgend eine Anſicht
entſchieden auszuſprechen und ſie feſtzuhalten, wogegen Meyen,
bei ſeiner uns bereits bekannten Maſſenproduktion, keine Zeit
findet, ſeine Gedanken zu ordnen, in ſeinem Urtheil ſich vielfach
überſtürzt und ſich häufig widerſpricht. Trotz dieſer Mängel in
Meyen's Darſtellung, erſcheint er jedoch als Vorkämpfer der
ſich neu anbahnenden Richtung; während Treviranus ganz
und gar in der Vergangenheit lebt, und in ihm keine Spur des
rüſtig ſchaffenden Geiſtes zu finden iſt, der ſich bald darauf im
Beginn der vierziger Jahre auf allen Gebieten der Naturwiſſen-
ſchaft ſo kräftig entfalten ſollte.
Betrachten wir nun, was beide auf dem Gebiet der Er-
nährungslehre leiſteten, ſo zeigen ſich die angegebenen Unterſchiede
ihrer Geſammtauffaſſung zunächſt in der Behandlung der auf-
ſaugenden Thätigkeit der Wurzel, der Mechanik des aufſteigenden
Saftes; hier iſt bei Treviranus Alles Lebenskraft, die Gefäße
des Holzes leiten vermittelſt derſelben die Säfte aus den Wurzeln
in die Blätter und dergleichen Veraltetes mehr; Meyen dagegen
acceptirt Dutrochet's Standpunct und weiſt ſogar die Wurzel-
ſchwämmchen De Candolle's zurück. Mit der Athmung weiß
Treviranus Nichts anzufangen; Meyen erklärt ſie rundweg
als eine der thieriſchen Athmung entſprechende Function und
findet in ihr die Haupturſache der Eigenwärme, welche Tre-
viranus in alterthümlicher myſtiſcher Weiſe aus der Lebens-
kraft ableitet. In Einem Punct aber ſtimmen beide überein,
in der völligen Verkennung der maßgebenden Bedeutung der
Kohlenſäurezerſetzung in den Blättern für die geſammte Ernährung
der Pflanzen. Es iſt zum Verſtändniß der Begriffsverwirrung,
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/575>, abgerufen am 16.06.2024.
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