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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Zweyter Abschnitt.

Wenn der Donner die Eiche spaltet,
und den Hirten am Felde tödtet, so thut er
den Willen des Herrn. Denn dieser hat es
ihm befohlen: Spalte mir diese Eiche,
und tödte mir den Hirten dort.

Wenn der Mensch die fremde Eiche,
die nicht sein ist, spaltat, und den Hirten
mordet, so thut er wider den Willen des
Herrn, der ihm in's Herz schrieb: laß je-
dem das Seine, und beflecke dich nicht
mit Menschenblut.

Also auch, wenn der Donner dich in
Asche verwandelt, thut er den Willen des
Herrn: wenn du dich selbst mordest, so thust
du wider den Willen des Herrn, der dich auf
die Erde gestellt, und den Trieb zum Leben
(o)

dir
(o) Dieser Ausdruck: Der Schöpfer hat
das Menschenleben vielen Gefahren
überlassen,
ist wirklich sehr zweydeutig.
Denn der Schöpfer hat fürs erste mein Le-
ben den Gefahren nicht überlassen: er wuß-
te, was kommen würde, ehe es kömmt; er
leitete die natürlichen Begebenheiten so, daß
das kommen mußte, was kommt; er bestimm-
te den ersten und letzten Punct, und alle Zwi-
schenpuncte
Zweyter Abſchnitt.

Wenn der Donner die Eiche ſpaltet,
und den Hirten am Felde toͤdtet, ſo thut er
den Willen des Herrn. Denn dieſer hat es
ihm befohlen: Spalte mir dieſe Eiche,
und toͤdte mir den Hirten dort.

Wenn der Menſch die fremde Eiche,
die nicht ſein iſt, ſpaltat, und den Hirten
mordet, ſo thut er wider den Willen des
Herrn, der ihm in’s Herz ſchrieb: laß je-
dem das Seine, und beflecke dich nicht
mit Menſchenblut.

Alſo auch, wenn der Donner dich in
Aſche verwandelt, thut er den Willen des
Herrn: wenn du dich ſelbſt mordeſt, ſo thuſt
du wider den Willen des Herrn, der dich auf
die Erde geſtellt, und den Trieb zum Leben
(o)

dir
(o) Dieſer Ausdruck: Der Schoͤpfer hat
das Menſchenleben vielen Gefahren
uͤberlaſſen,
iſt wirklich ſehr zweydeutig.
Denn der Schoͤpfer hat fuͤrs erſte mein Le-
ben den Gefahren nicht uͤberlaſſen: er wuß-
te, was kommen wuͤrde, ehe es koͤmmt; er
leitete die natuͤrlichen Begebenheiten ſo, daß
das kommen mußte, was kommt; er beſtimm-
te den erſten und letzten Punct, und alle Zwi-
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[98/0110] Zweyter Abſchnitt. Wenn der Donner die Eiche ſpaltet, und den Hirten am Felde toͤdtet, ſo thut er den Willen des Herrn. Denn dieſer hat es ihm befohlen: Spalte mir dieſe Eiche, und toͤdte mir den Hirten dort. Wenn der Menſch die fremde Eiche, die nicht ſein iſt, ſpaltat, und den Hirten mordet, ſo thut er wider den Willen des Herrn, der ihm in’s Herz ſchrieb: laß je- dem das Seine, und beflecke dich nicht mit Menſchenblut. Alſo auch, wenn der Donner dich in Aſche verwandelt, thut er den Willen des Herrn: wenn du dich ſelbſt mordeſt, ſo thuſt du wider den Willen des Herrn, der dich auf die Erde geſtellt, und den Trieb zum Leben dir (o) (o) Dieſer Ausdruck: Der Schoͤpfer hat das Menſchenleben vielen Gefahren uͤberlaſſen, iſt wirklich ſehr zweydeutig. Denn der Schoͤpfer hat fuͤrs erſte mein Le- ben den Gefahren nicht uͤberlaſſen: er wuß- te, was kommen wuͤrde, ehe es koͤmmt; er leitete die natuͤrlichen Begebenheiten ſo, daß das kommen mußte, was kommt; er beſtimm- te den erſten und letzten Punct, und alle Zwi- ſchenpuncte

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/110>, abgerufen am 30.04.2024.