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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Verbindungsstoffe.
Zug, um nun die eigentlichen Feuerungen in Gang zu bringen, die
jetzt den bis oben hin mit Kalksteinen angefüllten Schacht erhitzen. In
dem Maße als unten gar gebrannter Kalk fortgeschafft wird, kann
man oben unaufhörlich neuen nachschütten, so lange der Ofen es
aushält.

In Amerika wird neuerdings ein eigentümliches Verfahren an-
gewendet, um den in Küchenabfällen, wie Austern, Muscheln und Eier-
schalen enthaltenen kohlensauren Kalk, der früher nicht verwendet wurde,
nutzbar zu machen. Dazu werden in einfachen Schächten Lagen von
diesem Material und solche von Koks abwechselnd über einander ge-
schichtet. Wenn die unterste Kalkschicht dabei in Rotglut gerät, setzt sie
die folgende Kohleschicht in Brand und so fort bis zur Mündung des
8 Meter hohen Ofens. Die Öfen werden von unten entleert, während
oben Material nach Bedürfnis nachgeschüttet wird. Auch diese Öfen
können immer in Betrieb bleiben. So haben wir hier ein Beispiel,
wie die heutige Industrie auch ganz wertloses Material zu verarbeiten
und nützlichen Zwecken zuzuführen versteht. Freilich wird der so in New-
York und Brooklyn gewonnene Kalk nicht für Bauzwecke, sondern zur
Gasreinigung, Seifen- und Düngerfabrikation weiter verwendet, für
welche der gebrannte Kalk auch bei uns zum Teil hergestellt wird.

Der gebrannte Kalk wird, wenn er zu Mörtel verwendet werden
soll, gelöscht, d. h. mit Wasser chemisch verbunden. Im Mörtel wird
er dann mit Sand gemischt, was bei größeren Bauten in besonderen
Maschinen geschieht. Der nasse Mörtel trocknet allmählich aus, indem
der Kalk gierig Kohlensäure der Luft aufnimmt, und er erstarrt dabei
unter dem Drucke des darüber lastenden Mauerwerks zu einer festen
Masse, indem seine Oberfläche und die der Sandkörner sich heftig anziehen.
Das Austrocknen nimmt beim Altern des Mörtels immer zu, so daß
er in den ältesten Bauwerken am festesten ist. Trotz dieser vor-
züglichen Eigenschaften sind doch dem Kalkmörtel Konkurrenten er-
wachsen, die in besonderen Fällen bessere Dienste leisten. So
wird man Öfen, die einen bedeutenden Hitzegrad aushalten müssen,
natürlich nicht mit Kalk bauen, weil dieser ja von neuem gebrannt
werden und zerfallen würde. Man ist dann auf Lehmmörtel ange-
wiesen, der zwar nicht so stark erhärtet, als der Kalkmörtel, aber
andererseits auch den Vorzug hat, daß er schneller trocknet, so daß z. B.
Wohnungen, die man damit auskleidet, eher bewohnbar sind. Bei den
anderen Mörteln benutzt man ein ebenfalls in der Natur weit ver-
breitetes Material, den Gips. Man findet ihn krystallisiert als Marien-
glas, aber er hat größere Verbreitung nur als körniger Gipsstein, dessen
schönste Abart der Alabaster ist. Der natürlich vorkommende Gips be-
steht aus schwefelsaurem Kalk und Wasser. Das Letztere kann man
ihm, wie dem Kalk die Kohlensäure, durch die Hitze entziehen, man
muß ihn also brennen, und die besondere Vorliebe, die der gebrannte
Gips für Wasser besitzt, mit dem er sich zu einer harten Masse ver-

Die Verbindungsſtoffe.
Zug, um nun die eigentlichen Feuerungen in Gang zu bringen, die
jetzt den bis oben hin mit Kalkſteinen angefüllten Schacht erhitzen. In
dem Maße als unten gar gebrannter Kalk fortgeſchafft wird, kann
man oben unaufhörlich neuen nachſchütten, ſo lange der Ofen es
aushält.

In Amerika wird neuerdings ein eigentümliches Verfahren an-
gewendet, um den in Küchenabfällen, wie Auſtern, Muſcheln und Eier-
ſchalen enthaltenen kohlenſauren Kalk, der früher nicht verwendet wurde,
nutzbar zu machen. Dazu werden in einfachen Schächten Lagen von
dieſem Material und ſolche von Koks abwechſelnd über einander ge-
ſchichtet. Wenn die unterſte Kalkſchicht dabei in Rotglut gerät, ſetzt ſie
die folgende Kohleſchicht in Brand und ſo fort bis zur Mündung des
8 Meter hohen Ofens. Die Öfen werden von unten entleert, während
oben Material nach Bedürfnis nachgeſchüttet wird. Auch dieſe Öfen
können immer in Betrieb bleiben. So haben wir hier ein Beiſpiel,
wie die heutige Induſtrie auch ganz wertloſes Material zu verarbeiten
und nützlichen Zwecken zuzuführen verſteht. Freilich wird der ſo in New-
York und Brooklyn gewonnene Kalk nicht für Bauzwecke, ſondern zur
Gasreinigung, Seifen- und Düngerfabrikation weiter verwendet, für
welche der gebrannte Kalk auch bei uns zum Teil hergeſtellt wird.

Der gebrannte Kalk wird, wenn er zu Mörtel verwendet werden
ſoll, gelöſcht, d. h. mit Waſſer chemiſch verbunden. Im Mörtel wird
er dann mit Sand gemiſcht, was bei größeren Bauten in beſonderen
Maſchinen geſchieht. Der naſſe Mörtel trocknet allmählich aus, indem
der Kalk gierig Kohlenſäure der Luft aufnimmt, und er erſtarrt dabei
unter dem Drucke des darüber laſtenden Mauerwerks zu einer feſten
Maſſe, indem ſeine Oberfläche und die der Sandkörner ſich heftig anziehen.
Das Austrocknen nimmt beim Altern des Mörtels immer zu, ſo daß
er in den älteſten Bauwerken am feſteſten iſt. Trotz dieſer vor-
züglichen Eigenſchaften ſind doch dem Kalkmörtel Konkurrenten er-
wachſen, die in beſonderen Fällen beſſere Dienſte leiſten. So
wird man Öfen, die einen bedeutenden Hitzegrad aushalten müſſen,
natürlich nicht mit Kalk bauen, weil dieſer ja von neuem gebrannt
werden und zerfallen würde. Man iſt dann auf Lehmmörtel ange-
wieſen, der zwar nicht ſo ſtark erhärtet, als der Kalkmörtel, aber
andererſeits auch den Vorzug hat, daß er ſchneller trocknet, ſo daß z. B.
Wohnungen, die man damit auskleidet, eher bewohnbar ſind. Bei den
anderen Mörteln benutzt man ein ebenfalls in der Natur weit ver-
breitetes Material, den Gips. Man findet ihn kryſtalliſiert als Marien-
glas, aber er hat größere Verbreitung nur als körniger Gipsſtein, deſſen
ſchönſte Abart der Alabaſter iſt. Der natürlich vorkommende Gips be-
ſteht aus ſchwefelſaurem Kalk und Waſſer. Das Letztere kann man
ihm, wie dem Kalk die Kohlenſäure, durch die Hitze entziehen, man
muß ihn alſo brennen, und die beſondere Vorliebe, die der gebrannte
Gips für Waſſer beſitzt, mit dem er ſich zu einer harten Maſſe ver-

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[267/0285] Die Verbindungsſtoffe. Zug, um nun die eigentlichen Feuerungen in Gang zu bringen, die jetzt den bis oben hin mit Kalkſteinen angefüllten Schacht erhitzen. In dem Maße als unten gar gebrannter Kalk fortgeſchafft wird, kann man oben unaufhörlich neuen nachſchütten, ſo lange der Ofen es aushält. In Amerika wird neuerdings ein eigentümliches Verfahren an- gewendet, um den in Küchenabfällen, wie Auſtern, Muſcheln und Eier- ſchalen enthaltenen kohlenſauren Kalk, der früher nicht verwendet wurde, nutzbar zu machen. Dazu werden in einfachen Schächten Lagen von dieſem Material und ſolche von Koks abwechſelnd über einander ge- ſchichtet. Wenn die unterſte Kalkſchicht dabei in Rotglut gerät, ſetzt ſie die folgende Kohleſchicht in Brand und ſo fort bis zur Mündung des 8 Meter hohen Ofens. Die Öfen werden von unten entleert, während oben Material nach Bedürfnis nachgeſchüttet wird. Auch dieſe Öfen können immer in Betrieb bleiben. So haben wir hier ein Beiſpiel, wie die heutige Induſtrie auch ganz wertloſes Material zu verarbeiten und nützlichen Zwecken zuzuführen verſteht. Freilich wird der ſo in New- York und Brooklyn gewonnene Kalk nicht für Bauzwecke, ſondern zur Gasreinigung, Seifen- und Düngerfabrikation weiter verwendet, für welche der gebrannte Kalk auch bei uns zum Teil hergeſtellt wird. Der gebrannte Kalk wird, wenn er zu Mörtel verwendet werden ſoll, gelöſcht, d. h. mit Waſſer chemiſch verbunden. Im Mörtel wird er dann mit Sand gemiſcht, was bei größeren Bauten in beſonderen Maſchinen geſchieht. Der naſſe Mörtel trocknet allmählich aus, indem der Kalk gierig Kohlenſäure der Luft aufnimmt, und er erſtarrt dabei unter dem Drucke des darüber laſtenden Mauerwerks zu einer feſten Maſſe, indem ſeine Oberfläche und die der Sandkörner ſich heftig anziehen. Das Austrocknen nimmt beim Altern des Mörtels immer zu, ſo daß er in den älteſten Bauwerken am feſteſten iſt. Trotz dieſer vor- züglichen Eigenſchaften ſind doch dem Kalkmörtel Konkurrenten er- wachſen, die in beſonderen Fällen beſſere Dienſte leiſten. So wird man Öfen, die einen bedeutenden Hitzegrad aushalten müſſen, natürlich nicht mit Kalk bauen, weil dieſer ja von neuem gebrannt werden und zerfallen würde. Man iſt dann auf Lehmmörtel ange- wieſen, der zwar nicht ſo ſtark erhärtet, als der Kalkmörtel, aber andererſeits auch den Vorzug hat, daß er ſchneller trocknet, ſo daß z. B. Wohnungen, die man damit auskleidet, eher bewohnbar ſind. Bei den anderen Mörteln benutzt man ein ebenfalls in der Natur weit ver- breitetes Material, den Gips. Man findet ihn kryſtalliſiert als Marien- glas, aber er hat größere Verbreitung nur als körniger Gipsſtein, deſſen ſchönſte Abart der Alabaſter iſt. Der natürlich vorkommende Gips be- ſteht aus ſchwefelſaurem Kalk und Waſſer. Das Letztere kann man ihm, wie dem Kalk die Kohlenſäure, durch die Hitze entziehen, man muß ihn alſo brennen, und die beſondere Vorliebe, die der gebrannte Gips für Waſſer beſitzt, mit dem er ſich zu einer harten Maſſe ver-

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/285>, abgerufen am 28.04.2024.