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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Farben und das Färben.
Art von Küpen bezeichnet man als warme oder Gährungsküpen, letztere
als kalte Küpen. Die letzteren haben den großen Vorzug, daß man
mit genau bekannten Materialien arbeitet und die Küpe daher beliebig
groß wählen kann, während im ersten Falle, bei den Gährungsküpen,
Störungen mannigfacher Art eintreten können, wenn die Gährung zu
langsam oder zu schnell verläuft. Hängt man nun in eine solche Küpe,
welche also den Indigo in reduzierter Form, als Indigweiß, enthält,
Wolle oder Baumwolle ein, so übt dieselbe auf das Indigweiß eine
Anziehung aus, und dieses bleibt an den Fasern haften; nimmt man
die Stoffe oder Garne dann aus der Küpe und hängt sie in der Luft
auf, so geht das Indigweiß wieder in Indigblau über, es wird
"oxydiert", und die Farbe haftet nunmehr so fest auf der Faser, daß
man sie durch Waschen und auch durch andere Mittel nicht mehr "ab-
ziehen" kann, ohne die Faser oder die Farbe zu zerstören. Auf dieser
Unlöslichkeit des Indigos beruht die außerordentliche Echtheit der da-
mit gefärbten Stoffe, wie wir alltäglich an den Uniformen unserer
Soldaten wahrnehmen können. Selbst die fünfte Garnitur hält immer
noch Farbe, so schäbig sie sonst auch aussehen mag. Es hat daher
einige Berechtigung, wenn die Militärverwaltung zähe an der An-
wendung des Indigos zum Färben der Militärtuche festhält; die vor-
geschlagenen Ersatzmittel, die sich bedeutend billiger stellen würden, er-
reichen den Indigo noch nicht ganz in allen Eigenschaften, doch ist
anzunehmen, daß die rastlos fortschreitende Farbentechnik bald in der
Lage sein wird, Ersatzmittel zu liefern, welche dem Indigo nach jeder
Richtung gleichstehen. Es ist dies eine wirtschaftlich sehr wichtige
Frage, denn für den Indigo müssen wir heute noch sehr bedeutende
Summen ans Ausland zahlen, die im anderen Falle, bei Verwendung
von Teerfarbstoffen, im Lande bleiben würden. Die Versuche, den
Indigo selbst künstlich herzustellen, um uns dadurch von der Einfuhr
vom Auslande unabhängig zu machen, haben leider noch nicht zu dem
gewünschten praktischen Resultate geführt. Zwar sind verschiedene
Verfahren entdeckt worden, nach denen Indigo leicht genug zu ge-
winnen wäre, allein stets stellt sich das Ausgangsmaterial zu teuer.
Die erste künstliche Darstellung gelang Baeyer 1879; sie rief großes
Aufsehen und hochgespannte Erwartungen hervor, die aber leider nicht
erfüllt werden konnten. Das Ausgangsmaterial für Baeyers Synthese
bildet das später zu erwähnende Toluol; aus diesem stellt man der
Reihe nach Benzaldehyd (Bittermandelöl), Zimtsäure, Nitrozimt-
säure, Nitropropiolsäure dar, die letztere liefert dann mit Al-
kalien und Reduktionsmitteln behandelt, also in einer Art Küpe,
den Indigo. Es ist, wie gesagt, leider nicht gelungen, die Schwierig-
keiten, die sich der Erzeugung künstlichen Indigos nach diesem
Verfahren im Großen darstellen, zu überwinden. Es sind
daher von verschiedenen Seiten weitere Versuche unternommen worden,
um das verlockende Ziel zu erreichen. Man hat auch schon neue Wege

Die Farben und das Färben.
Art von Küpen bezeichnet man als warme oder Gährungsküpen, letztere
als kalte Küpen. Die letzteren haben den großen Vorzug, daß man
mit genau bekannten Materialien arbeitet und die Küpe daher beliebig
groß wählen kann, während im erſten Falle, bei den Gährungsküpen,
Störungen mannigfacher Art eintreten können, wenn die Gährung zu
langſam oder zu ſchnell verläuft. Hängt man nun in eine ſolche Küpe,
welche alſo den Indigo in reduzierter Form, als Indigweiß, enthält,
Wolle oder Baumwolle ein, ſo übt dieſelbe auf das Indigweiß eine
Anziehung aus, und dieſes bleibt an den Faſern haften; nimmt man
die Stoffe oder Garne dann aus der Küpe und hängt ſie in der Luft
auf, ſo geht das Indigweiß wieder in Indigblau über, es wird
„oxydiert“, und die Farbe haftet nunmehr ſo feſt auf der Faſer, daß
man ſie durch Waſchen und auch durch andere Mittel nicht mehr „ab-
ziehen“ kann, ohne die Faſer oder die Farbe zu zerſtören. Auf dieſer
Unlöslichkeit des Indigos beruht die außerordentliche Echtheit der da-
mit gefärbten Stoffe, wie wir alltäglich an den Uniformen unſerer
Soldaten wahrnehmen können. Selbſt die fünfte Garnitur hält immer
noch Farbe, ſo ſchäbig ſie ſonſt auch ausſehen mag. Es hat daher
einige Berechtigung, wenn die Militärverwaltung zähe an der An-
wendung des Indigos zum Färben der Militärtuche feſthält; die vor-
geſchlagenen Erſatzmittel, die ſich bedeutend billiger ſtellen würden, er-
reichen den Indigo noch nicht ganz in allen Eigenſchaften, doch iſt
anzunehmen, daß die raſtlos fortſchreitende Farbentechnik bald in der
Lage ſein wird, Erſatzmittel zu liefern, welche dem Indigo nach jeder
Richtung gleichſtehen. Es iſt dies eine wirtſchaftlich ſehr wichtige
Frage, denn für den Indigo müſſen wir heute noch ſehr bedeutende
Summen ans Ausland zahlen, die im anderen Falle, bei Verwendung
von Teerfarbſtoffen, im Lande bleiben würden. Die Verſuche, den
Indigo ſelbſt künſtlich herzuſtellen, um uns dadurch von der Einfuhr
vom Auslande unabhängig zu machen, haben leider noch nicht zu dem
gewünſchten praktiſchen Reſultate geführt. Zwar ſind verſchiedene
Verfahren entdeckt worden, nach denen Indigo leicht genug zu ge-
winnen wäre, allein ſtets ſtellt ſich das Ausgangsmaterial zu teuer.
Die erſte künſtliche Darſtellung gelang Baeyer 1879; ſie rief großes
Aufſehen und hochgeſpannte Erwartungen hervor, die aber leider nicht
erfüllt werden konnten. Das Ausgangsmaterial für Baeyers Syntheſe
bildet das ſpäter zu erwähnende Toluol; aus dieſem ſtellt man der
Reihe nach Benzaldehyd (Bittermandelöl), Zimtſäure, Nitrozimt-
ſäure, Nitropropiolſäure dar, die letztere liefert dann mit Al-
kalien und Reduktionsmitteln behandelt, alſo in einer Art Küpe,
den Indigo. Es iſt, wie geſagt, leider nicht gelungen, die Schwierig-
keiten, die ſich der Erzeugung künſtlichen Indigos nach dieſem
Verfahren im Großen darſtellen, zu überwinden. Es ſind
daher von verſchiedenen Seiten weitere Verſuche unternommen worden,
um das verlockende Ziel zu erreichen. Man hat auch ſchon neue Wege

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[402/0420] Die Farben und das Färben. Art von Küpen bezeichnet man als warme oder Gährungsküpen, letztere als kalte Küpen. Die letzteren haben den großen Vorzug, daß man mit genau bekannten Materialien arbeitet und die Küpe daher beliebig groß wählen kann, während im erſten Falle, bei den Gährungsküpen, Störungen mannigfacher Art eintreten können, wenn die Gährung zu langſam oder zu ſchnell verläuft. Hängt man nun in eine ſolche Küpe, welche alſo den Indigo in reduzierter Form, als Indigweiß, enthält, Wolle oder Baumwolle ein, ſo übt dieſelbe auf das Indigweiß eine Anziehung aus, und dieſes bleibt an den Faſern haften; nimmt man die Stoffe oder Garne dann aus der Küpe und hängt ſie in der Luft auf, ſo geht das Indigweiß wieder in Indigblau über, es wird „oxydiert“, und die Farbe haftet nunmehr ſo feſt auf der Faſer, daß man ſie durch Waſchen und auch durch andere Mittel nicht mehr „ab- ziehen“ kann, ohne die Faſer oder die Farbe zu zerſtören. Auf dieſer Unlöslichkeit des Indigos beruht die außerordentliche Echtheit der da- mit gefärbten Stoffe, wie wir alltäglich an den Uniformen unſerer Soldaten wahrnehmen können. Selbſt die fünfte Garnitur hält immer noch Farbe, ſo ſchäbig ſie ſonſt auch ausſehen mag. Es hat daher einige Berechtigung, wenn die Militärverwaltung zähe an der An- wendung des Indigos zum Färben der Militärtuche feſthält; die vor- geſchlagenen Erſatzmittel, die ſich bedeutend billiger ſtellen würden, er- reichen den Indigo noch nicht ganz in allen Eigenſchaften, doch iſt anzunehmen, daß die raſtlos fortſchreitende Farbentechnik bald in der Lage ſein wird, Erſatzmittel zu liefern, welche dem Indigo nach jeder Richtung gleichſtehen. Es iſt dies eine wirtſchaftlich ſehr wichtige Frage, denn für den Indigo müſſen wir heute noch ſehr bedeutende Summen ans Ausland zahlen, die im anderen Falle, bei Verwendung von Teerfarbſtoffen, im Lande bleiben würden. Die Verſuche, den Indigo ſelbſt künſtlich herzuſtellen, um uns dadurch von der Einfuhr vom Auslande unabhängig zu machen, haben leider noch nicht zu dem gewünſchten praktiſchen Reſultate geführt. Zwar ſind verſchiedene Verfahren entdeckt worden, nach denen Indigo leicht genug zu ge- winnen wäre, allein ſtets ſtellt ſich das Ausgangsmaterial zu teuer. Die erſte künſtliche Darſtellung gelang Baeyer 1879; ſie rief großes Aufſehen und hochgeſpannte Erwartungen hervor, die aber leider nicht erfüllt werden konnten. Das Ausgangsmaterial für Baeyers Syntheſe bildet das ſpäter zu erwähnende Toluol; aus dieſem ſtellt man der Reihe nach Benzaldehyd (Bittermandelöl), Zimtſäure, Nitrozimt- ſäure, Nitropropiolſäure dar, die letztere liefert dann mit Al- kalien und Reduktionsmitteln behandelt, alſo in einer Art Küpe, den Indigo. Es iſt, wie geſagt, leider nicht gelungen, die Schwierig- keiten, die ſich der Erzeugung künſtlichen Indigos nach dieſem Verfahren im Großen darſtellen, zu überwinden. Es ſind daher von verſchiedenen Seiten weitere Verſuche unternommen worden, um das verlockende Ziel zu erreichen. Man hat auch ſchon neue Wege

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/420>, abgerufen am 30.04.2024.