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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Sprengstoffe und ihre Verwendung.
angewendeten Spierentorpedos erinnert. Erst im 13 ten Jahrhundert
wandten auch andere Völker das griechische Feuer an, so daß erst zu
dieser Zeit das Geheimnis desselben sich weiter verbreitet zu haben
scheint. Außerdem haben wir aber aus derselben Epoche Handschriften,
welche über die Zusammensetzung der Feuermischungen genauere An-
gaben machen; es ist gewiß sehr merkwürdig, daß sich in diesen Rezepte
finden, welche sich denen unseres Pulvers in ganz überraschender Weise
nähern.

Wahrscheinlich aber wird bei dem Gebrauche des griechischen Feuers
eine Beobachtung gemacht worden sein, welche vielleicht dem ersten
Entdecker gar nicht sehr imponierte, welche aber in der Folge viel
stärker ausgenutzt worden ist, als die anderen Eigenschaften des merk-
würdigen Körpers. Wir meinen die treibende Kraft der Feuerwerks-
sätze, welche sich am einfachsten in dem heftigen Sprühen der Flamme
und in der unabhängigen Richtung derselben, dann aber auch in der
Erscheinung zeigte, daß die Brandpfeile durch das Brennen des Satzes
eine erheblich größere Geschwindigkeit erlangten, als sie von der
schleudernden Wurfmaschine empfangen hatten. Nachdem diese Er-
scheinungen bekannt geworden waren, war zu der Erfindung der
Rakete, dem aus eigner Kraft vorwärts eilenden feurigen Geschoß, nur
noch ein kurzer Schritt. Bei der fortschreitenden Vervollkommnung
der Raketen aber konnte es nicht unbemerkt bleiben, daß, wenn die
Rakete an der Bewegung gehindert wurde, alle Körper, welche von
dem brennenden Satz getroffen wurden, mit Heftigkeit fortgeschleudert
wurden, und daß diese Wirkung bedeutend stärker auftrat, wenn der
Satz gekörnt war. So kam man in der zweiten Hälfte des 13 ten Jahr-
hunderts auf den Gedanken, den in der noch heute üblichen Weise
bereiteten Pulversatz in eine Röhre zu laden und ein darauf gesetztes
Geschoß vermittelst seiner Kraft fortzutreiben. Wir finden die neue
Erfindung im Laufe des nächsten Jahrhunderts bereits in den meisten
europäischen Staaten; es ist bekannt, daß die englischen Geschütze den
Sieg von Crecy, 1346, hauptsächlich entschieden. In der zweiten
Hälfte des 14 ten Jahrhunderts wurde schon an vielen Orten Deutsch-
lands Pulver fabriziert und allgemein im Kriege verwendet. Auch von
den Gefahren, die mit der Herstellung und Aufbewahrung des neuen
Kriegsmittels verknüpft sind, haben wir schon aus dieser frühen Zeit
Kunde; 1360 wurde das Lübecker Rathaus das Opfer einer Pulver-
explosion.

Ehe wir auf die hochinteressante Entwickelung der Verwendung
des Pulvers für die Schußwaffen näher eingehen, ist es nötig, seine
Herstellung und Wirkungsweise genau zu erörtern.

Von den notwendigen Rohmaterialien muß die Kohle vor allem
so leicht entzündlich, wie nur möglich sein; daher eignet sich am besten
die poröse, welche weichen Holzarten entstammt. Man erzeugt die
Pulverkohle gewöhnlich nicht durch Brennen der Hölzer (besonders

Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.
angewendeten Spierentorpedos erinnert. Erſt im 13 ten Jahrhundert
wandten auch andere Völker das griechiſche Feuer an, ſo daß erſt zu
dieſer Zeit das Geheimnis desſelben ſich weiter verbreitet zu haben
ſcheint. Außerdem haben wir aber aus derſelben Epoche Handſchriften,
welche über die Zuſammenſetzung der Feuermiſchungen genauere An-
gaben machen; es iſt gewiß ſehr merkwürdig, daß ſich in dieſen Rezepte
finden, welche ſich denen unſeres Pulvers in ganz überraſchender Weiſe
nähern.

Wahrſcheinlich aber wird bei dem Gebrauche des griechiſchen Feuers
eine Beobachtung gemacht worden ſein, welche vielleicht dem erſten
Entdecker gar nicht ſehr imponierte, welche aber in der Folge viel
ſtärker ausgenutzt worden iſt, als die anderen Eigenſchaften des merk-
würdigen Körpers. Wir meinen die treibende Kraft der Feuerwerks-
ſätze, welche ſich am einfachſten in dem heftigen Sprühen der Flamme
und in der unabhängigen Richtung derſelben, dann aber auch in der
Erſcheinung zeigte, daß die Brandpfeile durch das Brennen des Satzes
eine erheblich größere Geſchwindigkeit erlangten, als ſie von der
ſchleudernden Wurfmaſchine empfangen hatten. Nachdem dieſe Er-
ſcheinungen bekannt geworden waren, war zu der Erfindung der
Rakete, dem aus eigner Kraft vorwärts eilenden feurigen Geſchoß, nur
noch ein kurzer Schritt. Bei der fortſchreitenden Vervollkommnung
der Raketen aber konnte es nicht unbemerkt bleiben, daß, wenn die
Rakete an der Bewegung gehindert wurde, alle Körper, welche von
dem brennenden Satz getroffen wurden, mit Heftigkeit fortgeſchleudert
wurden, und daß dieſe Wirkung bedeutend ſtärker auftrat, wenn der
Satz gekörnt war. So kam man in der zweiten Hälfte des 13 ten Jahr-
hunderts auf den Gedanken, den in der noch heute üblichen Weiſe
bereiteten Pulverſatz in eine Röhre zu laden und ein darauf geſetztes
Geſchoß vermittelſt ſeiner Kraft fortzutreiben. Wir finden die neue
Erfindung im Laufe des nächſten Jahrhunderts bereits in den meiſten
europäiſchen Staaten; es iſt bekannt, daß die engliſchen Geſchütze den
Sieg von Crecy, 1346, hauptſächlich entſchieden. In der zweiten
Hälfte des 14 ten Jahrhunderts wurde ſchon an vielen Orten Deutſch-
lands Pulver fabriziert und allgemein im Kriege verwendet. Auch von
den Gefahren, die mit der Herſtellung und Aufbewahrung des neuen
Kriegsmittels verknüpft ſind, haben wir ſchon aus dieſer frühen Zeit
Kunde; 1360 wurde das Lübecker Rathaus das Opfer einer Pulver-
exploſion.

Ehe wir auf die hochintereſſante Entwickelung der Verwendung
des Pulvers für die Schußwaffen näher eingehen, iſt es nötig, ſeine
Herſtellung und Wirkungsweiſe genau zu erörtern.

Von den notwendigen Rohmaterialien muß die Kohle vor allem
ſo leicht entzündlich, wie nur möglich ſein; daher eignet ſich am beſten
die poröſe, welche weichen Holzarten entſtammt. Man erzeugt die
Pulverkohle gewöhnlich nicht durch Brennen der Hölzer (beſonders

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[692/0710] Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung. angewendeten Spierentorpedos erinnert. Erſt im 13 ten Jahrhundert wandten auch andere Völker das griechiſche Feuer an, ſo daß erſt zu dieſer Zeit das Geheimnis desſelben ſich weiter verbreitet zu haben ſcheint. Außerdem haben wir aber aus derſelben Epoche Handſchriften, welche über die Zuſammenſetzung der Feuermiſchungen genauere An- gaben machen; es iſt gewiß ſehr merkwürdig, daß ſich in dieſen Rezepte finden, welche ſich denen unſeres Pulvers in ganz überraſchender Weiſe nähern. Wahrſcheinlich aber wird bei dem Gebrauche des griechiſchen Feuers eine Beobachtung gemacht worden ſein, welche vielleicht dem erſten Entdecker gar nicht ſehr imponierte, welche aber in der Folge viel ſtärker ausgenutzt worden iſt, als die anderen Eigenſchaften des merk- würdigen Körpers. Wir meinen die treibende Kraft der Feuerwerks- ſätze, welche ſich am einfachſten in dem heftigen Sprühen der Flamme und in der unabhängigen Richtung derſelben, dann aber auch in der Erſcheinung zeigte, daß die Brandpfeile durch das Brennen des Satzes eine erheblich größere Geſchwindigkeit erlangten, als ſie von der ſchleudernden Wurfmaſchine empfangen hatten. Nachdem dieſe Er- ſcheinungen bekannt geworden waren, war zu der Erfindung der Rakete, dem aus eigner Kraft vorwärts eilenden feurigen Geſchoß, nur noch ein kurzer Schritt. Bei der fortſchreitenden Vervollkommnung der Raketen aber konnte es nicht unbemerkt bleiben, daß, wenn die Rakete an der Bewegung gehindert wurde, alle Körper, welche von dem brennenden Satz getroffen wurden, mit Heftigkeit fortgeſchleudert wurden, und daß dieſe Wirkung bedeutend ſtärker auftrat, wenn der Satz gekörnt war. So kam man in der zweiten Hälfte des 13 ten Jahr- hunderts auf den Gedanken, den in der noch heute üblichen Weiſe bereiteten Pulverſatz in eine Röhre zu laden und ein darauf geſetztes Geſchoß vermittelſt ſeiner Kraft fortzutreiben. Wir finden die neue Erfindung im Laufe des nächſten Jahrhunderts bereits in den meiſten europäiſchen Staaten; es iſt bekannt, daß die engliſchen Geſchütze den Sieg von Crecy, 1346, hauptſächlich entſchieden. In der zweiten Hälfte des 14 ten Jahrhunderts wurde ſchon an vielen Orten Deutſch- lands Pulver fabriziert und allgemein im Kriege verwendet. Auch von den Gefahren, die mit der Herſtellung und Aufbewahrung des neuen Kriegsmittels verknüpft ſind, haben wir ſchon aus dieſer frühen Zeit Kunde; 1360 wurde das Lübecker Rathaus das Opfer einer Pulver- exploſion. Ehe wir auf die hochintereſſante Entwickelung der Verwendung des Pulvers für die Schußwaffen näher eingehen, iſt es nötig, ſeine Herſtellung und Wirkungsweiſe genau zu erörtern. Von den notwendigen Rohmaterialien muß die Kohle vor allem ſo leicht entzündlich, wie nur möglich ſein; daher eignet ſich am beſten die poröſe, welche weichen Holzarten entſtammt. Man erzeugt die Pulverkohle gewöhnlich nicht durch Brennen der Hölzer (beſonders

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/710>, abgerufen am 26.04.2024.