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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die optischen Justrumente.
nicht Beherrschen? ist die Erfahrung nicht Macht? setzt nicht das Können
das Wissen voraus? Geschichte der Wissenschaft ist Kulturgeschichte, und
nicht die Großthaten kühner Eroberer haben den gewaltigsten Einfluß
auf die Entwicklung unseres Geschlechtes geübt, sondern die Großthaten
des Geistes. Entdeckungen und Erfindungen sind es, welche die Grenzen
großer Kulturepochen markieren.

Und somit war die Erfindung des Fernrohrs eine geschichtliche
Großthat. Wohl gab es auch vorher eine in ihrer Bedeutung nicht
zu unterschätzende astronomische Wissenschaft, wohl hatte der menschliche
Geist aus der Betrachtung der Himmelskörper den Stoff zu kühnen
Problemen entlehnt und, dieselben lösend, seine Kraft erprobt, aber die
gewaltigsten Aufgaben stellten sich dem wohl Erprobten erst, seitdem
er viel sehen und genau sehen lernte. Galileis Besuch in Venedig im
Jahre 1609 bezeichnet die Scheide zwischen alter und moderner Be-
obachtungskunst: denn dort erfuhr er, daß im vorhergehenden Jahre
in Holland ein Werkzeug erfunden sei, mit dessen Hilfe der Beobachter
einen fernen Gegenstand sich näher rücken könne. Noch im August des-
selben Jahres hatte der berühmte Physiker von Padua ein vollkomme-
neres Instrument gefertigt, als jene holländischen Fernröhre waren.
Die Entdeckung der vier Jupitertrabanten, der Mondberge, der
wechselnden Gestalt des Planeten Venus, der Sonnenflecke und die
Auflösung der Milchstraße in Myriaden einzelner Sterne, das waren
Entdeckungen, die jetzt einander auf dem Fuße folgten. Der Jahr-
hunderte hindurch fortgeführte Prioritätsstreit um die Erfindung des
Fernrohrs ist erst neuerdings zu Gunsten des Brillenmachers Franz
Lippershey zu Middelburg entschieden worden, doch geschah Galileis
Erfindung von der holländischen durchaus unabhängig. Den Gang
der Strahlen in diesem Galileischen oder dem holländischen Fernrohr er-
sehen wir aus der Fig. 493. Eine konkave Objektivlinse sammelt die
Strahlen, die von dem Objekte herkommen; ein konkaves Okularglas

[Abbildung] Fig. 493.

Gang der Strahlen im Galileischen Fernrohr.

sorgt dafür, daß diese Strahlen sich vor ihm bereits vereinigen und
so ein aufrechtes Bild innerhalb der deutlichen Sehweite des Auges
geben, das uns deshalb vergrößert erscheint. Heutzutage wird diese
Anordnung zu Operngläsern und als Feldglas noch viel gebraucht;
wissenschaftliche Bedeutung hat sie dagegen nicht mehr. Kaum zwei
Jahre später gab der berühmte Astronom Kepler in Prag diejenige
Form des astronomischen Fernrohrs an, die heute die gebräuchlichste
ist. Wir entnehmen den Gang der Strahlen bei diesem Fernrohr aus
Fig. 494. Das von dem konvexen Objektiv gelieferte Bild, welches

Die optiſchen Juſtrumente.
nicht Beherrſchen? iſt die Erfahrung nicht Macht? ſetzt nicht das Können
das Wiſſen voraus? Geſchichte der Wiſſenſchaft iſt Kulturgeſchichte, und
nicht die Großthaten kühner Eroberer haben den gewaltigſten Einfluß
auf die Entwicklung unſeres Geſchlechtes geübt, ſondern die Großthaten
des Geiſtes. Entdeckungen und Erfindungen ſind es, welche die Grenzen
großer Kulturepochen markieren.

Und ſomit war die Erfindung des Fernrohrs eine geſchichtliche
Großthat. Wohl gab es auch vorher eine in ihrer Bedeutung nicht
zu unterſchätzende aſtronomiſche Wiſſenſchaft, wohl hatte der menſchliche
Geiſt aus der Betrachtung der Himmelskörper den Stoff zu kühnen
Problemen entlehnt und, dieſelben löſend, ſeine Kraft erprobt, aber die
gewaltigſten Aufgaben ſtellten ſich dem wohl Erprobten erſt, ſeitdem
er viel ſehen und genau ſehen lernte. Galileis Beſuch in Venedig im
Jahre 1609 bezeichnet die Scheide zwiſchen alter und moderner Be-
obachtungskunſt: denn dort erfuhr er, daß im vorhergehenden Jahre
in Holland ein Werkzeug erfunden ſei, mit deſſen Hilfe der Beobachter
einen fernen Gegenſtand ſich näher rücken könne. Noch im Auguſt des-
ſelben Jahres hatte der berühmte Phyſiker von Padua ein vollkomme-
neres Inſtrument gefertigt, als jene holländiſchen Fernröhre waren.
Die Entdeckung der vier Jupitertrabanten, der Mondberge, der
wechſelnden Geſtalt des Planeten Venus, der Sonnenflecke und die
Auflöſung der Milchſtraße in Myriaden einzelner Sterne, das waren
Entdeckungen, die jetzt einander auf dem Fuße folgten. Der Jahr-
hunderte hindurch fortgeführte Prioritätsſtreit um die Erfindung des
Fernrohrs iſt erſt neuerdings zu Gunſten des Brillenmachers Franz
Lippershey zu Middelburg entſchieden worden, doch geſchah Galileis
Erfindung von der holländiſchen durchaus unabhängig. Den Gang
der Strahlen in dieſem Galileiſchen oder dem holländiſchen Fernrohr er-
ſehen wir aus der Fig. 493. Eine konkave Objektivlinſe ſammelt die
Strahlen, die von dem Objekte herkommen; ein konkaves Okularglas

[Abbildung] Fig. 493.

Gang der Strahlen im Galileiſchen Fernrohr.

ſorgt dafür, daß dieſe Strahlen ſich vor ihm bereits vereinigen und
ſo ein aufrechtes Bild innerhalb der deutlichen Sehweite des Auges
geben, das uns deshalb vergrößert erſcheint. Heutzutage wird dieſe
Anordnung zu Operngläſern und als Feldglas noch viel gebraucht;
wiſſenſchaftliche Bedeutung hat ſie dagegen nicht mehr. Kaum zwei
Jahre ſpäter gab der berühmte Aſtronom Kepler in Prag diejenige
Form des aſtronomiſchen Fernrohrs an, die heute die gebräuchlichſte
iſt. Wir entnehmen den Gang der Strahlen bei dieſem Fernrohr aus
Fig. 494. Das von dem konvexen Objektiv gelieferte Bild, welches

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[908/0926] Die optiſchen Juſtrumente. nicht Beherrſchen? iſt die Erfahrung nicht Macht? ſetzt nicht das Können das Wiſſen voraus? Geſchichte der Wiſſenſchaft iſt Kulturgeſchichte, und nicht die Großthaten kühner Eroberer haben den gewaltigſten Einfluß auf die Entwicklung unſeres Geſchlechtes geübt, ſondern die Großthaten des Geiſtes. Entdeckungen und Erfindungen ſind es, welche die Grenzen großer Kulturepochen markieren. Und ſomit war die Erfindung des Fernrohrs eine geſchichtliche Großthat. Wohl gab es auch vorher eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterſchätzende aſtronomiſche Wiſſenſchaft, wohl hatte der menſchliche Geiſt aus der Betrachtung der Himmelskörper den Stoff zu kühnen Problemen entlehnt und, dieſelben löſend, ſeine Kraft erprobt, aber die gewaltigſten Aufgaben ſtellten ſich dem wohl Erprobten erſt, ſeitdem er viel ſehen und genau ſehen lernte. Galileis Beſuch in Venedig im Jahre 1609 bezeichnet die Scheide zwiſchen alter und moderner Be- obachtungskunſt: denn dort erfuhr er, daß im vorhergehenden Jahre in Holland ein Werkzeug erfunden ſei, mit deſſen Hilfe der Beobachter einen fernen Gegenſtand ſich näher rücken könne. Noch im Auguſt des- ſelben Jahres hatte der berühmte Phyſiker von Padua ein vollkomme- neres Inſtrument gefertigt, als jene holländiſchen Fernröhre waren. Die Entdeckung der vier Jupitertrabanten, der Mondberge, der wechſelnden Geſtalt des Planeten Venus, der Sonnenflecke und die Auflöſung der Milchſtraße in Myriaden einzelner Sterne, das waren Entdeckungen, die jetzt einander auf dem Fuße folgten. Der Jahr- hunderte hindurch fortgeführte Prioritätsſtreit um die Erfindung des Fernrohrs iſt erſt neuerdings zu Gunſten des Brillenmachers Franz Lippershey zu Middelburg entſchieden worden, doch geſchah Galileis Erfindung von der holländiſchen durchaus unabhängig. Den Gang der Strahlen in dieſem Galileiſchen oder dem holländiſchen Fernrohr er- ſehen wir aus der Fig. 493. Eine konkave Objektivlinſe ſammelt die Strahlen, die von dem Objekte herkommen; ein konkaves Okularglas [Abbildung Fig. 493. Gang der Strahlen im Galileiſchen Fernrohr.] ſorgt dafür, daß dieſe Strahlen ſich vor ihm bereits vereinigen und ſo ein aufrechtes Bild innerhalb der deutlichen Sehweite des Auges geben, das uns deshalb vergrößert erſcheint. Heutzutage wird dieſe Anordnung zu Operngläſern und als Feldglas noch viel gebraucht; wiſſenſchaftliche Bedeutung hat ſie dagegen nicht mehr. Kaum zwei Jahre ſpäter gab der berühmte Aſtronom Kepler in Prag diejenige Form des aſtronomiſchen Fernrohrs an, die heute die gebräuchlichſte iſt. Wir entnehmen den Gang der Strahlen bei dieſem Fernrohr aus Fig. 494. Das von dem konvexen Objektiv gelieferte Bild, welches

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 908. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/926>, abgerufen am 26.04.2024.