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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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daß man zum letztenmahl eben so von ihnen weggeht, wie
aus der Visite nach Hause. -- -- Ich weis nicht,
warum der Auftritt mit den ehrlichen Teutschen so einen
Eindruck auf mich machte. Ich hatte lange keine gese-
hen. -- So gern ich von Paris nach Holland reiste;
so ward mir doch beim Packen und Bestellen das Herz
schwer, wenn man so aus der Carriere wieder in den Post-
wagen steigen soll; und beim Reisen von einem Orte zum
andern, wird man so muthlos, so unruhig, man stellt sich
hunderterlei mögliche Dinge zugleich vor; ich hatte eben
die Ungenügsamkeit und Grobheit der Franzosen beim
Fiaker noch erfahren. -- Ich sah diese zwei gute Leute
wie verlassene Schaafe an, und dachte an die ersten Ta-
ge, wo's mir unmöglich vorkam, in einer so grossen Stadt
mir selber zu helfen. -- Dann dacht ich wieder, daß
viele tausend Handwerksbursche zu Fuß viel weiter in der
Welt herumkommen, als ich mit allen meinen Kredit-
briefen und Empfehlungsschreiben. -- Ich sah, daß
sie Ein Herz und Eine Seele waren, sich eine beständige
Treue, eine ewige Freundschaft geschworen hatten, und
hier empfand ich Gottes Güte und Weisheit, die den ge-
ringsten Menschen das Leben leicht und angenehm macht.
-- -- Kurz, ich fing an zu weinen, wie ich sie mitten
in der Strasse verlies, und verlohr ganz Paris aus dem
Gesicht. Nachher fiels mir erst ein, daß ich doch etwas
vom Reisegeld hätte entbehren, und ihnen schenken kön-
nen, und nun konnt' ich mir die Freude nicht mehr ma-
chen. -- Ich sprach mit einem meiner Bekannten nur
ein paar Worte davon. "Sie werden bald die Por-
cherons
kennen lernen," das war das Erste, was er da-
bei dachte, und da must' ich freilich das Gespräch abbre-
chen. Aber ich habe diese Scene und diese Empfindun-

gen

daß man zum letztenmahl eben ſo von ihnen weggeht, wie
aus der Viſite nach Hauſe. — — Ich weis nicht,
warum der Auftritt mit den ehrlichen Teutſchen ſo einen
Eindruck auf mich machte. Ich hatte lange keine geſe-
hen. — So gern ich von Paris nach Holland reiſte;
ſo ward mir doch beim Packen und Beſtellen das Herz
ſchwer, wenn man ſo aus der Carriere wieder in den Poſt-
wagen ſteigen ſoll; und beim Reiſen von einem Orte zum
andern, wird man ſo muthlos, ſo unruhig, man ſtellt ſich
hunderterlei moͤgliche Dinge zugleich vor; ich hatte eben
die Ungenuͤgſamkeit und Grobheit der Franzoſen beim
Fiaker noch erfahren. — Ich ſah dieſe zwei gute Leute
wie verlaſſene Schaafe an, und dachte an die erſten Ta-
ge, wo’s mir unmoͤglich vorkam, in einer ſo groſſen Stadt
mir ſelber zu helfen. — Dann dacht ich wieder, daß
viele tauſend Handwerksburſche zu Fuß viel weiter in der
Welt herumkommen, als ich mit allen meinen Kredit-
briefen und Empfehlungsſchreiben. — Ich ſah, daß
ſie Ein Herz und Eine Seele waren, ſich eine beſtaͤndige
Treue, eine ewige Freundſchaft geſchworen hatten, und
hier empfand ich Gottes Guͤte und Weisheit, die den ge-
ringſten Menſchen das Leben leicht und angenehm macht.
— — Kurz, ich fing an zu weinen, wie ich ſie mitten
in der Straſſe verlies, und verlohr ganz Paris aus dem
Geſicht. Nachher fiels mir erſt ein, daß ich doch etwas
vom Reiſegeld haͤtte entbehren, und ihnen ſchenken koͤn-
nen, und nun konnt’ ich mir die Freude nicht mehr ma-
chen. — Ich ſprach mit einem meiner Bekannten nur
ein paar Worte davon. „Sie werden bald die Por-
cherons
kennen lernen,“ das war das Erſte, was er da-
bei dachte, und da muſt’ ich freilich das Geſpraͤch abbre-
chen. Aber ich habe dieſe Scene und dieſe Empfindun-

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[356/0380] daß man zum letztenmahl eben ſo von ihnen weggeht, wie aus der Viſite nach Hauſe. — — Ich weis nicht, warum der Auftritt mit den ehrlichen Teutſchen ſo einen Eindruck auf mich machte. Ich hatte lange keine geſe- hen. — So gern ich von Paris nach Holland reiſte; ſo ward mir doch beim Packen und Beſtellen das Herz ſchwer, wenn man ſo aus der Carriere wieder in den Poſt- wagen ſteigen ſoll; und beim Reiſen von einem Orte zum andern, wird man ſo muthlos, ſo unruhig, man ſtellt ſich hunderterlei moͤgliche Dinge zugleich vor; ich hatte eben die Ungenuͤgſamkeit und Grobheit der Franzoſen beim Fiaker noch erfahren. — Ich ſah dieſe zwei gute Leute wie verlaſſene Schaafe an, und dachte an die erſten Ta- ge, wo’s mir unmoͤglich vorkam, in einer ſo groſſen Stadt mir ſelber zu helfen. — Dann dacht ich wieder, daß viele tauſend Handwerksburſche zu Fuß viel weiter in der Welt herumkommen, als ich mit allen meinen Kredit- briefen und Empfehlungsſchreiben. — Ich ſah, daß ſie Ein Herz und Eine Seele waren, ſich eine beſtaͤndige Treue, eine ewige Freundſchaft geſchworen hatten, und hier empfand ich Gottes Guͤte und Weisheit, die den ge- ringſten Menſchen das Leben leicht und angenehm macht. — — Kurz, ich fing an zu weinen, wie ich ſie mitten in der Straſſe verlies, und verlohr ganz Paris aus dem Geſicht. Nachher fiels mir erſt ein, daß ich doch etwas vom Reiſegeld haͤtte entbehren, und ihnen ſchenken koͤn- nen, und nun konnt’ ich mir die Freude nicht mehr ma- chen. — Ich ſprach mit einem meiner Bekannten nur ein paar Worte davon. „Sie werden bald die Por- cherons kennen lernen,“ das war das Erſte, was er da- bei dachte, und da muſt’ ich freilich das Geſpraͤch abbre- chen. Aber ich habe dieſe Scene und dieſe Empfindun- gen

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/380>, abgerufen am 30.04.2024.