daran, daß Menschenleben wie Mayenblüthe ist, die ein Wind abwirft, und eine Nacht zerstört. Jeder Tag, der weggerieselt ist, soll mir ein Bote des Todes seyn. Jch will sterben, ehe ich sterbe; lehre mich meine Tage zählen, damit ich klug werde. Jch will immer mit we- nigeren Banden an der Erde hängen; ich will hintreten an die Grube, die mich bald aufnimmt, will auf den Hü- gel eines schlasenden Christen steigen, und hinüber- schauen in das grenzenlose Meer der Ewigkeit, wo ich unsterblich seyn werde.
Wir sehen dich nicht mehr unter deinen sterblichen Brüdern wandeln, großer Erlöser! Aber es ist doch süße Nahrung für uns, nach anderthalbtausend Jahren deine Geschichte zu lesen, und die Reihe der schönen und vortrefflichen Handlungen, die dir die Liebe des Volks erwarben, durchzugehen. Aus dem Grunde des Her- zens floß dir so manches Gute hervor, wie das Licht aus der Sonne strömt, wie Leben und Glück von deinem Thron ausfließt, und sich in alle Schöpsungen verbreitet! O, daß deine Wohlgewogenheit gegen andre, deine Güte und dein Mitleiden mit dem Armen auch mich zum Um- gang mit andern geschickt mache, und mich die Kunst lehre, auch dem, der am rauhen Bettelstab das Leben so hinschleppt, mit der Gabe in der Hand zu begegnen!
Noch ein Tropfen Zeit, so ist die Reise zurückgelegt, und meine Vaterstadt, die droben ist im Himmel, liegt vor meinen Augen. Ach, Wort Gottes! so geh du dann auch mit ins Elend, und begleite die Sterbenden bey ihrem Abschied!
Meine
B 3
Unterredungen mit Gott.
daran, daß Menſchenleben wie Mayenblüthe iſt, die ein Wind abwirft, und eine Nacht zerſtört. Jeder Tag, der weggerieſelt iſt, ſoll mir ein Bote des Todes ſeyn. Jch will ſterben, ehe ich ſterbe; lehre mich meine Tage zählen, damit ich klug werde. Jch will immer mit we- nigeren Banden an der Erde hängen; ich will hintreten an die Grube, die mich bald aufnimmt, will auf den Hü- gel eines ſchlaſenden Chriſten ſteigen, und hinüber- ſchauen in das grenzenloſe Meer der Ewigkeit, wo ich unſterblich ſeyn werde.
Wir ſehen dich nicht mehr unter deinen ſterblichen Brüdern wandeln, großer Erlöſer! Aber es iſt doch ſüße Nahrung für uns, nach anderthalbtauſend Jahren deine Geſchichte zu leſen, und die Reihe der ſchönen und vortrefflichen Handlungen, die dir die Liebe des Volks erwarben, durchzugehen. Aus dem Grunde des Her- zens floß dir ſo manches Gute hervor, wie das Licht aus der Sonne ſtrömt, wie Leben und Glück von deinem Thron ausfließt, und ſich in alle Schöpſungen verbreitet! O, daß deine Wohlgewogenheit gegen andre, deine Güte und dein Mitleiden mit dem Armen auch mich zum Um- gang mit andern geſchickt mache, und mich die Kunſt lehre, auch dem, der am rauhen Bettelſtab das Leben ſo hinſchleppt, mit der Gabe in der Hand zu begegnen!
Noch ein Tropfen Zeit, ſo iſt die Reiſe zurückgelegt, und meine Vaterſtadt, die droben iſt im Himmel, liegt vor meinen Augen. Ach, Wort Gottes! ſo geh du dann auch mit ins Elend, und begleite die Sterbenden bey ihrem Abſchied!
Meine
B 3
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Unterredungen mit Gott.
daran, daß Menſchenleben wie Mayenblüthe iſt, die ein
Wind abwirft, und eine Nacht zerſtört. Jeder Tag,
der weggerieſelt iſt, ſoll mir ein Bote des Todes ſeyn.
Jch will ſterben, ehe ich ſterbe; lehre mich meine Tage
zählen, damit ich klug werde. Jch will immer mit we-
nigeren Banden an der Erde hängen; ich will hintreten
an die Grube, die mich bald aufnimmt, will auf den Hü-
gel eines ſchlaſenden Chriſten ſteigen, und hinüber-
ſchauen in das grenzenloſe Meer der Ewigkeit, wo ich
unſterblich ſeyn werde.
Wir ſehen dich nicht mehr unter deinen ſterblichen
Brüdern wandeln, großer Erlöſer! Aber es iſt doch
ſüße Nahrung für uns, nach anderthalbtauſend Jahren
deine Geſchichte zu leſen, und die Reihe der ſchönen und
vortrefflichen Handlungen, die dir die Liebe des Volks
erwarben, durchzugehen. Aus dem Grunde des Her-
zens floß dir ſo manches Gute hervor, wie das Licht aus
der Sonne ſtrömt, wie Leben und Glück von deinem
Thron ausfließt, und ſich in alle Schöpſungen verbreitet!
O, daß deine Wohlgewogenheit gegen andre, deine Güte
und dein Mitleiden mit dem Armen auch mich zum Um-
gang mit andern geſchickt mache, und mich die Kunſt
lehre, auch dem, der am rauhen Bettelſtab das Leben
ſo hinſchleppt, mit der Gabe in der Hand zu begegnen!
Noch ein Tropfen Zeit, ſo iſt die Reiſe zurückgelegt,
und meine Vaterſtadt, die droben iſt im Himmel, liegt
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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/27>, abgerufen am 16.06.2024.
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