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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Neun und zwantzigste Geistliche Lection
mer aber kaum erscheinet: Also machens die Gleißner/ so ihre falsche
Tugenden in Zeit der Glückseligkeit umb Ruhms willen zeigen; und in
der Hitze der Widerwärtigkeit außtrucknen/ und offenbahren also/ wer
sie seyen/ recht nach dem Art der Papageyen/ welche/ so man ihnen
fleissig auffwartet/ und nichts mangelen lasset/ die Rede der Menschen
nachschwetzen/ und das Pfeiffen der Vögel gar artig lernen: Thut man
ihnen aber böses/ und schlagt sie/ so setzen sie ihre Kunst-Sprachen auff
die Seiten/ und heulen und weinbsen wie sie vorhin von der Natur gelehret
worden. Ebener Weiß finden sich unter Menschen einige/ so da in ihrer
Wohlfart das Leben der Heiligen nachfolgen; reden als wie Heilige/
gehen daher wie Heilige: Jn Summa; alle ihre Sitten und Gebärden
schmecken gantz und zumahlen nach der Heiligkeit: Werden sie aber ange-
griffen/ tritt man ihnen auff die Füß/ und widerfahret ihnen einiges Un-
bill; so geben sie alsbald ihre Natur zu erkennen/ werden vielmehr/ und
leichtlicher/ als andere erzürnet/ und suchen sich/ aber gantz verdeckter Weiß/
zu rechnen.

Nicol.
Lyrae.
Apoph.
p.
259.

8. Diese saubere Schein - Heilige mögen wohl für ihre sonderbahre Pa-
tron
in verchren jenes närrische Weib/ so sich in allen ihren Beichten/ als
ein gottlose und sehr grosse Sünderin anzuklagen pflegte; damit sie nur
vom Beichts-Vatter für demüthig und heilig gehalten würde. Auff/ daß
nun selbiger in Erfahrung dieser Heiligkeit gerathen möchte; sagte er zu
diesem seinem Beichts-Kind/ daß er von andern Leuten auch gehört hätte/
daß sie eine so grosse Sünderin wäre; sie solte nun anfangen/ und sich
dermahlen eins ernstlich besseren: Da dieses das heilige Weib höret/ wird
sie hier über hefftig entrüstet/ fangt an zu zürnen und zu schmähen über die
jenige/ so sich solten erkühnet haben/ ihro solcher Gestalt übel nachreden.
Was hat aber dieses elende Weib hiemit anders an Tag/ und dem Beichts-
Vatter zu erkennen gegeben/ als eben ihre falsche und angenommene
Phariseische Heiligkeit. Hüte dich/ mein Christliche Seel/ für dieses
Laster mehr/ dann für andere; dieweilen solche Wund übel zu curiren
ist: Sintemalen die Gleißner weder ihre Schuld bekennen/ weder sich
bessern lassen wollen: Dann sie seynd ehender bereit zu sterben/ sagt der
Heil Gregorius/ als bestrafft zu werden. Was dieses Laster weiters für
In mor.ein Grewel seye in den Augen GOttes/ daß können wir auß dem Zeugnüß
der ewigen Warheit gnugsamb abnehmen; zumahlen Christus kein ein-
tziges Laster so offt/ und mit so scharffen Trew-Worten immer hergenom-

men/

Die Neun und zwantzigſte Geiſtliche Lection
mer aber kaum erſcheinet: Alſo machens die Gleißner/ ſo ihre falſche
Tugenden in Zeit der Gluͤckſeligkeit umb Ruhms willen zeigen; und in
der Hitze der Widerwaͤrtigkeit außtrucknen/ und offenbahren alſo/ wer
ſie ſeyen/ recht nach dem Art der Papageyen/ welche/ ſo man ihnen
fleiſſig auffwartet/ und nichts mangelen laſſet/ die Rede der Menſchen
nachſchwetzen/ und das Pfeiffen der Voͤgel gar artig lernen: Thut man
ihnen aber boͤſes/ und ſchlagt ſie/ ſo ſetzen ſie ihre Kunſt-Sprachen auff
die Seiten/ und heulen und weinbſen wie ſie vorhin von der Natur gelehret
worden. Ebener Weiß finden ſich unter Menſchen einige/ ſo da in ihrer
Wohlfart das Leben der Heiligen nachfolgen; reden als wie Heilige/
gehen daher wie Heilige: Jn Summa; alle ihre Sitten und Gebaͤrden
ſchmecken gantz und zumahlen nach der Heiligkeit: Werden ſie aber ange-
griffen/ tritt man ihnen auff die Fuͤß/ und widerfahret ihnen einiges Un-
bill; ſo geben ſie alsbald ihre Natur zu erkennen/ werden vielmehr/ und
leichtlicher/ als andere erzuͤrnet/ und ſuchen ſich/ aber gantz verdeckter Weiß/
zu rechnen.

Nicol.
Lyræ.
Apoph.
p.
259.

8. Dieſe ſaubere Schein - Heilige moͤgen wohl fuͤr ihre ſonderbahre Pa-
tron
in verchren jenes naͤrriſche Weib/ ſo ſich in allen ihren Beichten/ als
ein gottloſe und ſehr groſſe Suͤnderin anzuklagen pflegte; damit ſie nur
vom Beichts-Vatter fuͤr demuͤthig und heilig gehalten wuͤrde. Auff/ daß
nun ſelbiger in Erfahrung dieſer Heiligkeit gerathen moͤchte; ſagte er zu
dieſem ſeinem Beichts-Kind/ daß er von andern Leuten auch gehoͤrt haͤtte/
daß ſie eine ſo groſſe Suͤnderin waͤre; ſie ſolte nun anfangen/ und ſich
dermahlen eins ernſtlich beſſeren: Da dieſes das heilige Weib hoͤret/ wird
ſie hier uͤber hefftig entruͤſtet/ fangt an zu zuͤrnen und zu ſchmaͤhen uͤber die
jenige/ ſo ſich ſolten erkuͤhnet haben/ ihro ſolcher Geſtalt uͤbel nachreden.
Was hat aber dieſes elende Weib hiemit anders an Tag/ und dem Beichts-
Vatter zu erkennen gegeben/ als eben ihre falſche und angenommene
Phariſeiſche Heiligkeit. Huͤte dich/ mein Chriſtliche Seel/ fuͤr dieſes
Laſter mehr/ dann fuͤr andere; dieweilen ſolche Wund uͤbel zu curiren
iſt: Sintemalen die Gleißner weder ihre Schuld bekennen/ weder ſich
beſſern laſſen wollen: Dann ſie ſeynd ehender bereit zu ſterben/ ſagt der
Heil Gregorius/ als beſtrafft zu werden. Was dieſes Laſter weiters fuͤr
In mor.ein Grewel ſeye in den Augen GOttes/ daß koͤnnen wir auß dem Zeugnuͤß
der ewigen Warheit gnugſamb abnehmen; zumahlen Chriſtus kein ein-
tziges Laſter ſo offt/ und mit ſo ſcharffen Trew-Worten immer hergenom-

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[370/0398] Die Neun und zwantzigſte Geiſtliche Lection mer aber kaum erſcheinet: Alſo machens die Gleißner/ ſo ihre falſche Tugenden in Zeit der Gluͤckſeligkeit umb Ruhms willen zeigen; und in der Hitze der Widerwaͤrtigkeit außtrucknen/ und offenbahren alſo/ wer ſie ſeyen/ recht nach dem Art der Papageyen/ welche/ ſo man ihnen fleiſſig auffwartet/ und nichts mangelen laſſet/ die Rede der Menſchen nachſchwetzen/ und das Pfeiffen der Voͤgel gar artig lernen: Thut man ihnen aber boͤſes/ und ſchlagt ſie/ ſo ſetzen ſie ihre Kunſt-Sprachen auff die Seiten/ und heulen und weinbſen wie ſie vorhin von der Natur gelehret worden. Ebener Weiß finden ſich unter Menſchen einige/ ſo da in ihrer Wohlfart das Leben der Heiligen nachfolgen; reden als wie Heilige/ gehen daher wie Heilige: Jn Summa; alle ihre Sitten und Gebaͤrden ſchmecken gantz und zumahlen nach der Heiligkeit: Werden ſie aber ange- griffen/ tritt man ihnen auff die Fuͤß/ und widerfahret ihnen einiges Un- bill; ſo geben ſie alsbald ihre Natur zu erkennen/ werden vielmehr/ und leichtlicher/ als andere erzuͤrnet/ und ſuchen ſich/ aber gantz verdeckter Weiß/ zu rechnen. 8. Dieſe ſaubere Schein - Heilige moͤgen wohl fuͤr ihre ſonderbahre Pa- tronin verchren jenes naͤrriſche Weib/ ſo ſich in allen ihren Beichten/ als ein gottloſe und ſehr groſſe Suͤnderin anzuklagen pflegte; damit ſie nur vom Beichts-Vatter fuͤr demuͤthig und heilig gehalten wuͤrde. Auff/ daß nun ſelbiger in Erfahrung dieſer Heiligkeit gerathen moͤchte; ſagte er zu dieſem ſeinem Beichts-Kind/ daß er von andern Leuten auch gehoͤrt haͤtte/ daß ſie eine ſo groſſe Suͤnderin waͤre; ſie ſolte nun anfangen/ und ſich dermahlen eins ernſtlich beſſeren: Da dieſes das heilige Weib hoͤret/ wird ſie hier uͤber hefftig entruͤſtet/ fangt an zu zuͤrnen und zu ſchmaͤhen uͤber die jenige/ ſo ſich ſolten erkuͤhnet haben/ ihro ſolcher Geſtalt uͤbel nachreden. Was hat aber dieſes elende Weib hiemit anders an Tag/ und dem Beichts- Vatter zu erkennen gegeben/ als eben ihre falſche und angenommene Phariſeiſche Heiligkeit. Huͤte dich/ mein Chriſtliche Seel/ fuͤr dieſes Laſter mehr/ dann fuͤr andere; dieweilen ſolche Wund uͤbel zu curiren iſt: Sintemalen die Gleißner weder ihre Schuld bekennen/ weder ſich beſſern laſſen wollen: Dann ſie ſeynd ehender bereit zu ſterben/ ſagt der Heil Gregorius/ als beſtrafft zu werden. Was dieſes Laſter weiters fuͤr ein Grewel ſeye in den Augen GOttes/ daß koͤnnen wir auß dem Zeugnuͤß der ewigen Warheit gnugſamb abnehmen; zumahlen Chriſtus kein ein- tziges Laſter ſo offt/ und mit ſo ſcharffen Trew-Worten immer hergenom- men/ In mor.

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/398>, abgerufen am 30.04.2024.