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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von der Barmhertzigkit GOttes.
verwicklet werden; dennoch sehe ich auff sie mit derselben Liebe/ mit
welcher ich sie erwählet hab/ und habe in der jenigen Klarheit auff sie
Achtung/ zu welcher sie einsmals gelangen werden. Es ist dem Men-
schen gut/ daß er offt gedencke/ mit was vor Liebe ich ihn umb nichts
erwählet/ wiewohl ichs mit ihme gemeint/ und wie lieblich ich ihn ange-
sehen habe; auch da er in Sünden steckte; und wie vätterlich ich seine
Ubel ins Gute verändert habe. O unergründliche Tieffe der Weißheit
und Barmhertzigkeit GOttes/ der auff so unterschiedlich- und wunder-
barliche Weisen das Hertz deß sündigen Menschens vom bösen ab- und an
sich zu zichen sich unterstehet/ und allen Weeg zur Verzweifflung be-
ster Massen versperret!

13. Schließlich/ damit unser Heyland die gäntzliche Wurtzel deß
Mißtrauens und Verzweifflung auß unseren Hertzen zumahlen außrupf-
fen mögte; hat er der H. Catharinä von Senis offenbahret und gesagt:
Blosius.Die jenige Sünder/ so in ihrem Hinscheiden von meiner Barmhertzig-
keit verzweifflen/ dicselbige erzürnen mich viel gröber mit dieser eintzigen
Sünd/ als sie mit allen ihren anderen Sünden deß gantzen Lebens mich be-
leydiget haben. Auch hat er hinzugesetzt; wann einem Sünder/ so groß
er auch immer seyn mag/ in der Warheit leyd ist/ daß mich erzürnet hat/
und auff meine Barmhertzigkeit treulich hoffet; so wird er sie unfehlbar
finden; sintemahlen meine Barmhertzigkeit unendlich grösser ist/ als alle
Sünden/ so jemahlen von einer Creatur begangen seynd/ und noch kön-
nen begangen werden. Auß diesem/ und dergleichen/ die ich kürtzheit hal-
ber vorbeygehe/ kan ein jeder leichtlich schliessen/ welcher Gestalt er auff
die Barmhertzigkeit GOttes zu hoffen/ und selbige zu sinden habe. Da-
mit er aber auß Betrachtung so grossen Mildigkeit GOttes gegen den
Sünder seinen bösen Begierden den Zaum desto freyer nicht lasse: soll
er zugleich die Augen seines Hertzens werffen auff die allerscharffeste Ge-
rechtigkeit deß Allerhöchsten/ welche das gringste Verbrechen nicht
ungestrafft lasset. Derhalben mein Christliche Seel/ kürtzlich zu reden/
förchte also die Gerechtigkeit/ daß du suchest die Barmhertzigkeit: ver-
traue also auff die Barmhertzigkeit/ daß du gleichwohl
vor der Gerechtigkeit erzitterest.

Die

Von der Barmhertzigkit GOttes.
verwicklet werden; dennoch ſehe ich auff ſie mit derſelben Liebe/ mit
welcher ich ſie erwaͤhlet hab/ und habe in der jenigen Klarheit auff ſie
Achtung/ zu welcher ſie einsmals gelangen werden. Es iſt dem Men-
ſchen gut/ daß er offt gedencke/ mit was vor Liebe ich ihn umb nichts
erwaͤhlet/ wiewohl ichs mit ihme gemeint/ und wie lieblich ich ihn ange-
ſehen habe; auch da er in Suͤnden ſteckte; und wie vaͤtterlich ich ſeine
Ubel ins Gute veraͤndert habe. O unergruͤndliche Tieffe der Weißheit
und Barmhertzigkeit GOttes/ der auff ſo unterſchiedlich- und wunder-
barliche Weiſen das Hertz deß ſuͤndigen Menſchens vom boͤſen ab- und an
ſich zu zichen ſich unterſtehet/ und allen Weeg zur Verzweifflung be-
ſter Maſſen verſperret!

13. Schließlich/ damit unſer Heyland die gaͤntzliche Wurtzel deß
Mißtrauens und Verzweifflung auß unſeren Hertzen zumahlen außrupf-
fen moͤgte; hat er der H. Catharinaͤ von Senis offenbahret und geſagt:
Bloſius.Die jenige Suͤnder/ ſo in ihrem Hinſcheiden von meiner Barmhertzig-
keit verzweifflen/ dicſelbige erzuͤrnen mich viel groͤber mit dieſer eintzigen
Suͤnd/ als ſie mit allen ihren anderen Suͤnden deß gantzen Lebens mich be-
leydiget haben. Auch hat er hinzugeſetzt; wann einem Suͤnder/ ſo groß
er auch immer ſeyn mag/ in der Warheit leyd iſt/ daß mich erzuͤrnet hat/
und auff meine Barmhertzigkeit treulich hoffet; ſo wird er ſie unfehlbar
finden; ſintemahlen meine Barmhertzigkeit unendlich groͤſſer iſt/ als alle
Suͤnden/ ſo jemahlen von einer Creatur begangen ſeynd/ und noch koͤn-
nen begangen werden. Auß dieſem/ und dergleichen/ die ich kuͤrtzheit hal-
ber vorbeygehe/ kan ein jeder leichtlich ſchlieſſen/ welcher Geſtalt er auff
die Barmhertzigkeit GOttes zu hoffen/ und ſelbige zu ſinden habe. Da-
mit er aber auß Betrachtung ſo groſſen Mildigkeit GOttes gegen den
Suͤnder ſeinen boͤſen Begierden den Zaum deſto freyer nicht laſſe: ſoll
er zugleich die Augen ſeines Hertzens werffen auff die allerſcharffeſte Ge-
rechtigkeit deß Allerhoͤchſten/ welche das gringſte Verbrechen nicht
ungeſtrafft laſſet. Derhalben mein Chriſtliche Seel/ kuͤrtzlich zu reden/
foͤrchte alſo die Gerechtigkeit/ daß du ſucheſt die Barmhertzigkeit: ver-
traue alſo auff die Barmhertzigkeit/ daß du gleichwohl
vor der Gerechtigkeit erzittereſt.

Die
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[32/0060] Von der Barmhertzigkit GOttes. verwicklet werden; dennoch ſehe ich auff ſie mit derſelben Liebe/ mit welcher ich ſie erwaͤhlet hab/ und habe in der jenigen Klarheit auff ſie Achtung/ zu welcher ſie einsmals gelangen werden. Es iſt dem Men- ſchen gut/ daß er offt gedencke/ mit was vor Liebe ich ihn umb nichts erwaͤhlet/ wiewohl ichs mit ihme gemeint/ und wie lieblich ich ihn ange- ſehen habe; auch da er in Suͤnden ſteckte; und wie vaͤtterlich ich ſeine Ubel ins Gute veraͤndert habe. O unergruͤndliche Tieffe der Weißheit und Barmhertzigkeit GOttes/ der auff ſo unterſchiedlich- und wunder- barliche Weiſen das Hertz deß ſuͤndigen Menſchens vom boͤſen ab- und an ſich zu zichen ſich unterſtehet/ und allen Weeg zur Verzweifflung be- ſter Maſſen verſperret! 13. Schließlich/ damit unſer Heyland die gaͤntzliche Wurtzel deß Mißtrauens und Verzweifflung auß unſeren Hertzen zumahlen außrupf- fen moͤgte; hat er der H. Catharinaͤ von Senis offenbahret und geſagt: Die jenige Suͤnder/ ſo in ihrem Hinſcheiden von meiner Barmhertzig- keit verzweifflen/ dicſelbige erzuͤrnen mich viel groͤber mit dieſer eintzigen Suͤnd/ als ſie mit allen ihren anderen Suͤnden deß gantzen Lebens mich be- leydiget haben. Auch hat er hinzugeſetzt; wann einem Suͤnder/ ſo groß er auch immer ſeyn mag/ in der Warheit leyd iſt/ daß mich erzuͤrnet hat/ und auff meine Barmhertzigkeit treulich hoffet; ſo wird er ſie unfehlbar finden; ſintemahlen meine Barmhertzigkeit unendlich groͤſſer iſt/ als alle Suͤnden/ ſo jemahlen von einer Creatur begangen ſeynd/ und noch koͤn- nen begangen werden. Auß dieſem/ und dergleichen/ die ich kuͤrtzheit hal- ber vorbeygehe/ kan ein jeder leichtlich ſchlieſſen/ welcher Geſtalt er auff die Barmhertzigkeit GOttes zu hoffen/ und ſelbige zu ſinden habe. Da- mit er aber auß Betrachtung ſo groſſen Mildigkeit GOttes gegen den Suͤnder ſeinen boͤſen Begierden den Zaum deſto freyer nicht laſſe: ſoll er zugleich die Augen ſeines Hertzens werffen auff die allerſcharffeſte Ge- rechtigkeit deß Allerhoͤchſten/ welche das gringſte Verbrechen nicht ungeſtrafft laſſet. Derhalben mein Chriſtliche Seel/ kuͤrtzlich zu reden/ foͤrchte alſo die Gerechtigkeit/ daß du ſucheſt die Barmhertzigkeit: ver- traue alſo auff die Barmhertzigkeit/ daß du gleichwohl vor der Gerechtigkeit erzittereſt. Bloſius. Die

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/60>, abgerufen am 29.04.2024.