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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 17. Gesetze.
Fall vor, daß über eine Rechtsfrage widerstreitende Stel-
len der Digesten vorliegen, und daß über dieselbe Frage
eine nicht glossirte Novelle von Justinian sich ausspricht.
Wenngleich diese nicht die Kraft eines Gesetzes hat, so
ist ihr dennoch die einer höchst wichtigen Autorität nicht
abzusprechen, und so wird auch von praktischen Schriftstellern
mit Recht Rücksicht auf unglossirte Novellen genommen (n).

Finden sich nun aber auch einzelne Urtheilssprüche,
worin restituirte Stücke des Justinianischen Rechts gera-
dezu als Gesetze angewendet seyn mögen, so ist doch ein-
leuchtend, daß durch so seltene und vereinzelte Entschei-
dungen das hier aufgestellte Princip weder aufgehoben,
noch auch nur zweifelhaft gemacht seyn kann, da die
Wahrheit desselben im Allgemeinen von Theoretikern und
Praktikern aller Jahrhunderte stets anerkannt worden ist.

Außer dem Römischen Recht kommt hier als Gesetz
in Betracht das canonische Recht, insofern es Römi-
sche Rechtsinstitute fortgebildet und modificirt hat. Denn
auch dies hat eine gleich allgemeine Europäische Anerken-
nung gefunden, wie das Römische. Jedoch läßt sich diese
Anerkennung mit Sicherheit nur von folgenden Samm-

(n) Dahin gehört die unglos-
sirte Nov. 162, s. u. § 164. --
Der hier anerkannte blos wissen-
schaftliche Gebrauch der Rechts-
quellen vor und nach Justinian,
läßt sich noch durch zwey völlig
passende Analogieen erläutern.
Dieselbe Art des Gebrauchs näm-
lich muß behauptet werden für
die altdeutschen Rechtsquellen in
den Ländern des gemeinen Rechts;
eben so aber auch für das Rö-
mische Recht in den mit neuen
Gesetzbüchern versehenen Län-
dern (Preußen, Österreich, Frank-
reich).

§. 17. Geſetze.
Fall vor, daß über eine Rechtsfrage widerſtreitende Stel-
len der Digeſten vorliegen, und daß über dieſelbe Frage
eine nicht gloſſirte Novelle von Juſtinian ſich ausſpricht.
Wenngleich dieſe nicht die Kraft eines Geſetzes hat, ſo
iſt ihr dennoch die einer höchſt wichtigen Autorität nicht
abzuſprechen, und ſo wird auch von praktiſchen Schriftſtellern
mit Recht Rückſicht auf ungloſſirte Novellen genommen (n).

Finden ſich nun aber auch einzelne Urtheilsſprüche,
worin reſtituirte Stücke des Juſtinianiſchen Rechts gera-
dezu als Geſetze angewendet ſeyn mögen, ſo iſt doch ein-
leuchtend, daß durch ſo ſeltene und vereinzelte Entſchei-
dungen das hier aufgeſtellte Princip weder aufgehoben,
noch auch nur zweifelhaft gemacht ſeyn kann, da die
Wahrheit deſſelben im Allgemeinen von Theoretikern und
Praktikern aller Jahrhunderte ſtets anerkannt worden iſt.

Außer dem Römiſchen Recht kommt hier als Geſetz
in Betracht das canoniſche Recht, inſofern es Römi-
ſche Rechtsinſtitute fortgebildet und modificirt hat. Denn
auch dies hat eine gleich allgemeine Europäiſche Anerken-
nung gefunden, wie das Römiſche. Jedoch läßt ſich dieſe
Anerkennung mit Sicherheit nur von folgenden Samm-

(n) Dahin gehört die ungloſ-
ſirte Nov. 162, ſ. u. § 164. —
Der hier anerkannte blos wiſſen-
ſchaftliche Gebrauch der Rechts-
quellen vor und nach Juſtinian,
läßt ſich noch durch zwey völlig
paſſende Analogieen erläutern.
Dieſelbe Art des Gebrauchs näm-
lich muß behauptet werden für
die altdeutſchen Rechtsquellen in
den Ländern des gemeinen Rechts;
eben ſo aber auch für das Rö-
miſche Recht in den mit neuen
Geſetzbüchern verſehenen Län-
dern (Preußen, Öſterreich, Frank-
reich).
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[75/0131] §. 17. Geſetze. Fall vor, daß über eine Rechtsfrage widerſtreitende Stel- len der Digeſten vorliegen, und daß über dieſelbe Frage eine nicht gloſſirte Novelle von Juſtinian ſich ausſpricht. Wenngleich dieſe nicht die Kraft eines Geſetzes hat, ſo iſt ihr dennoch die einer höchſt wichtigen Autorität nicht abzuſprechen, und ſo wird auch von praktiſchen Schriftſtellern mit Recht Rückſicht auf ungloſſirte Novellen genommen (n). Finden ſich nun aber auch einzelne Urtheilsſprüche, worin reſtituirte Stücke des Juſtinianiſchen Rechts gera- dezu als Geſetze angewendet ſeyn mögen, ſo iſt doch ein- leuchtend, daß durch ſo ſeltene und vereinzelte Entſchei- dungen das hier aufgeſtellte Princip weder aufgehoben, noch auch nur zweifelhaft gemacht ſeyn kann, da die Wahrheit deſſelben im Allgemeinen von Theoretikern und Praktikern aller Jahrhunderte ſtets anerkannt worden iſt. Außer dem Römiſchen Recht kommt hier als Geſetz in Betracht das canoniſche Recht, inſofern es Römi- ſche Rechtsinſtitute fortgebildet und modificirt hat. Denn auch dies hat eine gleich allgemeine Europäiſche Anerken- nung gefunden, wie das Römiſche. Jedoch läßt ſich dieſe Anerkennung mit Sicherheit nur von folgenden Samm- (n) Dahin gehört die ungloſ- ſirte Nov. 162, ſ. u. § 164. — Der hier anerkannte blos wiſſen- ſchaftliche Gebrauch der Rechts- quellen vor und nach Juſtinian, läßt ſich noch durch zwey völlig paſſende Analogieen erläutern. Dieſelbe Art des Gebrauchs näm- lich muß behauptet werden für die altdeutſchen Rechtsquellen in den Ländern des gemeinen Rechts; eben ſo aber auch für das Rö- miſche Recht in den mit neuen Geſetzbüchern verſehenen Län- dern (Preußen, Öſterreich, Frank- reich).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/131>, abgerufen am 29.04.2024.