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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 37. Mangelhafte Gesetze. Unrichtiger Ausdruck.
muß (a). Die Annahme dieser Regel macht keine Schwie-
rigkeit, dagegen kann ihre Anwendung sehr schwierig seyn,
indem Alles darauf ankommt, daß die hier vorausgesetzte
Thatsache zur Gewißheit erhoben werde.

Die Fälle dieser Art bieten eine weit geringere Man-
nichfaltigkeit dar, als die des unbestimmten Ausdrucks
(§ 36). Ihre Verschiedenheit bezieht sich nur auf das
logische Verhältniß des Ausdrucks zum Gedanken, indem
jener entweder weniger oder mehr enthalten kann als der
Gedanke. Im ersten Fall geschieht die Berichtigung des
Ausdrucks durch eine ausdehnende Auslegung, im zwey-
ten durch eine einschränkende (b). Beide gehen ledig-
lich darauf aus, den Ausdruck mit dem wirklichen Ge-
danken in Übereinstimmung zu bringen.

Diese Behandlung des unrichtigen Ausdrucks ist von
der des unbestimmten in den wichtigsten Beziehungen ver-
schieden. -- Zum Grunde liegt die Voraussetzung, es sey
vorhanden ein bestimmter Gedanke, in Verbindung mit
einem unvollkommenen Ausdruck. Dieses Verhältniß kön-
nen wir nicht, wie die Unbestimmtheit, auf logischem,
sondern nur auf historischem Wege erkennen, weshalb die

(a) L. 17 de leg. (1. 3.) "Scire
leges non est verba earum te-
nere, sed vim ac potestatem."
L. 6 § 1 de V. S. (50. 16.). L.
13 § 2 de excus. (27. 1.). L. 19
ad exhib.
(10. 4.).
(b) Die Neueren nennen es
mit nichtrömischen Ausdrücken
interpfetatio extensiva, restri-
ctiva,
und setzen dann wohl bei-
den entgegen die declarativa,
die weder ausdehnt noch ein-
schränkt, indem sie sich gar nicht
auf ein in dieser Art mangelhaf-
tes Gesetz bezieht (§ 36 d).

§. 37. Mangelhafte Geſetze. Unrichtiger Ausdruck.
muß (a). Die Annahme dieſer Regel macht keine Schwie-
rigkeit, dagegen kann ihre Anwendung ſehr ſchwierig ſeyn,
indem Alles darauf ankommt, daß die hier vorausgeſetzte
Thatſache zur Gewißheit erhoben werde.

Die Fälle dieſer Art bieten eine weit geringere Man-
nichfaltigkeit dar, als die des unbeſtimmten Ausdrucks
(§ 36). Ihre Verſchiedenheit bezieht ſich nur auf das
logiſche Verhältniß des Ausdrucks zum Gedanken, indem
jener entweder weniger oder mehr enthalten kann als der
Gedanke. Im erſten Fall geſchieht die Berichtigung des
Ausdrucks durch eine ausdehnende Auslegung, im zwey-
ten durch eine einſchränkende (b). Beide gehen ledig-
lich darauf aus, den Ausdruck mit dem wirklichen Ge-
danken in Übereinſtimmung zu bringen.

Dieſe Behandlung des unrichtigen Ausdrucks iſt von
der des unbeſtimmten in den wichtigſten Beziehungen ver-
ſchieden. — Zum Grunde liegt die Vorausſetzung, es ſey
vorhanden ein beſtimmter Gedanke, in Verbindung mit
einem unvollkommenen Ausdruck. Dieſes Verhältniß kön-
nen wir nicht, wie die Unbeſtimmtheit, auf logiſchem,
ſondern nur auf hiſtoriſchem Wege erkennen, weshalb die

(a) L. 17 de leg. (1. 3.) „Scire
leges non est verba earum te-
nere, sed vim ac potestatem.”
L. 6 § 1 de V. S. (50. 16.). L.
13 § 2 de excus. (27. 1.). L. 19
ad exhib.
(10. 4.).
(b) Die Neueren nennen es
mit nichtrömiſchen Ausdrücken
interpfetatio extensiva, restri-
ctiva,
und ſetzen dann wohl bei-
den entgegen die declarativa,
die weder ausdehnt noch ein-
ſchränkt, indem ſie ſich gar nicht
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tes Geſetz bezieht (§ 36 d).
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[231/0287] §. 37. Mangelhafte Geſetze. Unrichtiger Ausdruck. muß (a). Die Annahme dieſer Regel macht keine Schwie- rigkeit, dagegen kann ihre Anwendung ſehr ſchwierig ſeyn, indem Alles darauf ankommt, daß die hier vorausgeſetzte Thatſache zur Gewißheit erhoben werde. Die Fälle dieſer Art bieten eine weit geringere Man- nichfaltigkeit dar, als die des unbeſtimmten Ausdrucks (§ 36). Ihre Verſchiedenheit bezieht ſich nur auf das logiſche Verhältniß des Ausdrucks zum Gedanken, indem jener entweder weniger oder mehr enthalten kann als der Gedanke. Im erſten Fall geſchieht die Berichtigung des Ausdrucks durch eine ausdehnende Auslegung, im zwey- ten durch eine einſchränkende (b). Beide gehen ledig- lich darauf aus, den Ausdruck mit dem wirklichen Ge- danken in Übereinſtimmung zu bringen. Dieſe Behandlung des unrichtigen Ausdrucks iſt von der des unbeſtimmten in den wichtigſten Beziehungen ver- ſchieden. — Zum Grunde liegt die Vorausſetzung, es ſey vorhanden ein beſtimmter Gedanke, in Verbindung mit einem unvollkommenen Ausdruck. Dieſes Verhältniß kön- nen wir nicht, wie die Unbeſtimmtheit, auf logiſchem, ſondern nur auf hiſtoriſchem Wege erkennen, weshalb die (a) L. 17 de leg. (1. 3.) „Scire leges non est verba earum te- nere, sed vim ac potestatem.” L. 6 § 1 de V. S. (50. 16.). L. 13 § 2 de excus. (27. 1.). L. 19 ad exhib. (10. 4.). (b) Die Neueren nennen es mit nichtrömiſchen Ausdrücken interpfetatio extensiva, restri- ctiva, und ſetzen dann wohl bei- den entgegen die declarativa, die weder ausdehnt noch ein- ſchränkt, indem ſie ſich gar nicht auf ein in dieſer Art mangelhaf- tes Geſetz bezieht (§ 36 d).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/287>, abgerufen am 29.04.2024.