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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
der alten Juristen ist diese Fortbildung, wenngleich in
geringerem Maaße als bey den Rescripten, nicht fremd
(§ 14. 19.), welches noch deutlicher bey der Characteristik
ihrer Weise der Auslegung hervortreten wird. Zweytens
wäre es ganz irrig, wenn man die oben dargestellten all-
gemeinen Grundsätze der Gesetzauslegung auf die Re-
scripte im Codex, und auf die gesammten Digesten, darum
weniger anwenden wollte, weil diese Stücke der Quellen
ursprünglich keine Gesetze waren; denn jene Grundsätze
sind ihrem innern Wesen nach auf jede andere Form juri-
stischer Gedankenbildung eben so anwendbar, als auf Ge-
setze, obgleich die Entwicklung derselben zunächst um der
Gesetze willen nothwendig war. Auch habe ich deshalb
bisher die erläuternden Beyspiele der Auslegung ohne
Rücksicht darauf gewählt, ob die auszulegenden Stellen
ursprünglich die Natur von Gesetzen an sich trugen oder
nicht. -- Die zweyte Klasse von Bestandtheilen der gro-
ßen Rechtsbücher ist die der ursprünglichen Gesetze, wohin
also nur die Edicte im Codex gehören. Bey diesen ist
das historische Element der Auslegung (§ 33) eben so vor-
herrschend, wie es dort das systematische war (b). Eine
ganz gleiche Natur aber haben auch die Novellen, welche
überhaupt nicht Bestandtheile eines größeren Ganzen, son-
dern nur einzeln stehende Gesetze sind.


(b) So z. B. ist bey der Aus-
legung der L. un. C. de nudo
j. quir. toll.
(7. 25.) die Haupt-
frage diese: welches Recht galt
hierin im Anfang der Regierung
Justinians, und was wurde also
durch jenes Gesetz wahrhaft ge-
ändert?

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
der alten Juriſten iſt dieſe Fortbildung, wenngleich in
geringerem Maaße als bey den Reſcripten, nicht fremd
(§ 14. 19.), welches noch deutlicher bey der Characteriſtik
ihrer Weiſe der Auslegung hervortreten wird. Zweytens
wäre es ganz irrig, wenn man die oben dargeſtellten all-
gemeinen Grundſätze der Geſetzauslegung auf die Re-
ſcripte im Codex, und auf die geſammten Digeſten, darum
weniger anwenden wollte, weil dieſe Stücke der Quellen
urſprünglich keine Geſetze waren; denn jene Grundſätze
ſind ihrem innern Weſen nach auf jede andere Form juri-
ſtiſcher Gedankenbildung eben ſo anwendbar, als auf Ge-
ſetze, obgleich die Entwicklung derſelben zunächſt um der
Geſetze willen nothwendig war. Auch habe ich deshalb
bisher die erläuternden Beyſpiele der Auslegung ohne
Rückſicht darauf gewählt, ob die auszulegenden Stellen
urſprünglich die Natur von Geſetzen an ſich trugen oder
nicht. — Die zweyte Klaſſe von Beſtandtheilen der gro-
ßen Rechtsbücher iſt die der urſprünglichen Geſetze, wohin
alſo nur die Edicte im Codex gehören. Bey dieſen iſt
das hiſtoriſche Element der Auslegung (§ 33) eben ſo vor-
herrſchend, wie es dort das ſyſtematiſche war (b). Eine
ganz gleiche Natur aber haben auch die Novellen, welche
überhaupt nicht Beſtandtheile eines größeren Ganzen, ſon-
dern nur einzeln ſtehende Geſetze ſind.


(b) So z. B. iſt bey der Aus-
legung der L. un. C. de nudo
j. quir. toll.
(7. 25.) die Haupt-
frage dieſe: welches Recht galt
hierin im Anfang der Regierung
Juſtinians, und was wurde alſo
durch jenes Geſetz wahrhaft ge-
ändert?
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[254/0310] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. der alten Juriſten iſt dieſe Fortbildung, wenngleich in geringerem Maaße als bey den Reſcripten, nicht fremd (§ 14. 19.), welches noch deutlicher bey der Characteriſtik ihrer Weiſe der Auslegung hervortreten wird. Zweytens wäre es ganz irrig, wenn man die oben dargeſtellten all- gemeinen Grundſätze der Geſetzauslegung auf die Re- ſcripte im Codex, und auf die geſammten Digeſten, darum weniger anwenden wollte, weil dieſe Stücke der Quellen urſprünglich keine Geſetze waren; denn jene Grundſätze ſind ihrem innern Weſen nach auf jede andere Form juri- ſtiſcher Gedankenbildung eben ſo anwendbar, als auf Ge- ſetze, obgleich die Entwicklung derſelben zunächſt um der Geſetze willen nothwendig war. Auch habe ich deshalb bisher die erläuternden Beyſpiele der Auslegung ohne Rückſicht darauf gewählt, ob die auszulegenden Stellen urſprünglich die Natur von Geſetzen an ſich trugen oder nicht. — Die zweyte Klaſſe von Beſtandtheilen der gro- ßen Rechtsbücher iſt die der urſprünglichen Geſetze, wohin alſo nur die Edicte im Codex gehören. Bey dieſen iſt das hiſtoriſche Element der Auslegung (§ 33) eben ſo vor- herrſchend, wie es dort das ſyſtematiſche war (b). Eine ganz gleiche Natur aber haben auch die Novellen, welche überhaupt nicht Beſtandtheile eines größeren Ganzen, ſon- dern nur einzeln ſtehende Geſetze ſind. (b) So z. B. iſt bey der Aus- legung der L. un. C. de nudo j. quir. toll. (7. 25.) die Haupt- frage dieſe: welches Recht galt hierin im Anfang der Regierung Juſtinians, und was wurde alſo durch jenes Geſetz wahrhaft ge- ändert?

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/310>, abgerufen am 05.05.2024.