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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 42. Rechtsquellen als Ganzes. Widerspruch.
wurden beide Rechte in Bologna wirklich recipirt, und
als die Decretalen, erst einzeln, dann in unseren Samm-
lungen, erschienen, war die Reception schon geschehen,
und jene Decretalen traten in der That als neue abän-
dernde Gesetze hinzu. In Deutschland freylich geschah die
Reception des canonischen Rechts, und zwar hier gleich
Anfangs des ganzen und vollständigen, gleichzeitig mit der
des Römischen; allein sie geschah doch in demselben Sinn,
in welchem sie in Bologna geschehen war, so wie man ja
auch die Gränzen des Römischen Quellencanons von dort
empfangen hatte (§ 17). Dieser vollständige Hergang
könnte höchstens in dem Fall bezweifelt werden, wenn das
canonische Recht zwar in Italien als Gesetz Eingang ge-
funden hätte, in Deutschland aber gar nicht aufgenom-
men worden wäre; allein in Deutschland war zur Zeit
der Reception das Ansehen des Pabstes und des von ihm
ausgehenden Rechts völlig eben so groß als in Italien,
so daß jenes Grundverhältniß beider Rechte in Deutsch-
land anerkannt wurde nicht blos auf die Autorität von
Bologna, sondern aus denselben Gründen wie in Bologna.
-- Aus dieser Betrachtung folgt, daß bey privatrechtli-
chen Gegenständen das canonische Recht vor dem Römi-
schen in der Regel den Vorzug hat. Eine Ausnahme die-
ser Regel wird nur begründet werden können entweder
durch speciellen Gerichtsgebrauch, oder (in evangelischen
Ländern) durch die einem canonischen Satz des Privat-
rechts widersprechenden Grundsätze des evangelischen Kir-

§. 42. Rechtsquellen als Ganzes. Widerſpruch.
wurden beide Rechte in Bologna wirklich recipirt, und
als die Decretalen, erſt einzeln, dann in unſeren Samm-
lungen, erſchienen, war die Reception ſchon geſchehen,
und jene Decretalen traten in der That als neue abän-
dernde Geſetze hinzu. In Deutſchland freylich geſchah die
Reception des canoniſchen Rechts, und zwar hier gleich
Anfangs des ganzen und vollſtändigen, gleichzeitig mit der
des Römiſchen; allein ſie geſchah doch in demſelben Sinn,
in welchem ſie in Bologna geſchehen war, ſo wie man ja
auch die Gränzen des Römiſchen Quellencanons von dort
empfangen hatte (§ 17). Dieſer vollſtändige Hergang
könnte höchſtens in dem Fall bezweifelt werden, wenn das
canoniſche Recht zwar in Italien als Geſetz Eingang ge-
funden hätte, in Deutſchland aber gar nicht aufgenom-
men worden wäre; allein in Deutſchland war zur Zeit
der Reception das Anſehen des Pabſtes und des von ihm
ausgehenden Rechts völlig eben ſo groß als in Italien,
ſo daß jenes Grundverhältniß beider Rechte in Deutſch-
land anerkannt wurde nicht blos auf die Autoritaͤt von
Bologna, ſondern aus denſelben Gründen wie in Bologna.
— Aus dieſer Betrachtung folgt, daß bey privatrechtli-
chen Gegenſtänden das canoniſche Recht vor dem Römi-
ſchen in der Regel den Vorzug hat. Eine Ausnahme die-
ſer Regel wird nur begründet werden können entweder
durch ſpeciellen Gerichtsgebrauch, oder (in evangeliſchen
Ländern) durch die einem canoniſchen Satz des Privat-
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[267/0323] §. 42. Rechtsquellen als Ganzes. Widerſpruch. wurden beide Rechte in Bologna wirklich recipirt, und als die Decretalen, erſt einzeln, dann in unſeren Samm- lungen, erſchienen, war die Reception ſchon geſchehen, und jene Decretalen traten in der That als neue abän- dernde Geſetze hinzu. In Deutſchland freylich geſchah die Reception des canoniſchen Rechts, und zwar hier gleich Anfangs des ganzen und vollſtändigen, gleichzeitig mit der des Römiſchen; allein ſie geſchah doch in demſelben Sinn, in welchem ſie in Bologna geſchehen war, ſo wie man ja auch die Gränzen des Römiſchen Quellencanons von dort empfangen hatte (§ 17). Dieſer vollſtändige Hergang könnte höchſtens in dem Fall bezweifelt werden, wenn das canoniſche Recht zwar in Italien als Geſetz Eingang ge- funden hätte, in Deutſchland aber gar nicht aufgenom- men worden wäre; allein in Deutſchland war zur Zeit der Reception das Anſehen des Pabſtes und des von ihm ausgehenden Rechts völlig eben ſo groß als in Italien, ſo daß jenes Grundverhältniß beider Rechte in Deutſch- land anerkannt wurde nicht blos auf die Autoritaͤt von Bologna, ſondern aus denſelben Gründen wie in Bologna. — Aus dieſer Betrachtung folgt, daß bey privatrechtli- chen Gegenſtänden das canoniſche Recht vor dem Römi- ſchen in der Regel den Vorzug hat. Eine Ausnahme die- ſer Regel wird nur begründet werden können entweder durch ſpeciellen Gerichtsgebrauch, oder (in evangeliſchen Ländern) durch die einem canoniſchen Satz des Privat- rechts widerſprechenden Grundſätze des evangeliſchen Kir-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/323>, abgerufen am 28.04.2024.