Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Schuldenfähigkeit einer filiafamilias.
eben die jetzt vorliegende Zweydeutigkeit entstehen mußte;
vielmehr würden sie dann die völlige Gleichheit beider Ge-
schlechter geradezu ausgesprochen haben, was ja durch
bloße Wiederholung des von Ulpian bey dem Sohn ein-
geschalteten Zusatzes so leicht zu bewirken war.



Man könnte endlich versuchen, der hier bekämpften
Meynung noch eine neue Seite abzugewinnen, die Seite
der gerichtlichen Verfolgung. Wenn auch, könnte man
sagen, eine filiafamilias die Fähigkeit hatte, Schuldnerin
zu seyn, so konnte sie doch niemals verklagt werden, da
Ulpian sagt, daß eine Frau nie anders als mit einem
Tutor in einem legitimum judicium auftreten durfte
(Note a), die filiafamilias aber niemals einen Tutor ha-
ben konnte. -- Gegen diese prozessualische Vertheidigung
jener Meynung aber ist Folgendes zu bemerken.

Zuerst Dasselbe, was schon oben über die Schulden ge-
sagt worden ist. Die Nothwendigkeit der auctoritas bezog
sich nur auf diejenigen Frauen, die überhaupt einen Tu-
tor hatten oder haben sollten, das heißt auf die unab-
hängigen, nicht auf die in väterlicher Gewalt lebenden.

Zweytens würden die alten Juristen durch die Rück-
sicht auf das legitimum judicium in keinem Fall haben
bestimmt werden können, eine Unfähigkeit der Frauen im
Allgemeinen zu behaupten, da zu ihrer Zeit bey weitem
die meisten Prozesse im Römischen Reich nicht legitima
judicia
waren, sondern judicia quae imperio contineban-

Schuldenfähigkeit einer filiafamilias.
eben die jetzt vorliegende Zweydeutigkeit entſtehen mußte;
vielmehr würden ſie dann die völlige Gleichheit beider Ge-
ſchlechter geradezu ausgeſprochen haben, was ja durch
bloße Wiederholung des von Ulpian bey dem Sohn ein-
geſchalteten Zuſatzes ſo leicht zu bewirken war.



Man könnte endlich verſuchen, der hier bekämpften
Meynung noch eine neue Seite abzugewinnen, die Seite
der gerichtlichen Verfolgung. Wenn auch, könnte man
ſagen, eine filiafamilias die Fähigkeit hatte, Schuldnerin
zu ſeyn, ſo konnte ſie doch niemals verklagt werden, da
Ulpian ſagt, daß eine Frau nie anders als mit einem
Tutor in einem legitimum judicium auftreten durfte
(Note a), die filiafamilias aber niemals einen Tutor ha-
ben konnte. — Gegen dieſe prozeſſualiſche Vertheidigung
jener Meynung aber iſt Folgendes zu bemerken.

Zuerſt Daſſelbe, was ſchon oben über die Schulden ge-
ſagt worden iſt. Die Nothwendigkeit der auctoritas bezog
ſich nur auf diejenigen Frauen, die überhaupt einen Tu-
tor hatten oder haben ſollten, das heißt auf die unab-
hängigen, nicht auf die in väterlicher Gewalt lebenden.

Zweytens würden die alten Juriſten durch die Rück-
ſicht auf das legitimum judicium in keinem Fall haben
beſtimmt werden koͤnnen, eine Unfähigkeit der Frauen im
Allgemeinen zu behaupten, da zu ihrer Zeit bey weitem
die meiſten Prozeſſe im Römiſchen Reich nicht legitima
judicia
waren, ſondern judicia quae imperio contineban-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0453" n="439"/><fw place="top" type="header">Schuldenfähigkeit einer <hi rendition="#aq">filiafamilias.</hi></fw><lb/>
eben die jetzt vorliegende Zweydeutigkeit ent&#x017F;tehen mußte;<lb/>
vielmehr würden &#x017F;ie dann die völlige Gleichheit beider Ge-<lb/>
&#x017F;chlechter geradezu ausge&#x017F;prochen haben, was ja durch<lb/>
bloße Wiederholung des von Ulpian bey dem Sohn ein-<lb/>
ge&#x017F;chalteten Zu&#x017F;atzes &#x017F;o leicht zu bewirken war.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Man könnte endlich ver&#x017F;uchen, der hier bekämpften<lb/>
Meynung noch eine neue Seite abzugewinnen, die Seite<lb/>
der gerichtlichen Verfolgung. Wenn auch, könnte man<lb/>
&#x017F;agen, eine <hi rendition="#aq">filiafamilias</hi> die Fähigkeit hatte, Schuldnerin<lb/>
zu &#x017F;eyn, &#x017F;o konnte &#x017F;ie doch niemals verklagt werden, da<lb/><hi rendition="#g">Ulpian</hi> &#x017F;agt, daß eine Frau nie anders als mit einem<lb/>
Tutor in einem <hi rendition="#aq">legitimum judicium</hi> auftreten durfte<lb/>
(Note <hi rendition="#aq">a</hi>), die <hi rendition="#aq">filiafamilias</hi> aber niemals einen Tutor ha-<lb/>
ben konnte. &#x2014; Gegen die&#x017F;e proze&#x017F;&#x017F;uali&#x017F;che Vertheidigung<lb/>
jener Meynung aber i&#x017F;t Folgendes zu bemerken.</p><lb/>
          <p>Zuer&#x017F;t Da&#x017F;&#x017F;elbe, was &#x017F;chon oben über die Schulden ge-<lb/>
&#x017F;agt worden i&#x017F;t. Die Nothwendigkeit der <hi rendition="#aq">auctoritas</hi> bezog<lb/>
&#x017F;ich nur auf diejenigen Frauen, die überhaupt einen Tu-<lb/>
tor hatten oder haben &#x017F;ollten, das heißt auf die unab-<lb/>
hängigen, nicht auf die in väterlicher Gewalt lebenden.</p><lb/>
          <p>Zweytens würden die alten Juri&#x017F;ten durch die Rück-<lb/>
&#x017F;icht auf das <hi rendition="#aq">legitimum judicium</hi> in keinem Fall haben<lb/>
be&#x017F;timmt werden ko&#x0364;nnen, eine Unfähigkeit der Frauen im<lb/>
Allgemeinen zu behaupten, da zu ihrer Zeit bey weitem<lb/>
die mei&#x017F;ten Proze&#x017F;&#x017F;e im Römi&#x017F;chen Reich nicht <hi rendition="#aq">legitima<lb/>
judicia</hi> waren, &#x017F;ondern <hi rendition="#aq">judicia quae imperio contineban-</hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[439/0453] Schuldenfähigkeit einer filiafamilias. eben die jetzt vorliegende Zweydeutigkeit entſtehen mußte; vielmehr würden ſie dann die völlige Gleichheit beider Ge- ſchlechter geradezu ausgeſprochen haben, was ja durch bloße Wiederholung des von Ulpian bey dem Sohn ein- geſchalteten Zuſatzes ſo leicht zu bewirken war. Man könnte endlich verſuchen, der hier bekämpften Meynung noch eine neue Seite abzugewinnen, die Seite der gerichtlichen Verfolgung. Wenn auch, könnte man ſagen, eine filiafamilias die Fähigkeit hatte, Schuldnerin zu ſeyn, ſo konnte ſie doch niemals verklagt werden, da Ulpian ſagt, daß eine Frau nie anders als mit einem Tutor in einem legitimum judicium auftreten durfte (Note a), die filiafamilias aber niemals einen Tutor ha- ben konnte. — Gegen dieſe prozeſſualiſche Vertheidigung jener Meynung aber iſt Folgendes zu bemerken. Zuerſt Daſſelbe, was ſchon oben über die Schulden ge- ſagt worden iſt. Die Nothwendigkeit der auctoritas bezog ſich nur auf diejenigen Frauen, die überhaupt einen Tu- tor hatten oder haben ſollten, das heißt auf die unab- hängigen, nicht auf die in väterlicher Gewalt lebenden. Zweytens würden die alten Juriſten durch die Rück- ſicht auf das legitimum judicium in keinem Fall haben beſtimmt werden koͤnnen, eine Unfähigkeit der Frauen im Allgemeinen zu behaupten, da zu ihrer Zeit bey weitem die meiſten Prozeſſe im Römiſchen Reich nicht legitima judicia waren, ſondern judicia quae imperio contineban-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/453
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/453>, abgerufen am 28.05.2024.