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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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Beylage VII.
strenge Pflicht betrachtet, für andere Fälle blieb sie der
freyen Pietät überlassen; die Gränze aber ist nicht für
alle Zeiten mit Sicherheit zu bestimmen (a). In der Kai-
serzeit (vielleicht auch schon früher) traf diese Pflicht über-
haupt nur Frauen, nicht Männer, obgleich auch darüber
eine abweichende, aber als vereinzelt bezeichnete Meynung
erwähnt wird (b). Ferner waren die Frauen damals zur

(a) Vielleicht gab es nicht ein-
mal ganz feste Gränzen, auch
waren sie entbehrlich, so lange
die Trauerpflicht nicht durch die
Strafe der Infamie (die freylich
nie ohne feste Gränzen seyn konn-
te), sondern durch das sehr freye
Ermessen der Censoren geschützt
war, welches auch späterhin ne-
ben der Infamie ergänzend ein-
treten konnte. Vgl. Niebuhr
B. 2 S. 450 ed. 2 und 3.
(b) Fragm. Vat. § 321 (wahr-
scheinlich aus Paulus ad edi-
ctum): "Parentem inquit. Hic
omnes parentes accipe utrius-
que sexus: nam lugendi eos
mulieribus moris est. Quam-
quam Papinianus lib. II. quae-
stionum etiam liberis virilis
sexus lugendos esse dicat; quod
nescio ubi legerit.
"
Vielleicht
erklärt sich dieses etwas auffal-
lende Schwanken der Meynungen
dadurch, daß in einzelnen Fällen
auch Söhne wegen Verletzung der
Trauer um die Eltern von den
Censoren notirt worden waren
(Rote a). Die hier angeführte
und getadelte Stelle des Papinian
ist uns merkwürdigerweise aufbe-
wahrt. L., 25 pr. de his qui not.
(3. 2.). "Papinianus lib. II. quae-
stionum. Exheredatum quoque
filium luctum habere patris me-
moriae placuit. Idemque et in
matre juris est, cujus heredi-
tas ad filium non pertinet."
--
Gegen die Trauerpflicht der Män-
ner spricht auch Seneca epist. 63.
"Annum feminis ad lugendum
constituere, non ut tamdiu, sed
ne diutius: viris nullum legiti-
mum tempus est, quia nullum
honestum.
"
Das letzte mag eben
so für rednerische Übertreibung
gelten, wie die Behauptung, daß
das Trauerjahr der Frauen nur
als Maximum zu verstehen sey;
allein der Unterschied beider Ge-
schlechter in Beziehung auf die
Trauer liegt doch als unzweifel-
hafte Thatsache in dieser Stelle.
-- Eben dahin gehört L. 9 pr.
de his qui not.
(3. 2.). "Uxo-
res viri lugere non compellen-
tur."
-- Endlich auch, und ganz
besonders, die Worte mulieribus
remittuntur in L. 15 C. ex quib.
c. inf.
(vgl. unten Num. IX. b).

Beylage VII.
ſtrenge Pflicht betrachtet, für andere Fälle blieb ſie der
freyen Pietät überlaſſen; die Gränze aber iſt nicht für
alle Zeiten mit Sicherheit zu beſtimmen (a). In der Kai-
ſerzeit (vielleicht auch ſchon früher) traf dieſe Pflicht über-
haupt nur Frauen, nicht Männer, obgleich auch darüber
eine abweichende, aber als vereinzelt bezeichnete Meynung
erwähnt wird (b). Ferner waren die Frauen damals zur

(a) Vielleicht gab es nicht ein-
mal ganz feſte Gränzen, auch
waren ſie entbehrlich, ſo lange
die Trauerpflicht nicht durch die
Strafe der Infamie (die freylich
nie ohne feſte Gränzen ſeyn konn-
te), ſondern durch das ſehr freye
Ermeſſen der Cenſoren geſchützt
war, welches auch ſpäterhin ne-
ben der Infamie ergänzend ein-
treten konnte. Vgl. Niebuhr
B. 2 S. 450 ed. 2 und 3.
(b) Fragm. Vat. § 321 (wahr-
ſcheinlich aus Paulus ad edi-
ctum): „Parentem inquit. Hic
omnes parentes accipe utrius-
que sexus: nam lugendi eos
mulieribus moris est. Quam-
quam Papinianus lib. II. quae-
stionum etiam liberis virilis
sexus lugendos esse dicat; quod
nescio ubi legerit.
Vielleicht
erklärt ſich dieſes etwas auffal-
lende Schwanken der Meynungen
dadurch, daß in einzelnen Fällen
auch Söhne wegen Verletzung der
Trauer um die Eltern von den
Cenſoren notirt worden waren
(Rote a). Die hier angeführte
und getadelte Stelle des Papinian
iſt uns merkwürdigerweiſe aufbe-
wahrt. L., 25 pr. de his qui not.
(3. 2.). „Papinianus lib. II. quae-
stionum. Exheredatum quoque
filium luctum habere patris me-
moriae placuit. Idemque et in
matre juris est, cujus heredi-
tas ad filium non pertinet.”

Gegen die Trauerpflicht der Män-
ner ſpricht auch Seneca epist. 63.
„Annum feminis ad lugendum
constituêre, non ut tamdiu, sed
ne diutius: viris nullum legiti-
mum tempus est, quia nullum
honestum.
Das letzte mag eben
ſo für redneriſche Übertreibung
gelten, wie die Behauptung, daß
das Trauerjahr der Frauen nur
als Maximum zu verſtehen ſey;
allein der Unterſchied beider Ge-
ſchlechter in Beziehung auf die
Trauer liegt doch als unzweifel-
hafte Thatſache in dieſer Stelle.
— Eben dahin gehört L. 9 pr.
de his qui not.
(3. 2.). „Uxo-
res viri lugere non compellen-
tur.”
— Endlich auch, und ganz
beſonders, die Worte mulieribus
remittuntur in L. 15 C. ex quib.
c. inf.
(vgl. unten Num. IX. b).
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[536/0550] Beylage VII. ſtrenge Pflicht betrachtet, für andere Fälle blieb ſie der freyen Pietät überlaſſen; die Gränze aber iſt nicht für alle Zeiten mit Sicherheit zu beſtimmen (a). In der Kai- ſerzeit (vielleicht auch ſchon früher) traf dieſe Pflicht über- haupt nur Frauen, nicht Männer, obgleich auch darüber eine abweichende, aber als vereinzelt bezeichnete Meynung erwähnt wird (b). Ferner waren die Frauen damals zur (a) Vielleicht gab es nicht ein- mal ganz feſte Gränzen, auch waren ſie entbehrlich, ſo lange die Trauerpflicht nicht durch die Strafe der Infamie (die freylich nie ohne feſte Gränzen ſeyn konn- te), ſondern durch das ſehr freye Ermeſſen der Cenſoren geſchützt war, welches auch ſpäterhin ne- ben der Infamie ergänzend ein- treten konnte. Vgl. Niebuhr B. 2 S. 450 ed. 2 und 3. (b) Fragm. Vat. § 321 (wahr- ſcheinlich aus Paulus ad edi- ctum): „Parentem inquit. Hic omnes parentes accipe utrius- que sexus: nam lugendi eos mulieribus moris est. Quam- quam Papinianus lib. II. quae- stionum etiam liberis virilis sexus lugendos esse dicat; quod nescio ubi legerit.” Vielleicht erklärt ſich dieſes etwas auffal- lende Schwanken der Meynungen dadurch, daß in einzelnen Fällen auch Söhne wegen Verletzung der Trauer um die Eltern von den Cenſoren notirt worden waren (Rote a). Die hier angeführte und getadelte Stelle des Papinian iſt uns merkwürdigerweiſe aufbe- wahrt. L., 25 pr. de his qui not. (3. 2.). „Papinianus lib. II. quae- stionum. Exheredatum quoque filium luctum habere patris me- moriae placuit. Idemque et in matre juris est, cujus heredi- tas ad filium non pertinet.” — Gegen die Trauerpflicht der Män- ner ſpricht auch Seneca epist. 63. „Annum feminis ad lugendum constituêre, non ut tamdiu, sed ne diutius: viris nullum legiti- mum tempus est, quia nullum honestum.” Das letzte mag eben ſo für redneriſche Übertreibung gelten, wie die Behauptung, daß das Trauerjahr der Frauen nur als Maximum zu verſtehen ſey; allein der Unterſchied beider Ge- ſchlechter in Beziehung auf die Trauer liegt doch als unzweifel- hafte Thatſache in dieſer Stelle. — Eben dahin gehört L. 9 pr. de his qui not. (3. 2.). „Uxo- res viri lugere non compellen- tur.” — Endlich auch, und ganz beſonders, die Worte mulieribus remittuntur in L. 15 C. ex quib. c. inf. (vgl. unten Num. IX. b).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/550>, abgerufen am 29.04.2024.