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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
einen Kalendertag mehr von der Wahrheit abwichen, wür-
den wir uns in dem Gebiet reiner Willkühr befinden, und
wir hätten eben so viel Grund, um zwey, drey, oder noch
mehr Tage zurück oder vorwärts zu schreiten. -- Endlich
könnte man noch darauf fallen, von dem mathematischen
Endpunkt um einen vollen beweglichen Tag zurück oder
vorwärts zu gehen, also, wenn etwa das mathematische
Ende in den Mittag eines 2. Januars fiele, anstatt dessen
den Mittag des 1. oder des 3. Januars als juristischen
Endpunkt zu setzen. Dieser Versuch aber erscheint sogleich
als völlig verwerflich, da durch ihn die Schwierigkeit,
wovon die ganze Aufgabe ausgeht, gar nicht vermindert
wird; es wäre eine völlig zwecklose, durch Nichts ge-
rechtfertigte, Abweichung von der Wahrheit.

Da nun zwey gleich zweckmäßige Lösungen der Auf-
gabe nachgewiesen worden sind, so bleibt noch die Wahl
zwischen beiden übrig: entweder indem wir die eine aus-
schließend annehmen, oder indem wir beide gelten lassen,
je nach Verschiedenheit der Fälle. Um hierin nicht will-
kührlich zu verfahren, haben wir ein auf diesen Fall an-
wendbares, schon anderwärts bewährtes, Princip aufzu-
suchen. Wir haben hier zu thun mit einer partiellen Un-
bestimmtheit, die nothwendig Einem von beiden Theilen
zu gut kommen muß; eine solche Unbestimmtheit erscheint
auch in anderen Rechtsverhältnissen nicht selten, und sie
kommt dabey stets Demjenigen zu gut, von dessen Hand-
lung (als einer zulässigen oder nothwendigen) zunächst die

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
einen Kalendertag mehr von der Wahrheit abwichen, wür-
den wir uns in dem Gebiet reiner Willkühr befinden, und
wir hätten eben ſo viel Grund, um zwey, drey, oder noch
mehr Tage zurück oder vorwärts zu ſchreiten. — Endlich
könnte man noch darauf fallen, von dem mathematiſchen
Endpunkt um einen vollen beweglichen Tag zurück oder
vorwärts zu gehen, alſo, wenn etwa das mathematiſche
Ende in den Mittag eines 2. Januars fiele, anſtatt deſſen
den Mittag des 1. oder des 3. Januars als juriſtiſchen
Endpunkt zu ſetzen. Dieſer Verſuch aber erſcheint ſogleich
als völlig verwerflich, da durch ihn die Schwierigkeit,
wovon die ganze Aufgabe ausgeht, gar nicht vermindert
wird; es wäre eine völlig zweckloſe, durch Nichts ge-
rechtfertigte, Abweichung von der Wahrheit.

Da nun zwey gleich zweckmäßige Löſungen der Auf-
gabe nachgewieſen worden ſind, ſo bleibt noch die Wahl
zwiſchen beiden übrig: entweder indem wir die eine aus-
ſchließend annehmen, oder indem wir beide gelten laſſen,
je nach Verſchiedenheit der Fälle. Um hierin nicht will-
kührlich zu verfahren, haben wir ein auf dieſen Fall an-
wendbares, ſchon anderwärts bewährtes, Princip aufzu-
ſuchen. Wir haben hier zu thun mit einer partiellen Un-
beſtimmtheit, die nothwendig Einem von beiden Theilen
zu gut kommen muß; eine ſolche Unbeſtimmtheit erſcheint
auch in anderen Rechtsverhältniſſen nicht ſelten, und ſie
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[350/0364] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. einen Kalendertag mehr von der Wahrheit abwichen, wür- den wir uns in dem Gebiet reiner Willkühr befinden, und wir hätten eben ſo viel Grund, um zwey, drey, oder noch mehr Tage zurück oder vorwärts zu ſchreiten. — Endlich könnte man noch darauf fallen, von dem mathematiſchen Endpunkt um einen vollen beweglichen Tag zurück oder vorwärts zu gehen, alſo, wenn etwa das mathematiſche Ende in den Mittag eines 2. Januars fiele, anſtatt deſſen den Mittag des 1. oder des 3. Januars als juriſtiſchen Endpunkt zu ſetzen. Dieſer Verſuch aber erſcheint ſogleich als völlig verwerflich, da durch ihn die Schwierigkeit, wovon die ganze Aufgabe ausgeht, gar nicht vermindert wird; es wäre eine völlig zweckloſe, durch Nichts ge- rechtfertigte, Abweichung von der Wahrheit. Da nun zwey gleich zweckmäßige Löſungen der Auf- gabe nachgewieſen worden ſind, ſo bleibt noch die Wahl zwiſchen beiden übrig: entweder indem wir die eine aus- ſchließend annehmen, oder indem wir beide gelten laſſen, je nach Verſchiedenheit der Fälle. Um hierin nicht will- kührlich zu verfahren, haben wir ein auf dieſen Fall an- wendbares, ſchon anderwärts bewährtes, Princip aufzu- ſuchen. Wir haben hier zu thun mit einer partiellen Un- beſtimmtheit, die nothwendig Einem von beiden Theilen zu gut kommen muß; eine ſolche Unbeſtimmtheit erſcheint auch in anderen Rechtsverhältniſſen nicht ſelten, und ſie kommt dabey ſtets Demjenigen zu gut, von deſſen Hand- lung (als einer zuläſſigen oder nothwendigen) zunächſt die

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/364>, abgerufen am 15.06.2024.