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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
Daß nun Paulus die hier vorausgesetzte Zählungsweise
anwendete, erklärt sich schon daraus, daß diese überhaupt
die üblichere gewesen zu seyn scheint; daß er aber hier
anders zählte, als in der L. 134 de V. S. (§ 184), be-
darf noch einer besonderen Erklärung. In dieser letzten
Stelle sprach er vom anniculus, und da Jeder wußte,
daß annus genau so viel heiße, als 365 Tage, so konnte
es auf den ersten Blick Anstoß erregen, wenn daneben die
Zahl 366 angegeben wurde. Diesen Anstoß zu vermeiden,
zog Paulus die auch zulässige Zählungsweise vor, welche
den Anfangstag nicht mit rechnet; ein solcher Anstoß war
aber in unsrer Stelle nicht zu befürchten. Zwar könnte
man einwenden, mensis bedeute ja auch eine Zeit von
30 Tagen, also duo menses 60 Tage; allein Dieses war
doch nur eine als Nothhülfe angenommene juristische Fic-
tion, in der Wirklichkeit hatten die Monate verschiedenen
Umfang, und daher ist mensis gar nicht so wie annus

ganz richtig, aber sein vorgefaß-
ter Begriff von naturalis und
civilis computatio hindert ihn,
davon den rechten Gebrauch zu
machen. Er setzt nämlich den
Ablauf des Zeitraums in das
momentum temporis, und ver-
einigt diesen Sinn mit dem Aus-
spruch des Paulus dadurch, daß
der, welcher vor dem momen-
tum
erscheine, doch auch ein sol-
cher sey, qui sexagesimo et
primo die venerit.
Allein wenn
Paulus das momentum als
Gränze im Sinn hatte, so konnte
er dieses nicht ohne die größte
Unvorsichtigkeit unausgedrückt las-
sen. Die Unbestimmtheit seines
Ausdrucks schließt wahre Allge-
meinheit in sich; er will sagen,
man könne erscheinen in jedem
Theil
des 61 ten Tages, also
bis zur Mitternacht. -- Unter-
holzner
S. 297 faßt das Re-
sultat unsrer Stelle eben so auf
wie ich, läßt sich jedoch auf die
Rechtfertigung dieser Ansicht und
auf die Beseitigung der Schwie-
rigkeiten gar nicht ein.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Daß nun Paulus die hier vorausgeſetzte Zählungsweiſe
anwendete, erklärt ſich ſchon daraus, daß dieſe überhaupt
die üblichere geweſen zu ſeyn ſcheint; daß er aber hier
anders zählte, als in der L. 134 de V. S. (§ 184), be-
darf noch einer beſonderen Erklärung. In dieſer letzten
Stelle ſprach er vom anniculus, und da Jeder wußte,
daß annus genau ſo viel heiße, als 365 Tage, ſo konnte
es auf den erſten Blick Anſtoß erregen, wenn daneben die
Zahl 366 angegeben wurde. Dieſen Anſtoß zu vermeiden,
zog Paulus die auch zuläſſige Zählungsweiſe vor, welche
den Anfangstag nicht mit rechnet; ein ſolcher Anſtoß war
aber in unſrer Stelle nicht zu befürchten. Zwar könnte
man einwenden, mensis bedeute ja auch eine Zeit von
30 Tagen, alſo duo menses 60 Tage; allein Dieſes war
doch nur eine als Nothhülfe angenommene juriſtiſche Fic-
tion, in der Wirklichkeit hatten die Monate verſchiedenen
Umfang, und daher iſt mensis gar nicht ſo wie annus

ganz richtig, aber ſein vorgefaß-
ter Begriff von naturalis und
civilis computatio hindert ihn,
davon den rechten Gebrauch zu
machen. Er ſetzt nämlich den
Ablauf des Zeitraums in das
momentum temporis, und ver-
einigt dieſen Sinn mit dem Aus-
ſpruch des Paulus dadurch, daß
der, welcher vor dem momen-
tum
erſcheine, doch auch ein ſol-
cher ſey, qui sexagesimo et
primo die venerit.
Allein wenn
Paulus das momentum als
Gränze im Sinn hatte, ſo konnte
er dieſes nicht ohne die größte
Unvorſichtigkeit unausgedrückt laſ-
ſen. Die Unbeſtimmtheit ſeines
Ausdrucks ſchließt wahre Allge-
meinheit in ſich; er will ſagen,
man könne erſcheinen in jedem
Theil
des 61 ten Tages, alſo
bis zur Mitternacht. — Unter-
holzner
S. 297 faßt das Re-
ſultat unſrer Stelle eben ſo auf
wie ich, läßt ſich jedoch auf die
Rechtfertigung dieſer Anſicht und
auf die Beſeitigung der Schwie-
rigkeiten gar nicht ein.
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[398/0412] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. Daß nun Paulus die hier vorausgeſetzte Zählungsweiſe anwendete, erklärt ſich ſchon daraus, daß dieſe überhaupt die üblichere geweſen zu ſeyn ſcheint; daß er aber hier anders zählte, als in der L. 134 de V. S. (§ 184), be- darf noch einer beſonderen Erklärung. In dieſer letzten Stelle ſprach er vom anniculus, und da Jeder wußte, daß annus genau ſo viel heiße, als 365 Tage, ſo konnte es auf den erſten Blick Anſtoß erregen, wenn daneben die Zahl 366 angegeben wurde. Dieſen Anſtoß zu vermeiden, zog Paulus die auch zuläſſige Zählungsweiſe vor, welche den Anfangstag nicht mit rechnet; ein ſolcher Anſtoß war aber in unſrer Stelle nicht zu befürchten. Zwar könnte man einwenden, mensis bedeute ja auch eine Zeit von 30 Tagen, alſo duo menses 60 Tage; allein Dieſes war doch nur eine als Nothhülfe angenommene juriſtiſche Fic- tion, in der Wirklichkeit hatten die Monate verſchiedenen Umfang, und daher iſt mensis gar nicht ſo wie annus (v) (v) ganz richtig, aber ſein vorgefaß- ter Begriff von naturalis und civilis computatio hindert ihn, davon den rechten Gebrauch zu machen. Er ſetzt nämlich den Ablauf des Zeitraums in das momentum temporis, und ver- einigt dieſen Sinn mit dem Aus- ſpruch des Paulus dadurch, daß der, welcher vor dem momen- tum erſcheine, doch auch ein ſol- cher ſey, qui sexagesimo et primo die venerit. Allein wenn Paulus das momentum als Gränze im Sinn hatte, ſo konnte er dieſes nicht ohne die größte Unvorſichtigkeit unausgedrückt laſ- ſen. Die Unbeſtimmtheit ſeines Ausdrucks ſchließt wahre Allge- meinheit in ſich; er will ſagen, man könne erſcheinen in jedem Theil des 61 ten Tages, alſo bis zur Mitternacht. — Unter- holzner S. 297 faßt das Re- ſultat unſrer Stelle eben ſo auf wie ich, läßt ſich jedoch auf die Rechtfertigung dieſer Anſicht und auf die Beſeitigung der Schwie- rigkeiten gar nicht ein.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/412>, abgerufen am 30.04.2024.