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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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§. 205. Klage.
Individuen (§ 58), und diesen letzten Character tragen am
Entschiedensten die Obligationen an sich. Die Verletzung
unsrer Rechte aber ist nur denkbar als Thätigkeit eines
bestimmten Verletzers, zu welchem wir dadurch in ein ei-
genes, neues Rechtsverhältniß treten; der Inhalt dieses
Verhältnisses läßt sich im Allgemeinen dahin bestimmen, daß
wir von diesem Gegner die Aufhebung der Verletzung for-
dern. Dieser Anspruch gegen eine bestimmte Person und
auf eine bestimmte Handlung hat demnach eine den Obli-
gationen ähnliche Natur (§ 56); der Verletzte und der Ver-
letzer, oder der Kläger und der Beklagte, stehen einander
gegenüber wie ein Glaubiger und ein Schuldner. So lange
jedoch dieses neue Verhältniß in den Gränzen einer bloßen
Möglichkeit bleibt, und noch nicht zu einer bestimmten
Thätigkeit des Verletzten geführt hat, können wir es nicht
als eine wahre, vollendete Obligation ansehen; es ist viel-
mehr erst der Keim einer solchen, der jedoch auf dem Wege
natürlicher Entwicklung in eine wahre Obligation übergeht.

Das hier beschriebene, aus der Rechtsverletzung ent-
springende Verhältniß heißt Klagrecht oder auch Klage,
wenn man diesen Ausdruck auf die bloße Befugniß des
Verletzten bezieht; denn allerdings wird derselbe auch ge-
braucht, um die in bestimmter Form erscheinende wirkliche
Thätigkeit des Verletzten zu bezeichnen, in welchem Sinn
der Ausdruck die Klaghandlung bezeichnet, also (unter Vor-
aussetzung des schriftlichen Prozesses) mit Klagschrift oder
Klaglibell gleichbedeutend ist. Hier kann blos von der

§. 205. Klage.
Individuen (§ 58), und dieſen letzten Character tragen am
Entſchiedenſten die Obligationen an ſich. Die Verletzung
unſrer Rechte aber iſt nur denkbar als Thätigkeit eines
beſtimmten Verletzers, zu welchem wir dadurch in ein ei-
genes, neues Rechtsverhältniß treten; der Inhalt dieſes
Verhältniſſes läßt ſich im Allgemeinen dahin beſtimmen, daß
wir von dieſem Gegner die Aufhebung der Verletzung for-
dern. Dieſer Anſpruch gegen eine beſtimmte Perſon und
auf eine beſtimmte Handlung hat demnach eine den Obli-
gationen ähnliche Natur (§ 56); der Verletzte und der Ver-
letzer, oder der Kläger und der Beklagte, ſtehen einander
gegenüber wie ein Glaubiger und ein Schuldner. So lange
jedoch dieſes neue Verhältniß in den Gränzen einer bloßen
Möglichkeit bleibt, und noch nicht zu einer beſtimmten
Thätigkeit des Verletzten geführt hat, können wir es nicht
als eine wahre, vollendete Obligation anſehen; es iſt viel-
mehr erſt der Keim einer ſolchen, der jedoch auf dem Wege
natürlicher Entwicklung in eine wahre Obligation übergeht.

Das hier beſchriebene, aus der Rechtsverletzung ent-
ſpringende Verhältniß heißt Klagrecht oder auch Klage,
wenn man dieſen Ausdruck auf die bloße Befugniß des
Verletzten bezieht; denn allerdings wird derſelbe auch ge-
braucht, um die in beſtimmter Form erſcheinende wirkliche
Thaͤtigkeit des Verletzten zu bezeichnen, in welchem Sinn
der Ausdruck die Klaghandlung bezeichnet, alſo (unter Vor-
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[5/0019] §. 205. Klage. Individuen (§ 58), und dieſen letzten Character tragen am Entſchiedenſten die Obligationen an ſich. Die Verletzung unſrer Rechte aber iſt nur denkbar als Thätigkeit eines beſtimmten Verletzers, zu welchem wir dadurch in ein ei- genes, neues Rechtsverhältniß treten; der Inhalt dieſes Verhältniſſes läßt ſich im Allgemeinen dahin beſtimmen, daß wir von dieſem Gegner die Aufhebung der Verletzung for- dern. Dieſer Anſpruch gegen eine beſtimmte Perſon und auf eine beſtimmte Handlung hat demnach eine den Obli- gationen ähnliche Natur (§ 56); der Verletzte und der Ver- letzer, oder der Kläger und der Beklagte, ſtehen einander gegenüber wie ein Glaubiger und ein Schuldner. So lange jedoch dieſes neue Verhältniß in den Gränzen einer bloßen Möglichkeit bleibt, und noch nicht zu einer beſtimmten Thätigkeit des Verletzten geführt hat, können wir es nicht als eine wahre, vollendete Obligation anſehen; es iſt viel- mehr erſt der Keim einer ſolchen, der jedoch auf dem Wege natürlicher Entwicklung in eine wahre Obligation übergeht. Das hier beſchriebene, aus der Rechtsverletzung ent- ſpringende Verhältniß heißt Klagrecht oder auch Klage, wenn man dieſen Ausdruck auf die bloße Befugniß des Verletzten bezieht; denn allerdings wird derſelbe auch ge- braucht, um die in beſtimmter Form erſcheinende wirkliche Thaͤtigkeit des Verletzten zu bezeichnen, in welchem Sinn der Ausdruck die Klaghandlung bezeichnet, alſo (unter Vor- ausſetzung des ſchriftlichen Prozeſſes) mit Klagſchrift oder Klaglibell gleichbedeutend iſt. Hier kann blos von der

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/19>, abgerufen am 29.04.2024.