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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
ständigen Beweis, daß der andere unredlicher Weise,
und gegen besseres Wissen von seiner noch fortwäh-
renden Verbindlichkeit, sich der Erfüllung derselben
entziehen wolle, entkräftet werden.

In diesen Worten sollte augenscheinlich die Lehre von
Rave ausgedrückt werden (h). Die Aufnahme derselben
wäre, bey ihrer gänzlichen Unhaltbarkeit, unter allen Um-
ständen ein Übel gewesen; sie war es aber in noch höhe-
rem Grade, da diese Stellen unvorbereitet, wie ein frem-
der Körper, eingeschoben wurden, während die Bearbeitung
der ganzen übrigen Verjährungslehre von anderen Ansich-
ten ausgeht (i).

Daß nun in dieser Stelle nicht die mala fides in dem
gewöhnlichen Sinne, nämlich das während der laufenden
Verjährung irgend einmal vorhandene Bewußtseyn der

(h) Wollte man hieran noch
zweifeln, so würde man überzeugt
werden durch folgende Bemerkung
von Suarez, womit er jene §§.
(damals mit den Nummern 573.
574.) im versammelten Staatsrath
vortrug (Simon u. Strampff
a. a. O., S. 580, genommen aus
den Materialien Vol. 88. fol. 48):
"Nach der Praxis wird zwar, so-
bald die Frist abgelaufen ist, nach
der b. f. nicht mehr gefragt; der
Theorie aber ist dieses nicht ge-
mäß. Denn lapsus temporis be-
gründet nur eine praesumtionem
juris
für den Präscribenten, welche
den Beweis des contrarii niemals
ausschließt". Die letzten Worte
sind fast ganz übersetzt aus dem
Schluß von Rave § 132. -- Sua-
rez trat hier als Organ des Groß-
kanzlers auf, trug also dessen theo-
retische Meynung vor, nicht seine
eigene.
(i) Die hieraus für die Wir-
kung der Verjährung hervorgehen-
den Zweifel und Widersprüche wer-
den unten bemerkt werden. Zu
dem oben § 245. h. angeführten
Satz des A. L. R. paßt die neue
Bestimmung nicht. Es findet sich
vielleicht nur noch eine einzige an-
dere Stelle, worin auf die beiden
oben abgedruckten §§. Beziehung
genommen wird, nämlich A. L. R.
I. 20 § 245.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſtändigen Beweis, daß der andere unredlicher Weiſe,
und gegen beſſeres Wiſſen von ſeiner noch fortwäh-
renden Verbindlichkeit, ſich der Erfüllung derſelben
entziehen wolle, entkräftet werden.

In dieſen Worten ſollte augenſcheinlich die Lehre von
Rave ausgedrückt werden (h). Die Aufnahme derſelben
wäre, bey ihrer gänzlichen Unhaltbarkeit, unter allen Um-
ſtänden ein Übel geweſen; ſie war es aber in noch höhe-
rem Grade, da dieſe Stellen unvorbereitet, wie ein frem-
der Körper, eingeſchoben wurden, während die Bearbeitung
der ganzen übrigen Verjährungslehre von anderen Anſich-
ten ausgeht (i).

Daß nun in dieſer Stelle nicht die mala fides in dem
gewöhnlichen Sinne, nämlich das während der laufenden
Verjährung irgend einmal vorhandene Bewußtſeyn der

(h) Wollte man hieran noch
zweifeln, ſo würde man überzeugt
werden durch folgende Bemerkung
von Suarez, womit er jene §§.
(damals mit den Nummern 573.
574.) im verſammelten Staatsrath
vortrug (Simon u. Strampff
a. a. O., S. 580, genommen aus
den Materialien Vol. 88. fol. 48):
„Nach der Praxis wird zwar, ſo-
bald die Friſt abgelaufen iſt, nach
der b. f. nicht mehr gefragt; der
Theorie aber iſt dieſes nicht ge-
mäß. Denn lapsus temporis be-
gründet nur eine praesumtionem
juris
für den Präſcribenten, welche
den Beweis des contrarii niemals
ausſchließt“. Die letzten Worte
ſind faſt ganz überſetzt aus dem
Schluß von Rave § 132. — Sua-
rez trat hier als Organ des Groß-
kanzlers auf, trug alſo deſſen theo-
retiſche Meynung vor, nicht ſeine
eigene.
(i) Die hieraus für die Wir-
kung der Verjährung hervorgehen-
den Zweifel und Widerſprüche wer-
den unten bemerkt werden. Zu
dem oben § 245. h. angeführten
Satz des A. L. R. paßt die neue
Beſtimmung nicht. Es findet ſich
vielleicht nur noch eine einzige an-
dere Stelle, worin auf die beiden
oben abgedruckten §§. Beziehung
genommen wird, nämlich A. L. R.
I. 20 § 245.
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[348/0362] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. ſtändigen Beweis, daß der andere unredlicher Weiſe, und gegen beſſeres Wiſſen von ſeiner noch fortwäh- renden Verbindlichkeit, ſich der Erfüllung derſelben entziehen wolle, entkräftet werden. In dieſen Worten ſollte augenſcheinlich die Lehre von Rave ausgedrückt werden (h). Die Aufnahme derſelben wäre, bey ihrer gänzlichen Unhaltbarkeit, unter allen Um- ſtänden ein Übel geweſen; ſie war es aber in noch höhe- rem Grade, da dieſe Stellen unvorbereitet, wie ein frem- der Körper, eingeſchoben wurden, während die Bearbeitung der ganzen übrigen Verjährungslehre von anderen Anſich- ten ausgeht (i). Daß nun in dieſer Stelle nicht die mala fides in dem gewöhnlichen Sinne, nämlich das während der laufenden Verjährung irgend einmal vorhandene Bewußtſeyn der (h) Wollte man hieran noch zweifeln, ſo würde man überzeugt werden durch folgende Bemerkung von Suarez, womit er jene §§. (damals mit den Nummern 573. 574.) im verſammelten Staatsrath vortrug (Simon u. Strampff a. a. O., S. 580, genommen aus den Materialien Vol. 88. fol. 48): „Nach der Praxis wird zwar, ſo- bald die Friſt abgelaufen iſt, nach der b. f. nicht mehr gefragt; der Theorie aber iſt dieſes nicht ge- mäß. Denn lapsus temporis be- gründet nur eine praesumtionem juris für den Präſcribenten, welche den Beweis des contrarii niemals ausſchließt“. Die letzten Worte ſind faſt ganz überſetzt aus dem Schluß von Rave § 132. — Sua- rez trat hier als Organ des Groß- kanzlers auf, trug alſo deſſen theo- retiſche Meynung vor, nicht ſeine eigene. (i) Die hieraus für die Wir- kung der Verjährung hervorgehen- den Zweifel und Widerſprüche wer- den unten bemerkt werden. Zu dem oben § 245. h. angeführten Satz des A. L. R. paßt die neue Beſtimmung nicht. Es findet ſich vielleicht nur noch eine einzige an- dere Stelle, worin auf die beiden oben abgedruckten §§. Beziehung genommen wird, nämlich A. L. R. I. 20 § 245.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/362>, abgerufen am 15.06.2024.