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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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Beylage XIII.
nen. Sie reichten für das strenge Bedürfniß hin, weil
die Stipulation eine so allgemeine Form war, daß jede
Art eines Vertrags, mochte es Kauf, Societät, Man-
dat u. s. w. seyn, in dieselbe eingekleidet werden konnte.
In den Fällen solcher Rechtsgeschäfte also wurde eine
Forderung durch den im Namen des Staats richtenden
Judex geschützt, außer diesen Fällen wurde ein Judex
versagt.

Nun mochte es aber im täglichen Verkehr beständig
vorkommen, daß viele Geschäfte auf Treue und Glauben
geschlossen wurden, ohne daß man die feyerliche Form der
Stipulation hinzufügte; die große Mehrzahl solcher Ver-
träge wurden, wie es auch bey uns geschieht, erfüllt, ohne
daß man an die Hülfe eines Richters dachte. Wenn aber
in einzelnen Fällen über die Art der Erfüllung Streit ent-
stand, oder wenn der eine Theil sich darauf berufen wollte,
daß er zu gar Nichts verpflichtet sey, weil die Stipula-
tion fehle, sollte dann die richterliche Hülfe versagt wer-
den? Es lag sehr nahe, diese zu gestatten, und zwar mit
Rücksicht auf die unter rechtlichen Männern ohnehin herr-
schende Sitte und das darauf gegründete gegenseitige Ver-
trauen (bona fides, ut inter bonos). Indem man aber
nicht sowohl eine strenge Verpflichtung nach Civilrecht,
als die Anerkennung der guten Sitte, zum Grund legte,
schien es zweckmäßig, auch die Art der Ausführung durch
diesen Grund bestimmen zu lassen. Der Prätor nöthigte
die Parteyen, sich über einen Richter in einer ähnlichen

Beylage XIII.
nen. Sie reichten für das ſtrenge Bedürfniß hin, weil
die Stipulation eine ſo allgemeine Form war, daß jede
Art eines Vertrags, mochte es Kauf, Societät, Man-
dat u. ſ. w. ſeyn, in dieſelbe eingekleidet werden konnte.
In den Fällen ſolcher Rechtsgeſchäfte alſo wurde eine
Forderung durch den im Namen des Staats richtenden
Judex geſchützt, außer dieſen Fällen wurde ein Judex
verſagt.

Nun mochte es aber im täglichen Verkehr beſtändig
vorkommen, daß viele Geſchäfte auf Treue und Glauben
geſchloſſen wurden, ohne daß man die feyerliche Form der
Stipulation hinzufügte; die große Mehrzahl ſolcher Ver-
träge wurden, wie es auch bey uns geſchieht, erfüllt, ohne
daß man an die Hülfe eines Richters dachte. Wenn aber
in einzelnen Fällen über die Art der Erfüllung Streit ent-
ſtand, oder wenn der eine Theil ſich darauf berufen wollte,
daß er zu gar Nichts verpflichtet ſey, weil die Stipula-
tion fehle, ſollte dann die richterliche Hülfe verſagt wer-
den? Es lag ſehr nahe, dieſe zu geſtatten, und zwar mit
Rückſicht auf die unter rechtlichen Männern ohnehin herr-
ſchende Sitte und das darauf gegründete gegenſeitige Ver-
trauen (bona fides, ut inter bonos). Indem man aber
nicht ſowohl eine ſtrenge Verpflichtung nach Civilrecht,
als die Anerkennung der guten Sitte, zum Grund legte,
ſchien es zweckmäßig, auch die Art der Ausführung durch
dieſen Grund beſtimmen zu laſſen. Der Prätor nöthigte
die Parteyen, ſich über einen Richter in einer ähnlichen

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[488/0502] Beylage XIII. nen. Sie reichten für das ſtrenge Bedürfniß hin, weil die Stipulation eine ſo allgemeine Form war, daß jede Art eines Vertrags, mochte es Kauf, Societät, Man- dat u. ſ. w. ſeyn, in dieſelbe eingekleidet werden konnte. In den Fällen ſolcher Rechtsgeſchäfte alſo wurde eine Forderung durch den im Namen des Staats richtenden Judex geſchützt, außer dieſen Fällen wurde ein Judex verſagt. Nun mochte es aber im täglichen Verkehr beſtändig vorkommen, daß viele Geſchäfte auf Treue und Glauben geſchloſſen wurden, ohne daß man die feyerliche Form der Stipulation hinzufügte; die große Mehrzahl ſolcher Ver- träge wurden, wie es auch bey uns geſchieht, erfüllt, ohne daß man an die Hülfe eines Richters dachte. Wenn aber in einzelnen Fällen über die Art der Erfüllung Streit ent- ſtand, oder wenn der eine Theil ſich darauf berufen wollte, daß er zu gar Nichts verpflichtet ſey, weil die Stipula- tion fehle, ſollte dann die richterliche Hülfe verſagt wer- den? Es lag ſehr nahe, dieſe zu geſtatten, und zwar mit Rückſicht auf die unter rechtlichen Männern ohnehin herr- ſchende Sitte und das darauf gegründete gegenſeitige Ver- trauen (bona fides, ut inter bonos). Indem man aber nicht ſowohl eine ſtrenge Verpflichtung nach Civilrecht, als die Anerkennung der guten Sitte, zum Grund legte, ſchien es zweckmäßig, auch die Art der Ausführung durch dieſen Grund beſtimmen zu laſſen. Der Prätor nöthigte die Parteyen, ſich über einen Richter in einer ähnlichen

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/502>, abgerufen am 02.05.2024.