Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Beylage XIV.
bloße facere umfassende, Natur der Stipulation überhaupt,
und der aus ihr entspringenden incerti condictio, deutet
auf einen ähnlichen Rechtszustand hin, der für die Römer
desselben Zeitalters mit der größten Wahrscheinlichkeit an-
zunehmen ist.

Endlich ist noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der
hier in Zweifel gezogenen Meynung zu einseitig an die
Stipulation, als Entstehungsgrund der Condiction, zu den-
ken pflegen. Die Meynung geht also dahin, daß eine in-
certa stipulatio
lange Zeit wirkungslos gewesen, und an
ihrer Stelle nur eine Strafstipulation auf Geld gebraucht
worden sey. Dabey wird übersehen, daß die incerti con-
dictio
auch ganz andere Entstehungsgründe haben kann.
Wenn Jemand, in der irrigen Voraussetzung einer Schuld,
baar zahlt, so hat er eine (indebiti) certi condictio; ex-
promittirt er, anstatt zu zahlen, so ist seine Condiction in-
certi.
Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die-
sem letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte,
blos weil es an einer passenden formula fehlte. Nimmt
man aber für diesen Fall eine von jeher geltende incerti
condictio
an, so ist nicht einzusehen, warum dieselbe nicht
auch für die incerta stipulatio von jeher gegolten ha-
ben sollte.



Beylage XIV.
bloße facere umfaſſende, Natur der Stipulation überhaupt,
und der aus ihr entſpringenden incerti condictio, deutet
auf einen ähnlichen Rechtszuſtand hin, der für die Römer
deſſelben Zeitalters mit der größten Wahrſcheinlichkeit an-
zunehmen iſt.

Endlich iſt noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der
hier in Zweifel gezogenen Meynung zu einſeitig an die
Stipulation, als Entſtehungsgrund der Condiction, zu den-
ken pflegen. Die Meynung geht alſo dahin, daß eine in-
certa stipulatio
lange Zeit wirkungslos geweſen, und an
ihrer Stelle nur eine Strafſtipulation auf Geld gebraucht
worden ſey. Dabey wird überſehen, daß die incerti con-
dictio
auch ganz andere Entſtehungsgründe haben kann.
Wenn Jemand, in der irrigen Vorausſetzung einer Schuld,
baar zahlt, ſo hat er eine (indebiti) certi condictio; ex-
promittirt er, anſtatt zu zahlen, ſo iſt ſeine Condiction in-
certi.
Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die-
ſem letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte,
blos weil es an einer paſſenden formula fehlte. Nimmt
man aber für dieſen Fall eine von jeher geltende incerti
condictio
an, ſo iſt nicht einzuſehen, warum dieſelbe nicht
auch für die incerta stipulatio von jeher gegolten ha-
ben ſollte.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0656" n="642"/><fw place="top" type="header">Beylage <hi rendition="#aq">XIV.</hi></fw><lb/>
bloße <hi rendition="#aq">facere</hi> umfa&#x017F;&#x017F;ende, Natur der Stipulation überhaupt,<lb/>
und der aus ihr ent&#x017F;pringenden <hi rendition="#aq">incerti condictio,</hi> deutet<lb/>
auf einen ähnlichen Rechtszu&#x017F;tand hin, der für die Römer<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben Zeitalters mit der größten Wahr&#x017F;cheinlichkeit an-<lb/>
zunehmen i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Endlich i&#x017F;t noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der<lb/>
hier in Zweifel gezogenen Meynung zu ein&#x017F;eitig an die<lb/>
Stipulation, als Ent&#x017F;tehungsgrund der Condiction, zu den-<lb/>
ken pflegen. Die Meynung geht al&#x017F;o dahin, daß eine <hi rendition="#aq">in-<lb/>
certa <hi rendition="#i">stipulatio</hi></hi> lange Zeit wirkungslos gewe&#x017F;en, und an<lb/>
ihrer Stelle nur eine Straf&#x017F;tipulation auf Geld gebraucht<lb/>
worden &#x017F;ey. Dabey wird über&#x017F;ehen, daß die <hi rendition="#aq">incerti con-<lb/>
dictio</hi> auch ganz andere Ent&#x017F;tehungsgründe haben kann.<lb/>
Wenn Jemand, in der irrigen Voraus&#x017F;etzung einer Schuld,<lb/>
baar zahlt, &#x017F;o hat er eine <hi rendition="#aq">(indebiti) certi condictio;</hi> ex-<lb/>
promittirt er, an&#x017F;tatt zu zahlen, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;eine Condiction <hi rendition="#aq">in-<lb/>
certi.</hi> Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die-<lb/>
&#x017F;em letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte,<lb/>
blos weil es an einer pa&#x017F;&#x017F;enden <hi rendition="#aq">formula</hi> fehlte. Nimmt<lb/>
man aber für die&#x017F;en Fall eine von jeher geltende <hi rendition="#aq">incerti<lb/>
condictio</hi> an, &#x017F;o i&#x017F;t nicht einzu&#x017F;ehen, warum die&#x017F;elbe nicht<lb/>
auch für die <hi rendition="#aq">incerta stipulatio</hi> von jeher gegolten ha-<lb/>
ben &#x017F;ollte.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[642/0656] Beylage XIV. bloße facere umfaſſende, Natur der Stipulation überhaupt, und der aus ihr entſpringenden incerti condictio, deutet auf einen ähnlichen Rechtszuſtand hin, der für die Römer deſſelben Zeitalters mit der größten Wahrſcheinlichkeit an- zunehmen iſt. Endlich iſt noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der hier in Zweifel gezogenen Meynung zu einſeitig an die Stipulation, als Entſtehungsgrund der Condiction, zu den- ken pflegen. Die Meynung geht alſo dahin, daß eine in- certa stipulatio lange Zeit wirkungslos geweſen, und an ihrer Stelle nur eine Strafſtipulation auf Geld gebraucht worden ſey. Dabey wird überſehen, daß die incerti con- dictio auch ganz andere Entſtehungsgründe haben kann. Wenn Jemand, in der irrigen Vorausſetzung einer Schuld, baar zahlt, ſo hat er eine (indebiti) certi condictio; ex- promittirt er, anſtatt zu zahlen, ſo iſt ſeine Condiction in- certi. Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die- ſem letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte, blos weil es an einer paſſenden formula fehlte. Nimmt man aber für dieſen Fall eine von jeher geltende incerti condictio an, ſo iſt nicht einzuſehen, warum dieſelbe nicht auch für die incerta stipulatio von jeher gegolten ha- ben ſollte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/656
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/656>, abgerufen am 29.04.2024.