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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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§. 362. I. Zustand der Person an sich.
Diese Meinung ist noch aus besonderen Gründen, unabhän-
gig von dem allgemeinen Widerstreite, zu verwerfen. Wenn
Der, welcher auswärts einen Vertrag schließt, an seinem
Wohnsitz mehr Handlungsfähigkeit hat, als am Ort des
Vertrags, so kann man nicht annehmen, daß er sich habe
mit diesem Vertrag einem örtlichen Rechte unterwerfen
wollen, nach welchem dieser Vertrag ungültig wäre; die
freie Unterwerfung aber (die sogenannte Autonomie) ist ja
der einzige Grund, wodurch das am Ort des Vertrags gel-
tende Recht anwendbar gemacht werden soll. Hat aber
umgekehrt der Handelnde an seinem Wohnsitz weniger
Handlungsfähigkeit, als am Ort des Vertrags, so daß der
am Wohnsitz geschlossene Vertrag ungültig wäre, so würde
es inconsequent sein, wenn das heimathliche Gesetz den
Vertrag an sich verhindern, aber mit Hülfe einer kleinen
Reise zulassen wollte; vielmehr wird ihn jenes Gesetz eben
sowohl an der Unterwerfung unter das fremde Recht, als
an dem Vertrag selbst, verhindern. Dabei braucht gar
nicht einmal die Absicht einer Umgehung des Gesetzes (in
fraudem legis)
eingemischt zu werden.

Der neueste Vertheidiger jener Unterscheidung nimmt
dagegen an, daß die Wirkungen der persönlichen Eigen-
schaften nach dem örtlichen Recht des in jedem einzelnen
Falle urtheilenden Richters zu beurtheilen seyen (Note c).
Gegen diese Meinung muß ich zunächst die Gründe geltend
machen, die gegen die ganze Unterscheidung zwischen den
Eigenschaften an sich und deren Wirkungen bisher ausge-

§. 362. I. Zuſtand der Perſon an ſich.
Dieſe Meinung iſt noch aus beſonderen Gründen, unabhän-
gig von dem allgemeinen Widerſtreite, zu verwerfen. Wenn
Der, welcher auswärts einen Vertrag ſchließt, an ſeinem
Wohnſitz mehr Handlungsfähigkeit hat, als am Ort des
Vertrags, ſo kann man nicht annehmen, daß er ſich habe
mit dieſem Vertrag einem örtlichen Rechte unterwerfen
wollen, nach welchem dieſer Vertrag ungültig wäre; die
freie Unterwerfung aber (die ſogenannte Autonomie) iſt ja
der einzige Grund, wodurch das am Ort des Vertrags gel-
tende Recht anwendbar gemacht werden ſoll. Hat aber
umgekehrt der Handelnde an ſeinem Wohnſitz weniger
Handlungsfähigkeit, als am Ort des Vertrags, ſo daß der
am Wohnſitz geſchloſſene Vertrag ungültig wäre, ſo würde
es inconſequent ſein, wenn das heimathliche Geſetz den
Vertrag an ſich verhindern, aber mit Hülfe einer kleinen
Reiſe zulaſſen wollte; vielmehr wird ihn jenes Geſetz eben
ſowohl an der Unterwerfung unter das fremde Recht, als
an dem Vertrag ſelbſt, verhindern. Dabei braucht gar
nicht einmal die Abſicht einer Umgehung des Geſetzes (in
fraudem legis)
eingemiſcht zu werden.

Der neueſte Vertheidiger jener Unterſcheidung nimmt
dagegen an, daß die Wirkungen der perſönlichen Eigen-
ſchaften nach dem örtlichen Recht des in jedem einzelnen
Falle urtheilenden Richters zu beurtheilen ſeyen (Note c).
Gegen dieſe Meinung muß ich zunächſt die Gründe geltend
machen, die gegen die ganze Unterſcheidung zwiſchen den
Eigenſchaften an ſich und deren Wirkungen bisher ausge-

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[139/0161] §. 362. I. Zuſtand der Perſon an ſich. Dieſe Meinung iſt noch aus beſonderen Gründen, unabhän- gig von dem allgemeinen Widerſtreite, zu verwerfen. Wenn Der, welcher auswärts einen Vertrag ſchließt, an ſeinem Wohnſitz mehr Handlungsfähigkeit hat, als am Ort des Vertrags, ſo kann man nicht annehmen, daß er ſich habe mit dieſem Vertrag einem örtlichen Rechte unterwerfen wollen, nach welchem dieſer Vertrag ungültig wäre; die freie Unterwerfung aber (die ſogenannte Autonomie) iſt ja der einzige Grund, wodurch das am Ort des Vertrags gel- tende Recht anwendbar gemacht werden ſoll. Hat aber umgekehrt der Handelnde an ſeinem Wohnſitz weniger Handlungsfähigkeit, als am Ort des Vertrags, ſo daß der am Wohnſitz geſchloſſene Vertrag ungültig wäre, ſo würde es inconſequent ſein, wenn das heimathliche Geſetz den Vertrag an ſich verhindern, aber mit Hülfe einer kleinen Reiſe zulaſſen wollte; vielmehr wird ihn jenes Geſetz eben ſowohl an der Unterwerfung unter das fremde Recht, als an dem Vertrag ſelbſt, verhindern. Dabei braucht gar nicht einmal die Abſicht einer Umgehung des Geſetzes (in fraudem legis) eingemiſcht zu werden. Der neueſte Vertheidiger jener Unterſcheidung nimmt dagegen an, daß die Wirkungen der perſönlichen Eigen- ſchaften nach dem örtlichen Recht des in jedem einzelnen Falle urtheilenden Richters zu beurtheilen ſeyen (Note c). Gegen dieſe Meinung muß ich zunächſt die Gründe geltend machen, die gegen die ganze Unterſcheidung zwiſchen den Eigenſchaften an ſich und deren Wirkungen bisher ausge-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/161>, abgerufen am 29.04.2024.