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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Ideen zu einer Kriminalpsychologie. Halle, 1792.

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Eine zweyte Ursach des Mangels an Män-
nern, die den richterlichen Pflichten gleich
sind, ist darin zu suchen, dass man den jun-
gen Kriminalisten zwar die Verbrechen, aber
nicht die Verbrecher kennen lehrt. Sie hören
von ihren Lehrern und lesen in ihren Lehr-
büchern die verschiedenen Kriteria, an wel-
chen sich Homicidium simplex vom qualificato,
Raub vom Diebstahl u. s. w. unterscheidet;
sie lernen die im Gesetz bestimmten Milde-
rungs- und Schärfungsgründe kennen, und er-
fahren, was das System für Indicia remota
oder proxima hält; aber sich mit diesen Defi-
nitionen und Theoremen im würklichen Le-
ben zu finden, aus dem Geiste der Handlung
zu bestimmen, unter welchen Begriff sie ge-
höre, und wie und in wie fern sie dem freyen
Willen des Handelnden anzurechnen sey, das
lernen sie nicht. Es ist meine Meynung gar
nicht, dass das Studium des positiven Krimi-
nalrechts von denen, welche sich zu Richtern

bil-

Eine zweyte Urſach des Mangels an Män-
nern, die den richterlichen Pflichten gleich
ſind, iſt darin zu ſuchen, daſs man den jun-
gen Kriminaliſten zwar die Verbrechen, aber
nicht die Verbrecher kennen lehrt. Sie hören
von ihren Lehrern und leſen in ihren Lehr-
büchern die verſchiedenen Kriteria, an wel-
chen ſich Homicidium ſimplex vom qualificato,
Raub vom Diebſtahl u. ſ. w. unterſcheidet;
ſie lernen die im Geſetz beſtimmten Milde-
rungs- und Schärfungsgründe kennen, und er-
fahren, was das Syſtem für Indicia remota
oder proxima hält; aber ſich mit dieſen Defi-
nitionen und Theoremen im würklichen Le-
ben zu finden, aus dem Geiſte der Handlung
zu beſtimmen, unter welchen Begriff ſie ge-
höre, und wie und in wie fern ſie dem freyen
Willen des Handelnden anzurechnen ſey, das
lernen ſie nicht. Es iſt meine Meynung gar
nicht, daſs das Studium des poſitiven Krimi-
nalrechts von denen, welche ſich zu Richtern

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[60/0062] Eine zweyte Urſach des Mangels an Män- nern, die den richterlichen Pflichten gleich ſind, iſt darin zu ſuchen, daſs man den jun- gen Kriminaliſten zwar die Verbrechen, aber nicht die Verbrecher kennen lehrt. Sie hören von ihren Lehrern und leſen in ihren Lehr- büchern die verſchiedenen Kriteria, an wel- chen ſich Homicidium ſimplex vom qualificato, Raub vom Diebſtahl u. ſ. w. unterſcheidet; ſie lernen die im Geſetz beſtimmten Milde- rungs- und Schärfungsgründe kennen, und er- fahren, was das Syſtem für Indicia remota oder proxima hält; aber ſich mit dieſen Defi- nitionen und Theoremen im würklichen Le- ben zu finden, aus dem Geiſte der Handlung zu beſtimmen, unter welchen Begriff ſie ge- höre, und wie und in wie fern ſie dem freyen Willen des Handelnden anzurechnen ſey, das lernen ſie nicht. Es iſt meine Meynung gar nicht, daſs das Studium des poſitiven Krimi- nalrechts von denen, welche ſich zu Richtern bil-

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Ideen zu einer Kriminalpsychologie. Halle, 1792, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_crimipsyche_1792/62>, abgerufen am 02.05.2024.