Vernunft Erkenntniß suchen darf: wenn gleich selbst diese Grenzbestimmung nicht alle philosophi- sche Freygeister abgehalten haben würde, über die Grenze auszuschweifen, und in erkenntnißlee- ren Regionen zu schwärmen.
Jch will hier gar nicht einmal der kindischen Behauptung gedenken, welche Brucker und an- dere in ihrer Geschichte der Philosophie anführen, daß Adam den Schlaf erfunden habe, Noah ein großer Chymist, und die Schlange, welche Eva verführte, eine geschickte Sophistin gewesen sey; Jakob Böhme und seine Genossen, und so man- che noch itzt erscheinende Träumerey aus der Me- taphysik, Politik u. dergl. geben Beyspiele genug von philosophischer Schwärmerey.
Shakespear zeigt in seinem vortreflichen Ham- let an dem Oberkämmerer Polonius mit treffender Wahrheit, wie einem solchen schwärmerischen Pe- danten seine Grillen über alles gehen: und wie wenig er sich daraus macht, andre Menschen dadurch zu quälen, wenn er nur für sie Raum und Zeit finden kann.
Der König und die Königin sind äußerst un- ruhig über den Wahnwitz des Prinzen Hamlet, weil ihr strafendes Gewissen ihnen manche Ursache desselben vorrücken mußte. Polonius, welcher die Liebe des Prinzen zu seiner Tochter Ophelia erfahren hat, und darin die Ursache des Wahn-
witzes
Vernunft Erkenntniß ſuchen darf: wenn gleich ſelbſt dieſe Grenzbeſtimmung nicht alle philoſophi- ſche Freygeiſter abgehalten haben wuͤrde, uͤber die Grenze auszuſchweifen, und in erkenntnißlee- ren Regionen zu ſchwaͤrmen.
Jch will hier gar nicht einmal der kindiſchen Behauptung gedenken, welche Brucker und an- dere in ihrer Geſchichte der Philoſophie anfuͤhren, daß Adam den Schlaf erfunden habe, Noah ein großer Chymiſt, und die Schlange, welche Eva verfuͤhrte, eine geſchickte Sophiſtin geweſen ſey; Jakob Boͤhme und ſeine Genoſſen, und ſo man- che noch itzt erſcheinende Traͤumerey aus der Me- taphyſik, Politik u. dergl. geben Beyſpiele genug von philoſophiſcher Schwaͤrmerey.
Shakeſpear zeigt in ſeinem vortreflichen Ham- let an dem Oberkaͤmmerer Polonius mit treffender Wahrheit, wie einem ſolchen ſchwaͤrmeriſchen Pe- danten ſeine Grillen uͤber alles gehen: und wie wenig er ſich daraus macht, andre Menſchen dadurch zu quaͤlen, wenn er nur fuͤr ſie Raum und Zeit finden kann.
Der Koͤnig und die Koͤnigin ſind aͤußerſt un- ruhig uͤber den Wahnwitz des Prinzen Hamlet, weil ihr ſtrafendes Gewiſſen ihnen manche Urſache deſſelben vorruͤcken mußte. Polonius, welcher die Liebe des Prinzen zu ſeiner Tochter Ophelia erfahren hat, und darin die Urſache des Wahn-
witzes
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Vernunft Erkenntniß ſuchen darf: wenn gleich
ſelbſt dieſe Grenzbeſtimmung nicht alle philoſophi-
ſche Freygeiſter abgehalten haben wuͤrde, uͤber
die Grenze auszuſchweifen, und in erkenntnißlee-
ren Regionen zu ſchwaͤrmen.
Jch will hier gar nicht einmal der kindiſchen
Behauptung gedenken, welche Brucker und an-
dere in ihrer Geſchichte der Philoſophie anfuͤhren,
daß Adam den Schlaf erfunden habe, Noah ein
großer Chymiſt, und die Schlange, welche Eva
verfuͤhrte, eine geſchickte Sophiſtin geweſen ſey;
Jakob Boͤhme und ſeine Genoſſen, und ſo man-
che noch itzt erſcheinende Traͤumerey aus der Me-
taphyſik, Politik u. dergl. geben Beyſpiele genug
von philoſophiſcher Schwaͤrmerey.
Shakeſpear zeigt in ſeinem vortreflichen Ham-
let an dem Oberkaͤmmerer Polonius mit treffender
Wahrheit, wie einem ſolchen ſchwaͤrmeriſchen Pe-
danten ſeine Grillen uͤber alles gehen: und wie wenig
er ſich daraus macht, andre Menſchen dadurch
zu quaͤlen, wenn er nur fuͤr ſie Raum und Zeit
finden kann.
Der Koͤnig und die Koͤnigin ſind aͤußerſt un-
ruhig uͤber den Wahnwitz des Prinzen Hamlet,
weil ihr ſtrafendes Gewiſſen ihnen manche Urſache
deſſelben vorruͤcken mußte. Polonius, welcher
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/270>, abgerufen am 16.06.2024.
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