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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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und Mädchen, und Männer und Weiber huldi-
gen ihrer schönen Gestalt. --

Der Stolz auf Stärke findet sich am häu-
figsten da, wo zur Erfüllung des Berufs körper-
liche Kräfte erfordert werden, wie bey dem Sol-
daten, oder wo die Vorzüge des Geistes nicht
geschätzt werden können, weil der Geist noch in
der Rohheit liegt, wie bey unsern alten Vorfahren
und mehrern wilden Nationen, oder wo das
Recht des Stärkern Gültigkeit hat, wie bey eben
diesen und den alten und jungen Kindern kultivir-
ter Nationen. Er kann leicht bäurisch werden,
wenn nicht das Gefühl für das, was anständig
und fein ist, ihm das Gleichgewicht hält, weil er
grade in einem derben Betragen gegen Andre die
Gelegenheit sich zu zeigen findet. Wer von die-
sem Stolze beseelt wird, spricht und handelt wie
ein Ritter der Vorzeit, oder, wenn er gebildeter
ist, wie ein tapfrer Held. Wenn er sich bemer-
ken lassen will, nimmt er eine gespannte trotzbie-
tende Stellung an. Wer sichtbare Geistesvor-
züge hat, ist ihm am meisten zuwider, weil er
bey dem Anblick eines Solchen doch wohl fühlt, daß
seine körperliche Vollkommenheit dem Talent und
der Geistescultur nachstehen, und fürchtet, daß
Jener im Herzen seines Stolzes lache. Er kennt
keine größere Schande, als überwunden zu wer-
den, und wird, so gern er seine Kraft gegen den,

von

und Maͤdchen, und Maͤnner und Weiber huldi-
gen ihrer ſchoͤnen Geſtalt. —

Der Stolz auf Staͤrke findet ſich am haͤu-
figſten da, wo zur Erfuͤllung des Berufs koͤrper-
liche Kraͤfte erfordert werden, wie bey dem Sol-
daten, oder wo die Vorzuͤge des Geiſtes nicht
geſchaͤtzt werden koͤnnen, weil der Geiſt noch in
der Rohheit liegt, wie bey unſern alten Vorfahren
und mehrern wilden Nationen, oder wo das
Recht des Staͤrkern Guͤltigkeit hat, wie bey eben
dieſen und den alten und jungen Kindern kultivir-
ter Nationen. Er kann leicht baͤuriſch werden,
wenn nicht das Gefuͤhl fuͤr das, was anſtaͤndig
und fein iſt, ihm das Gleichgewicht haͤlt, weil er
grade in einem derben Betragen gegen Andre die
Gelegenheit ſich zu zeigen findet. Wer von die-
ſem Stolze beſeelt wird, ſpricht und handelt wie
ein Ritter der Vorzeit, oder, wenn er gebildeter
iſt, wie ein tapfrer Held. Wenn er ſich bemer-
ken laſſen will, nimmt er eine geſpannte trotzbie-
tende Stellung an. Wer ſichtbare Geiſtesvor-
zuͤge hat, iſt ihm am meiſten zuwider, weil er
bey dem Anblick eines Solchen doch wohl fuͤhlt, daß
ſeine koͤrperliche Vollkommenheit dem Talent und
der Geiſtescultur nachſtehen, und fuͤrchtet, daß
Jener im Herzen ſeines Stolzes lache. Er kennt
keine groͤßere Schande, als uͤberwunden zu wer-
den, und wird, ſo gern er ſeine Kraft gegen den,

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[428/0144] und Maͤdchen, und Maͤnner und Weiber huldi- gen ihrer ſchoͤnen Geſtalt. — Der Stolz auf Staͤrke findet ſich am haͤu- figſten da, wo zur Erfuͤllung des Berufs koͤrper- liche Kraͤfte erfordert werden, wie bey dem Sol- daten, oder wo die Vorzuͤge des Geiſtes nicht geſchaͤtzt werden koͤnnen, weil der Geiſt noch in der Rohheit liegt, wie bey unſern alten Vorfahren und mehrern wilden Nationen, oder wo das Recht des Staͤrkern Guͤltigkeit hat, wie bey eben dieſen und den alten und jungen Kindern kultivir- ter Nationen. Er kann leicht baͤuriſch werden, wenn nicht das Gefuͤhl fuͤr das, was anſtaͤndig und fein iſt, ihm das Gleichgewicht haͤlt, weil er grade in einem derben Betragen gegen Andre die Gelegenheit ſich zu zeigen findet. Wer von die- ſem Stolze beſeelt wird, ſpricht und handelt wie ein Ritter der Vorzeit, oder, wenn er gebildeter iſt, wie ein tapfrer Held. Wenn er ſich bemer- ken laſſen will, nimmt er eine geſpannte trotzbie- tende Stellung an. Wer ſichtbare Geiſtesvor- zuͤge hat, iſt ihm am meiſten zuwider, weil er bey dem Anblick eines Solchen doch wohl fuͤhlt, daß ſeine koͤrperliche Vollkommenheit dem Talent und der Geiſtescultur nachſtehen, und fuͤrchtet, daß Jener im Herzen ſeines Stolzes lache. Er kennt keine groͤßere Schande, als uͤberwunden zu wer- den, und wird, ſo gern er ſeine Kraft gegen den, von

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/144>, abgerufen am 30.04.2024.