Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Da gingen sie den Heribald zu suchen.

Er war auf seiner Zelle. Die gelbgraue Klosterkatze schien ihm
ein Leides zugefügt zu haben, er hatte ihr den Strick, der sein Ge-
wand zusammenhalten sollte, um den Leib geschnürt und sie an einen
Nagel an seines Gemaches Decke aufgehängt; in die leere Luft herab
hing das alte Thier, das schrie und miaute betrüblich, er aber schau-
kelte es sänftlich hin und her, und sprach lateinisch mit ihm.

Vorwärts, Heribald! riefen die Genossen, wir müssen die Insel
verlassen.

Fliehe wer will! sprach der Blödsinnige, Heribald flieht nicht mit.

Sei brav, Heribald, und folg' uns; der Abt hat's anbefohlen.

Da zog Heribald seinen Schuh aus und hielt ihn den Brüdern
entgegen: Der Schuh ist schon im vorigen Jahr zerrissen, sprach er,
da ist Heribald zum Camerarius gegangen, gib mir mein jährlich
Leder, hat Heribald gesagt, daß ich mir ein neu Paar Schuhe aufer-
tige, da hat der Camerarius gesagt, tritt du deine Schuhe nicht krumm,
so werden sie nicht reißen, und hat das Leder geweigert, und wie Heri-
bald den Camerarius beim Abt verklagt, hat ihm der gesagt: Ein
Narr wie du kann barfuß laufen! Jetzt hat Heribald kein ordentlich
Fußwerk, und mit zerrissenem geht er nicht unter fremde Leute162) ...

Solchen Gründen war keine stichhaltige Widerlegung entgegenzu-
setzen. Da umschlangen ihn die Brüder mit starkem Arm, ihn hinab-
zutragen; im Gang aber riß er sich los, und floh mit Windeseile
hinab in die Kirche und die Treppen hinauf, die auf den Kirchthurm
führten. Zu oberst setzte er sich fest, und zog das hölzerne Stieglein
empor; es war ihm nimmer beizukommen.

Sie erstatteten dem Abte Bericht. Lasset ihn zurück, sprach der
Abt, über Kinder und Thoren wacht ein besonderer Schutzengel.

Zwei große Lädinen lagen am Ufer, die Abziehenden aufzunehmen:
wohlgerüstete Schiffe mit Ruder und Segelbaum. In kleinen Käh-
nen hatten sich des Klosters dienende Leute und was sonst noch auf
der Reichenau hauste, mit Hab und Gut eingeschifft; es war ein
wirres Durcheinander.

Ein Nachen voll von Mägden und befehligt von Kerhildis der
Obermagd war bereits abgefahren; sie wußten selber nicht wohin, --

Da gingen ſie den Heribald zu ſuchen.

Er war auf ſeiner Zelle. Die gelbgraue Kloſterkatze ſchien ihm
ein Leides zugefügt zu haben, er hatte ihr den Strick, der ſein Ge-
wand zuſammenhalten ſollte, um den Leib geſchnürt und ſie an einen
Nagel an ſeines Gemaches Decke aufgehängt; in die leere Luft herab
hing das alte Thier, das ſchrie und miaute betrüblich, er aber ſchau-
kelte es ſänftlich hin und her, und ſprach lateiniſch mit ihm.

Vorwärts, Heribald! riefen die Genoſſen, wir müſſen die Inſel
verlaſſen.

Fliehe wer will! ſprach der Blödſinnige, Heribald flieht nicht mit.

Sei brav, Heribald, und folg' uns; der Abt hat's anbefohlen.

Da zog Heribald ſeinen Schuh aus und hielt ihn den Brüdern
entgegen: Der Schuh iſt ſchon im vorigen Jahr zerriſſen, ſprach er,
da iſt Heribald zum Camerarius gegangen, gib mir mein jährlich
Leder, hat Heribald geſagt, daß ich mir ein neu Paar Schuhe aufer-
tige, da hat der Camerarius geſagt, tritt du deine Schuhe nicht krumm,
ſo werden ſie nicht reißen, und hat das Leder geweigert, und wie Heri-
bald den Camerarius beim Abt verklagt, hat ihm der geſagt: Ein
Narr wie du kann barfuß laufen! Jetzt hat Heribald kein ordentlich
Fußwerk, und mit zerriſſenem geht er nicht unter fremde Leute162) ...

Solchen Gründen war keine ſtichhaltige Widerlegung entgegenzu-
ſetzen. Da umſchlangen ihn die Brüder mit ſtarkem Arm, ihn hinab-
zutragen; im Gang aber riß er ſich los, und floh mit Windeseile
hinab in die Kirche und die Treppen hinauf, die auf den Kirchthurm
führten. Zu oberſt ſetzte er ſich feſt, und zog das hölzerne Stieglein
empor; es war ihm nimmer beizukommen.

Sie erſtatteten dem Abte Bericht. Laſſet ihn zurück, ſprach der
Abt, über Kinder und Thoren wacht ein beſonderer Schutzengel.

Zwei große Lädinen lagen am Ufer, die Abziehenden aufzunehmen:
wohlgerüſtete Schiffe mit Ruder und Segelbaum. In kleinen Käh-
nen hatten ſich des Kloſters dienende Leute und was ſonſt noch auf
der Reichenau hauste, mit Hab und Gut eingeſchifft; es war ein
wirres Durcheinander.

Ein Nachen voll von Mägden und befehligt von Kerhildis der
Obermagd war bereits abgefahren; ſie wußten ſelber nicht wohin, —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0173" n="151"/>
        <p>Da gingen &#x017F;ie den Heribald zu &#x017F;uchen.</p><lb/>
        <p>Er war auf &#x017F;einer Zelle. Die gelbgraue Klo&#x017F;terkatze &#x017F;chien ihm<lb/>
ein Leides zugefügt zu haben, er hatte ihr den Strick, der &#x017F;ein Ge-<lb/>
wand zu&#x017F;ammenhalten &#x017F;ollte, um den Leib ge&#x017F;chnürt und &#x017F;ie an einen<lb/>
Nagel an &#x017F;eines Gemaches Decke aufgehängt; in die leere Luft herab<lb/>
hing das alte Thier, das &#x017F;chrie und miaute betrüblich, er aber &#x017F;chau-<lb/>
kelte es &#x017F;änftlich hin und her, und &#x017F;prach lateini&#x017F;ch mit ihm.</p><lb/>
        <p>Vorwärts, Heribald! riefen die Geno&#x017F;&#x017F;en, wir mü&#x017F;&#x017F;en die In&#x017F;el<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Fliehe wer will! &#x017F;prach der Blöd&#x017F;innige, Heribald flieht nicht mit.</p><lb/>
        <p>Sei brav, Heribald, und folg' uns; der Abt hat's anbefohlen.</p><lb/>
        <p>Da zog Heribald &#x017F;einen Schuh aus und hielt ihn den Brüdern<lb/>
entgegen: Der Schuh i&#x017F;t &#x017F;chon im vorigen Jahr zerri&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;prach er,<lb/>
da i&#x017F;t Heribald zum Camerarius gegangen, gib mir mein jährlich<lb/>
Leder, hat Heribald ge&#x017F;agt, daß ich mir ein neu Paar Schuhe aufer-<lb/>
tige, da hat der Camerarius ge&#x017F;agt, tritt du deine Schuhe nicht krumm,<lb/>
&#x017F;o werden &#x017F;ie nicht reißen, und hat das Leder geweigert, und wie Heri-<lb/>
bald den Camerarius beim Abt verklagt, hat ihm der ge&#x017F;agt: Ein<lb/>
Narr wie du kann barfuß laufen! Jetzt hat Heribald kein ordentlich<lb/>
Fußwerk, und mit zerri&#x017F;&#x017F;enem geht er nicht unter fremde Leute<note xml:id="ed162" next="#edt162" place="end" n="162)"/> ...</p><lb/>
        <p>Solchen Gründen war keine &#x017F;tichhaltige Widerlegung entgegenzu-<lb/>
&#x017F;etzen. Da um&#x017F;chlangen ihn die Brüder mit &#x017F;tarkem Arm, ihn hinab-<lb/>
zutragen; im Gang aber riß er &#x017F;ich los, und floh mit Windeseile<lb/>
hinab in die Kirche und die Treppen hinauf, die auf den Kirchthurm<lb/>
führten. Zu ober&#x017F;t &#x017F;etzte er &#x017F;ich fe&#x017F;t, und zog das hölzerne Stieglein<lb/>
empor; es war ihm nimmer beizukommen.</p><lb/>
        <p>Sie er&#x017F;tatteten dem Abte Bericht. La&#x017F;&#x017F;et ihn zurück, &#x017F;prach der<lb/>
Abt, über Kinder und Thoren wacht ein be&#x017F;onderer Schutzengel.</p><lb/>
        <p>Zwei große Lädinen lagen am Ufer, die Abziehenden aufzunehmen:<lb/>
wohlgerü&#x017F;tete Schiffe mit Ruder und Segelbaum. In kleinen Käh-<lb/>
nen hatten &#x017F;ich des Klo&#x017F;ters dienende Leute und was &#x017F;on&#x017F;t noch auf<lb/>
der Reichenau hauste, mit Hab und Gut einge&#x017F;chifft; es war ein<lb/>
wirres Durcheinander.</p><lb/>
        <p>Ein Nachen voll von Mägden und befehligt von Kerhildis der<lb/>
Obermagd war bereits abgefahren; &#x017F;ie wußten &#x017F;elber nicht wohin, &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0173] Da gingen ſie den Heribald zu ſuchen. Er war auf ſeiner Zelle. Die gelbgraue Kloſterkatze ſchien ihm ein Leides zugefügt zu haben, er hatte ihr den Strick, der ſein Ge- wand zuſammenhalten ſollte, um den Leib geſchnürt und ſie an einen Nagel an ſeines Gemaches Decke aufgehängt; in die leere Luft herab hing das alte Thier, das ſchrie und miaute betrüblich, er aber ſchau- kelte es ſänftlich hin und her, und ſprach lateiniſch mit ihm. Vorwärts, Heribald! riefen die Genoſſen, wir müſſen die Inſel verlaſſen. Fliehe wer will! ſprach der Blödſinnige, Heribald flieht nicht mit. Sei brav, Heribald, und folg' uns; der Abt hat's anbefohlen. Da zog Heribald ſeinen Schuh aus und hielt ihn den Brüdern entgegen: Der Schuh iſt ſchon im vorigen Jahr zerriſſen, ſprach er, da iſt Heribald zum Camerarius gegangen, gib mir mein jährlich Leder, hat Heribald geſagt, daß ich mir ein neu Paar Schuhe aufer- tige, da hat der Camerarius geſagt, tritt du deine Schuhe nicht krumm, ſo werden ſie nicht reißen, und hat das Leder geweigert, und wie Heri- bald den Camerarius beim Abt verklagt, hat ihm der geſagt: Ein Narr wie du kann barfuß laufen! Jetzt hat Heribald kein ordentlich Fußwerk, und mit zerriſſenem geht er nicht unter fremde Leute ¹⁶²⁾ ... Solchen Gründen war keine ſtichhaltige Widerlegung entgegenzu- ſetzen. Da umſchlangen ihn die Brüder mit ſtarkem Arm, ihn hinab- zutragen; im Gang aber riß er ſich los, und floh mit Windeseile hinab in die Kirche und die Treppen hinauf, die auf den Kirchthurm führten. Zu oberſt ſetzte er ſich feſt, und zog das hölzerne Stieglein empor; es war ihm nimmer beizukommen. Sie erſtatteten dem Abte Bericht. Laſſet ihn zurück, ſprach der Abt, über Kinder und Thoren wacht ein beſonderer Schutzengel. Zwei große Lädinen lagen am Ufer, die Abziehenden aufzunehmen: wohlgerüſtete Schiffe mit Ruder und Segelbaum. In kleinen Käh- nen hatten ſich des Kloſters dienende Leute und was ſonſt noch auf der Reichenau hauste, mit Hab und Gut eingeſchifft; es war ein wirres Durcheinander. Ein Nachen voll von Mägden und befehligt von Kerhildis der Obermagd war bereits abgefahren; ſie wußten ſelber nicht wohin, —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/173
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/173>, abgerufen am 06.05.2024.