Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Das wär' kein guter Klosterschüler, gab der Junge zur Antwort,
der vierzehn Jahre alt würde und keine Gedichte machen könnte. Mei-
nen Lobgesang auf den Erzengel Michael in doppelt gereimten Hexa-
metern hab' ich dem Abte vorlesen dürfen; er hat meine Verse eine
glänzende Perlenschnur geheißen. Und meine sapphische Ode zu Ehren
der frommen Wiborad ist auch recht schön, soll ich sie vortragen?

Um Gotteswillen! sprach Praxedis, glaubst du, man fällt bei
uns nur zum Burgthor herein und trägt gleich Oden vor? Wart'
erst dein Stück Kuchen ab.

Sie sprang zur Küche und ließ den gelehrten Neffen Ekkehard's
im Gespräch mit seinem Oheim unter der Linde zurück. Der plau-
derte denn ein Namhaftes von Trivium und Quadruvium; weil
gerade der Fels von Hohentwiel im Morgenlicht einen feingezeichneten
Schatten über das flache Land warf, erging sich der Klosterschüler in
einer weitläufigeren Disputation über den Grund des Schattens, als
welchen er mit Sicherheit einen dem Licht entgegenstehenden Körper
bezeichnete und alle andere Definitionen in ihrer Nichtigkeit nachwies.

Wie ein Springquell entströmte dem jugendlichen Munde die Fluth
der Wissenschaft. Auch in der Astronomie war er bewandert; das
Lob Zoroaster's von Bactrien und des Königs Ptolemäus von Aegyp-
tenland mußte der Oheim geduldig anhören, über Form und Verwen-
dung des Astrolabiums ward ihm scharf auf den Zahn gefühlt;227) auch begann der braungelockte Schwestersohn auseinander zu setzen,
wie faselnd die Meinung derer sei, die da glauben, daß auf der Rück-
seite des Erdglobus das ehrenwerthe Geschlecht der Antipoden228) hause -- vor fünf Tagen hatte er all' die schönen Sachen gelernt:
aber schließlich erging es dem Oheim wie dem tapfern Kaiser Otto,
da der weltweise Bischof Gerbert von Rheims und Otrich der Dom-
schulmeister von Magdeburg vor ihm und viel hundert gelahrten Aebten
und Scholastern ihren Wettkampf über Eintheilung und Grund der
theoretischen Philosophie229) abhielten -- er gähnte.

Jetzt kam Praxedis mit einem herrlichen Kirschkuchen und einem
Körbchen Früchte, das gab den Gedanken des fünfzehnjährigen Welt-
weisen eine Wendung zum Natürlicheren; als wohlerzogener Knabe
sprach er erst den Hymnus230) vor dem Essen, wie er in der Kloster-

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 18

Das wär' kein guter Kloſterſchüler, gab der Junge zur Antwort,
der vierzehn Jahre alt würde und keine Gedichte machen könnte. Mei-
nen Lobgeſang auf den Erzengel Michael in doppelt gereimten Hexa-
metern hab' ich dem Abte vorleſen dürfen; er hat meine Verſe eine
glänzende Perlenſchnur geheißen. Und meine ſapphiſche Ode zu Ehren
der frommen Wiborad iſt auch recht ſchön, ſoll ich ſie vortragen?

Um Gotteswillen! ſprach Praxedis, glaubſt du, man fällt bei
uns nur zum Burgthor herein und trägt gleich Oden vor? Wart'
erſt dein Stück Kuchen ab.

Sie ſprang zur Küche und ließ den gelehrten Neffen Ekkehard's
im Geſpräch mit ſeinem Oheim unter der Linde zurück. Der plau-
derte denn ein Namhaftes von Trivium und Quadruvium; weil
gerade der Fels von Hohentwiel im Morgenlicht einen feingezeichneten
Schatten über das flache Land warf, erging ſich der Kloſterſchüler in
einer weitläufigeren Disputation über den Grund des Schattens, als
welchen er mit Sicherheit einen dem Licht entgegenſtehenden Körper
bezeichnete und alle andere Definitionen in ihrer Nichtigkeit nachwies.

Wie ein Springquell entſtrömte dem jugendlichen Munde die Fluth
der Wiſſenſchaft. Auch in der Aſtronomie war er bewandert; das
Lob Zoroaſter's von Bactrien und des Königs Ptolemäus von Aegyp-
tenland mußte der Oheim geduldig anhören, über Form und Verwen-
dung des Aſtrolabiums ward ihm ſcharf auf den Zahn gefühlt;227) auch begann der braungelockte Schweſterſohn auseinander zu ſetzen,
wie faſelnd die Meinung derer ſei, die da glauben, daß auf der Rück-
ſeite des Erdglobus das ehrenwerthe Geſchlecht der Antipoden228) hauſe — vor fünf Tagen hatte er all' die ſchönen Sachen gelernt:
aber ſchließlich erging es dem Oheim wie dem tapfern Kaiſer Otto,
da der weltweiſe Biſchof Gerbert von Rheims und Otrich der Dom-
ſchulmeiſter von Magdeburg vor ihm und viel hundert gelahrten Aebten
und Scholaſtern ihren Wettkampf über Eintheilung und Grund der
theoretiſchen Philoſophie229) abhielten — er gähnte.

Jetzt kam Praxedis mit einem herrlichen Kirſchkuchen und einem
Körbchen Früchte, das gab den Gedanken des fünfzehnjährigen Welt-
weiſen eine Wendung zum Natürlicheren; als wohlerzogener Knabe
ſprach er erſt den Hymnus230) vor dem Eſſen, wie er in der Kloſter-

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0295" n="273"/>
        <p>Das wär' kein guter Klo&#x017F;ter&#x017F;chüler, gab der Junge zur Antwort,<lb/>
der vierzehn Jahre alt würde und keine Gedichte machen könnte. Mei-<lb/>
nen Lobge&#x017F;ang auf den Erzengel Michael in doppelt gereimten Hexa-<lb/>
metern hab' ich dem Abte vorle&#x017F;en dürfen; er hat meine Ver&#x017F;e eine<lb/>
glänzende Perlen&#x017F;chnur geheißen. Und meine &#x017F;apphi&#x017F;che Ode zu Ehren<lb/>
der frommen Wiborad i&#x017F;t auch recht &#x017F;chön, &#x017F;oll ich &#x017F;ie vortragen?</p><lb/>
        <p>Um Gotteswillen! &#x017F;prach Praxedis, glaub&#x017F;t du, man fällt bei<lb/>
uns nur zum Burgthor herein und trägt gleich Oden vor? Wart'<lb/>
er&#x017F;t dein Stück Kuchen ab.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;prang zur Küche und ließ den gelehrten Neffen Ekkehard's<lb/>
im Ge&#x017F;präch mit &#x017F;einem Oheim unter der Linde zurück. Der plau-<lb/>
derte denn ein Namhaftes von Trivium und Quadruvium; weil<lb/>
gerade der Fels von Hohentwiel im Morgenlicht einen feingezeichneten<lb/>
Schatten über das flache Land warf, erging &#x017F;ich der Klo&#x017F;ter&#x017F;chüler in<lb/>
einer weitläufigeren Disputation über den Grund des Schattens, als<lb/>
welchen er mit Sicherheit einen dem Licht entgegen&#x017F;tehenden Körper<lb/>
bezeichnete und alle andere Definitionen in ihrer Nichtigkeit nachwies.</p><lb/>
        <p>Wie ein Springquell ent&#x017F;trömte dem jugendlichen Munde die Fluth<lb/>
der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Auch in der A&#x017F;tronomie war er bewandert; das<lb/>
Lob Zoroa&#x017F;ter's von Bactrien und des Königs Ptolemäus von Aegyp-<lb/>
tenland mußte der Oheim geduldig anhören, über Form und Verwen-<lb/>
dung des A&#x017F;trolabiums ward ihm &#x017F;charf auf den Zahn gefühlt;<note xml:id="ed227" next="#edt227" place="end" n="227)"/><lb/>
auch begann der braungelockte Schwe&#x017F;ter&#x017F;ohn auseinander zu &#x017F;etzen,<lb/>
wie fa&#x017F;elnd die Meinung derer &#x017F;ei, die da glauben, daß auf der Rück-<lb/>
&#x017F;eite des Erdglobus das ehrenwerthe Ge&#x017F;chlecht der Antipoden<note xml:id="ed228" next="#edt228" place="end" n="228)"/><lb/>
hau&#x017F;e &#x2014; vor fünf Tagen hatte er all' die &#x017F;chönen Sachen gelernt:<lb/>
aber &#x017F;chließlich erging es dem Oheim wie dem tapfern Kai&#x017F;er Otto,<lb/>
da der weltwei&#x017F;e Bi&#x017F;chof Gerbert von Rheims und Otrich der Dom-<lb/>
&#x017F;chulmei&#x017F;ter von Magdeburg vor ihm und viel hundert gelahrten Aebten<lb/>
und Schola&#x017F;tern ihren Wettkampf über Eintheilung und Grund der<lb/>
theoreti&#x017F;chen Philo&#x017F;ophie<note xml:id="ed229" next="#edt229" place="end" n="229)"/> abhielten &#x2014; er gähnte.</p><lb/>
        <p>Jetzt kam Praxedis mit einem herrlichen Kir&#x017F;chkuchen und einem<lb/>
Körbchen Früchte, das gab den Gedanken des fünfzehnjährigen Welt-<lb/>
wei&#x017F;en eine Wendung zum Natürlicheren; als wohlerzogener Knabe<lb/>
&#x017F;prach er er&#x017F;t den Hymnus<note xml:id="ed230" next="#edt230" place="end" n="230)"/> vor dem E&#x017F;&#x017F;en, wie er in der Klo&#x017F;ter-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D. B. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">VII.</hi></hi> Scheffel, Ekkehard. 18</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[273/0295] Das wär' kein guter Kloſterſchüler, gab der Junge zur Antwort, der vierzehn Jahre alt würde und keine Gedichte machen könnte. Mei- nen Lobgeſang auf den Erzengel Michael in doppelt gereimten Hexa- metern hab' ich dem Abte vorleſen dürfen; er hat meine Verſe eine glänzende Perlenſchnur geheißen. Und meine ſapphiſche Ode zu Ehren der frommen Wiborad iſt auch recht ſchön, ſoll ich ſie vortragen? Um Gotteswillen! ſprach Praxedis, glaubſt du, man fällt bei uns nur zum Burgthor herein und trägt gleich Oden vor? Wart' erſt dein Stück Kuchen ab. Sie ſprang zur Küche und ließ den gelehrten Neffen Ekkehard's im Geſpräch mit ſeinem Oheim unter der Linde zurück. Der plau- derte denn ein Namhaftes von Trivium und Quadruvium; weil gerade der Fels von Hohentwiel im Morgenlicht einen feingezeichneten Schatten über das flache Land warf, erging ſich der Kloſterſchüler in einer weitläufigeren Disputation über den Grund des Schattens, als welchen er mit Sicherheit einen dem Licht entgegenſtehenden Körper bezeichnete und alle andere Definitionen in ihrer Nichtigkeit nachwies. Wie ein Springquell entſtrömte dem jugendlichen Munde die Fluth der Wiſſenſchaft. Auch in der Aſtronomie war er bewandert; das Lob Zoroaſter's von Bactrien und des Königs Ptolemäus von Aegyp- tenland mußte der Oheim geduldig anhören, über Form und Verwen- dung des Aſtrolabiums ward ihm ſcharf auf den Zahn gefühlt; ²²⁷⁾ auch begann der braungelockte Schweſterſohn auseinander zu ſetzen, wie faſelnd die Meinung derer ſei, die da glauben, daß auf der Rück- ſeite des Erdglobus das ehrenwerthe Geſchlecht der Antipoden ²²⁸⁾ hauſe — vor fünf Tagen hatte er all' die ſchönen Sachen gelernt: aber ſchließlich erging es dem Oheim wie dem tapfern Kaiſer Otto, da der weltweiſe Biſchof Gerbert von Rheims und Otrich der Dom- ſchulmeiſter von Magdeburg vor ihm und viel hundert gelahrten Aebten und Scholaſtern ihren Wettkampf über Eintheilung und Grund der theoretiſchen Philoſophie ²²⁹⁾ abhielten — er gähnte. Jetzt kam Praxedis mit einem herrlichen Kirſchkuchen und einem Körbchen Früchte, das gab den Gedanken des fünfzehnjährigen Welt- weiſen eine Wendung zum Natürlicheren; als wohlerzogener Knabe ſprach er erſt den Hymnus ²³⁰⁾ vor dem Eſſen, wie er in der Kloſter- D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 18

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/295
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/295>, abgerufen am 16.05.2024.