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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Aber Ekkehard's Herz war noch nicht gebrochen. Dafür war es
zu jung. Er begann die Lage zu überdenken. Die Aussicht in die
Zukunft war sehr unerquicklich: er kannte seines Ordens Regel und
geistlichen Brauch und kannte die Männer der Reichenau, daß sie
seine Feinde waren.

Mit großen Schritten durchmaß er den engen Raum: Allmächti-
ger Gott, den wir anrufen dürfen in der Heimsuchung, wie soll
das enden? Er schloß die Augen und warf sich auf sein Lager.
Wirre Bilder zogen an seiner Seele vorbei.

Und er schaute mit dem inneren Gesichte des Geistes, wie sie ihn
in der Morgenfrühe hinausschleppten; auf hohem Steinstuhl saß der
Abt und hielt seinen Hakenstab, als Zeichen, daß Gericht sei, und sie
lasen eine lange Anklage vor ... Alles in demselben Burghof, in
dem er einst jubelnden Herzens aus der Sänfte gesprungen, in dem
er am düstern Charfreitag die Predigt wider die Hunnen gehalten, --
und die Männer des Gerichts fletschten die Zähne wider ihn.

Was werd' ich thun? dachte er weiter. Die Hand auf's Herz,
den Blick zum Himmel, werd' ich rufen: Ekkehard ist ohne Schuld!
Aber die Richter sprechen: probe es! Der große Kupferkessel wird
vorgeschleppt, das Feuer unter ihm angezündet, hoch wallt und zischt
das Wasser, der Abt zieht den güldenen Ring vom Finger, sie strei-
fen ihm den Aermel der Kutte zurück, Bußpsalmen tönen dumpf da-
zwischen: "Ich beschwöre dich, Creatur des Wassers, daß der Teufel
weiche aus dir und du dem Herrn dienest zu Offenbarung der Wahr-
heit, gleich dem Feuerofen des Königs von Babylon, da er die drei
Jünglinge hineinwerfen ließ!" Also bespricht der Abt die kochende
Fluth, und "tauch' ein den Arm und suche den Ring!" befiehlt er
dem Angeklagten ...

Gerechter Gott, wie wird dein Urtheil sprechen? Wilde Zweifel
nagten an Ekkehard's Gemüth. Er glaubte an sich und sein gutes
Recht; minder fest an die schaurigen Mittel in denen Priesterwitz und
Gesetzgebung den Wahrspruch der Gottheit zu finden meinten.

Auf der Bücherei seines heimischen Klosters lag ein Büchlein, das
die Aufschrift trug: "Gegen die ordnungswidrige Meinung derer,
die da glauben, daß durch Feuer oder Wasser oder Zweikampf die
Wahrheit göttlichen Gerichtes geoffenbart werde." Das Büchlein

Aber Ekkehard's Herz war noch nicht gebrochen. Dafür war es
zu jung. Er begann die Lage zu überdenken. Die Ausſicht in die
Zukunft war ſehr unerquicklich: er kannte ſeines Ordens Regel und
geiſtlichen Brauch und kannte die Männer der Reichenau, daß ſie
ſeine Feinde waren.

Mit großen Schritten durchmaß er den engen Raum: Allmächti-
ger Gott, den wir anrufen dürfen in der Heimſuchung, wie ſoll
das enden? Er ſchloß die Augen und warf ſich auf ſein Lager.
Wirre Bilder zogen an ſeiner Seele vorbei.

Und er ſchaute mit dem inneren Geſichte des Geiſtes, wie ſie ihn
in der Morgenfrühe hinausſchleppten; auf hohem Steinſtuhl ſaß der
Abt und hielt ſeinen Hakenſtab, als Zeichen, daß Gericht ſei, und ſie
laſen eine lange Anklage vor ... Alles in demſelben Burghof, in
dem er einſt jubelnden Herzens aus der Sänfte geſprungen, in dem
er am düſtern Charfreitag die Predigt wider die Hunnen gehalten, —
und die Männer des Gerichts fletſchten die Zähne wider ihn.

Was werd' ich thun? dachte er weiter. Die Hand auf's Herz,
den Blick zum Himmel, werd' ich rufen: Ekkehard iſt ohne Schuld!
Aber die Richter ſprechen: probe es! Der große Kupferkeſſel wird
vorgeſchleppt, das Feuer unter ihm angezündet, hoch wallt und ziſcht
das Waſſer, der Abt zieht den güldenen Ring vom Finger, ſie ſtrei-
fen ihm den Aermel der Kutte zurück, Bußpſalmen tönen dumpf da-
zwiſchen: „Ich beſchwöre dich, Creatur des Waſſers, daß der Teufel
weiche aus dir und du dem Herrn dieneſt zu Offenbarung der Wahr-
heit, gleich dem Feuerofen des Königs von Babylon, da er die drei
Jünglinge hineinwerfen ließ!“ Alſo beſpricht der Abt die kochende
Fluth, und „tauch' ein den Arm und ſuche den Ring!“ befiehlt er
dem Angeklagten ...

Gerechter Gott, wie wird dein Urtheil ſprechen? Wilde Zweifel
nagten an Ekkehard's Gemüth. Er glaubte an ſich und ſein gutes
Recht; minder feſt an die ſchaurigen Mittel in denen Prieſterwitz und
Geſetzgebung den Wahrſpruch der Gottheit zu finden meinten.

Auf der Bücherei ſeines heimiſchen Kloſters lag ein Büchlein, das
die Aufſchrift trug: „Gegen die ordnungswidrige Meinung derer,
die da glauben, daß durch Feuer oder Waſſer oder Zweikampf die
Wahrheit göttlichen Gerichtes geoffenbart werde.“ Das Büchlein

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[313/0335] Aber Ekkehard's Herz war noch nicht gebrochen. Dafür war es zu jung. Er begann die Lage zu überdenken. Die Ausſicht in die Zukunft war ſehr unerquicklich: er kannte ſeines Ordens Regel und geiſtlichen Brauch und kannte die Männer der Reichenau, daß ſie ſeine Feinde waren. Mit großen Schritten durchmaß er den engen Raum: Allmächti- ger Gott, den wir anrufen dürfen in der Heimſuchung, wie ſoll das enden? Er ſchloß die Augen und warf ſich auf ſein Lager. Wirre Bilder zogen an ſeiner Seele vorbei. Und er ſchaute mit dem inneren Geſichte des Geiſtes, wie ſie ihn in der Morgenfrühe hinausſchleppten; auf hohem Steinſtuhl ſaß der Abt und hielt ſeinen Hakenſtab, als Zeichen, daß Gericht ſei, und ſie laſen eine lange Anklage vor ... Alles in demſelben Burghof, in dem er einſt jubelnden Herzens aus der Sänfte geſprungen, in dem er am düſtern Charfreitag die Predigt wider die Hunnen gehalten, — und die Männer des Gerichts fletſchten die Zähne wider ihn. Was werd' ich thun? dachte er weiter. Die Hand auf's Herz, den Blick zum Himmel, werd' ich rufen: Ekkehard iſt ohne Schuld! Aber die Richter ſprechen: probe es! Der große Kupferkeſſel wird vorgeſchleppt, das Feuer unter ihm angezündet, hoch wallt und ziſcht das Waſſer, der Abt zieht den güldenen Ring vom Finger, ſie ſtrei- fen ihm den Aermel der Kutte zurück, Bußpſalmen tönen dumpf da- zwiſchen: „Ich beſchwöre dich, Creatur des Waſſers, daß der Teufel weiche aus dir und du dem Herrn dieneſt zu Offenbarung der Wahr- heit, gleich dem Feuerofen des Königs von Babylon, da er die drei Jünglinge hineinwerfen ließ!“ Alſo beſpricht der Abt die kochende Fluth, und „tauch' ein den Arm und ſuche den Ring!“ befiehlt er dem Angeklagten ... Gerechter Gott, wie wird dein Urtheil ſprechen? Wilde Zweifel nagten an Ekkehard's Gemüth. Er glaubte an ſich und ſein gutes Recht; minder feſt an die ſchaurigen Mittel in denen Prieſterwitz und Geſetzgebung den Wahrſpruch der Gottheit zu finden meinten. Auf der Bücherei ſeines heimiſchen Kloſters lag ein Büchlein, das die Aufſchrift trug: „Gegen die ordnungswidrige Meinung derer, die da glauben, daß durch Feuer oder Waſſer oder Zweikampf die Wahrheit göttlichen Gerichtes geoffenbart werde.“ Das Büchlein

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/335>, abgerufen am 14.05.2024.