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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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und Ihr sinkt bis an's Knie ein, ein zweiter -- traladibidibidib! so
ragt nur noch die Kapuze hervor und man sieht von der schwarzen
Kutte nicht mehr als von einer Fliege, die in die Milchsuppe gefallen
ist ... Und dieses Jahr hat's gar so viel Spiegelmeisen gehabt, das
gibt einen strengen Winter! Hu, wie freu' ich mich auf die langen
Abende, da sitzen wir beim Kienspanlicht um den warmen Ofen, und
spinnen Flachs, das Rädlein knurrt, das Feuer brummt, und wir er-
zählen die schönsten Geschichten, und wer ein braver Bub ist, darf
zuhören. Es ist Schad, daß Ihr kein Senn geworden seid, Bergbruder,
ich würde Euch auch mitnehmen zur Stubeten.

Es ist Schade, sprach Ekkehard.

Folgenden Tages ging's in festlichem Zuge thalab. Der alte
Senn hatte sein feinstes Linnen angethan und sah vergnügt drein wie
ein Patriarch, die rundliche Lederkappe auf dem Haupt, den schönsten
Melknapf über der linken Schulter, schritt er voraus, und sang den
Kuhreihen jugendhell und tapfer, ihm folgten Benedicta's Ziegen, die
Plänkler der großen Heerschaar, die Hirtin mit ihnen, die letzten Alpen-
rosen mit schon vergilbten Blättern in's dunkle Gelock geflochten.
Jetzt kam die schwarzgefleckte große Susanna, die Königin der Heerde,
als Zeichen des Vorrangs die schwere Glocke um den Hals; ehrbar
und stolz war ihr Gang und wenn eine der Nachfolgenden ihr vor-
auszuschreiten wagte, so warf sie ihr einen verächtlichen Hornstoßdro-
henden Blick zu, daß die Anmaßende erschrocken zurückwich. Schwer-
fällig schritten die anderen bergab: Ade du schmackhaft Alpengras, du
fröhlich Wiederkäuen! dachte manch ein fettgeworden Kühlein und
knickte sich im Vorbeistreifen noch die letzten Blumen am Pfade.

Der Stier trug den einfüßigen Melkstuhl zwischen den Hörnern,
auf des Gewaltigen Rücken saß der Handbub verkehrt und hielt die
ausgestreckten Finger beider Hände an seine nicht allzufein geformte
Nase, und rief zu den Berggipfeln hinauf: Der Sommer ist gegangen
und hat den Herbst gebracht, jetzt wünschen wir einand eine gute gute
Nacht; ihr stille schneeige Herren lebt wohl itzt allerseit, ich wünsch'
euch wohl zu schlafen die ganze Winterszeit! Ein Schlitten mit der
Sennhütte Geschirr und Ausrüstung schloß den Zug.

Und Sennen und Heerde und Ziegen verschwanden im Tannen-
wald, verhallend tönte Hirtensang und Schellengeläut aus der Ferne,

und Ihr ſinkt bis an's Knie ein, ein zweiter — traladibidibidib! ſo
ragt nur noch die Kapuze hervor und man ſieht von der ſchwarzen
Kutte nicht mehr als von einer Fliege, die in die Milchſuppe gefallen
iſt ... Und dieſes Jahr hat's gar ſo viel Spiegelmeiſen gehabt, das
gibt einen ſtrengen Winter! Hu, wie freu' ich mich auf die langen
Abende, da ſitzen wir beim Kienſpanlicht um den warmen Ofen, und
ſpinnen Flachs, das Rädlein knurrt, das Feuer brummt, und wir er-
zählen die ſchönſten Geſchichten, und wer ein braver Bub iſt, darf
zuhören. Es iſt Schad, daß Ihr kein Senn geworden ſeid, Bergbruder,
ich würde Euch auch mitnehmen zur Stubeten.

Es iſt Schade, ſprach Ekkehard.

Folgenden Tages ging's in feſtlichem Zuge thalab. Der alte
Senn hatte ſein feinſtes Linnen angethan und ſah vergnügt drein wie
ein Patriarch, die rundliche Lederkappe auf dem Haupt, den ſchönſten
Melknapf über der linken Schulter, ſchritt er voraus, und ſang den
Kuhreihen jugendhell und tapfer, ihm folgten Benedicta's Ziegen, die
Plänkler der großen Heerſchaar, die Hirtin mit ihnen, die letzten Alpen-
roſen mit ſchon vergilbten Blättern in's dunkle Gelock geflochten.
Jetzt kam die ſchwarzgefleckte große Suſanna, die Königin der Heerde,
als Zeichen des Vorrangs die ſchwere Glocke um den Hals; ehrbar
und ſtolz war ihr Gang und wenn eine der Nachfolgenden ihr vor-
auszuſchreiten wagte, ſo warf ſie ihr einen verächtlichen Hornſtoßdro-
henden Blick zu, daß die Anmaßende erſchrocken zurückwich. Schwer-
fällig ſchritten die anderen bergab: Ade du ſchmackhaft Alpengras, du
fröhlich Wiederkäuen! dachte manch ein fettgeworden Kühlein und
knickte ſich im Vorbeiſtreifen noch die letzten Blumen am Pfade.

Der Stier trug den einfüßigen Melkſtuhl zwiſchen den Hörnern,
auf des Gewaltigen Rücken ſaß der Handbub verkehrt und hielt die
ausgeſtreckten Finger beider Hände an ſeine nicht allzufein geformte
Naſe, und rief zu den Berggipfeln hinauf: Der Sommer iſt gegangen
und hat den Herbſt gebracht, jetzt wünſchen wir einand eine gute gute
Nacht; ihr ſtille ſchneeige Herren lebt wohl itzt allerſeit, ich wünſch'
euch wohl zu ſchlafen die ganze Winterszeit! Ein Schlitten mit der
Sennhütte Geſchirr und Ausrüſtung ſchloß den Zug.

Und Sennen und Heerde und Ziegen verſchwanden im Tannen-
wald, verhallend tönte Hirtenſang und Schellengeläut aus der Ferne,

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[404/0426] und Ihr ſinkt bis an's Knie ein, ein zweiter — traladibidibidib! ſo ragt nur noch die Kapuze hervor und man ſieht von der ſchwarzen Kutte nicht mehr als von einer Fliege, die in die Milchſuppe gefallen iſt ... Und dieſes Jahr hat's gar ſo viel Spiegelmeiſen gehabt, das gibt einen ſtrengen Winter! Hu, wie freu' ich mich auf die langen Abende, da ſitzen wir beim Kienſpanlicht um den warmen Ofen, und ſpinnen Flachs, das Rädlein knurrt, das Feuer brummt, und wir er- zählen die ſchönſten Geſchichten, und wer ein braver Bub iſt, darf zuhören. Es iſt Schad, daß Ihr kein Senn geworden ſeid, Bergbruder, ich würde Euch auch mitnehmen zur Stubeten. Es iſt Schade, ſprach Ekkehard. Folgenden Tages ging's in feſtlichem Zuge thalab. Der alte Senn hatte ſein feinſtes Linnen angethan und ſah vergnügt drein wie ein Patriarch, die rundliche Lederkappe auf dem Haupt, den ſchönſten Melknapf über der linken Schulter, ſchritt er voraus, und ſang den Kuhreihen jugendhell und tapfer, ihm folgten Benedicta's Ziegen, die Plänkler der großen Heerſchaar, die Hirtin mit ihnen, die letzten Alpen- roſen mit ſchon vergilbten Blättern in's dunkle Gelock geflochten. Jetzt kam die ſchwarzgefleckte große Suſanna, die Königin der Heerde, als Zeichen des Vorrangs die ſchwere Glocke um den Hals; ehrbar und ſtolz war ihr Gang und wenn eine der Nachfolgenden ihr vor- auszuſchreiten wagte, ſo warf ſie ihr einen verächtlichen Hornſtoßdro- henden Blick zu, daß die Anmaßende erſchrocken zurückwich. Schwer- fällig ſchritten die anderen bergab: Ade du ſchmackhaft Alpengras, du fröhlich Wiederkäuen! dachte manch ein fettgeworden Kühlein und knickte ſich im Vorbeiſtreifen noch die letzten Blumen am Pfade. Der Stier trug den einfüßigen Melkſtuhl zwiſchen den Hörnern, auf des Gewaltigen Rücken ſaß der Handbub verkehrt und hielt die ausgeſtreckten Finger beider Hände an ſeine nicht allzufein geformte Naſe, und rief zu den Berggipfeln hinauf: Der Sommer iſt gegangen und hat den Herbſt gebracht, jetzt wünſchen wir einand eine gute gute Nacht; ihr ſtille ſchneeige Herren lebt wohl itzt allerſeit, ich wünſch' euch wohl zu ſchlafen die ganze Winterszeit! Ein Schlitten mit der Sennhütte Geſchirr und Ausrüſtung ſchloß den Zug. Und Sennen und Heerde und Ziegen verſchwanden im Tannen- wald, verhallend tönte Hirtenſang und Schellengeläut aus der Ferne,

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/426>, abgerufen am 14.05.2024.