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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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55) Spicharium novum solis feris et belluis, avibusque
domesticis et domesticatis juxta fratrum quod et ipsum jam
fieri jussit magnificum, condi fecit. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 16.
56) Simia nare brevi nate nuda murcaque cauda
Voceque milvina, cute crisa catta marina
In quibus ambabus nil cernitur utilitatis.
Ruodlieb fragm. III. 131
u. ff.
57) Diese Fabel von der Murmelthiere abenteuerlichem Fuhrwesen,
die sich das Mittelalter mit großer Behaglichkeit erzählte und die z. B.
noch Sebastian Münster in seine Cosmographey aufnahm (p. 498)
hat ihren Ursprung in Plinius historia naturalis.
58) .. "Ein vogil heizit Caradrius. in dem buoche deute-
ronomio da ist gescriben daz man ihn ezzen nescule. Dannen
zelet physiologus und chaut daz er aller wiz si. Ein mist der
von ihm faehrt, der ist ze den tunchelen Ougen vile gauet.
Mit disem vogile mag man bechennen ob der sieche mann
irsterben oder genesen scol. Ob er sterben scol, so cheret
sich der charadrius von ihme. Ob er aber genesen scol, so
cheret sich der vogil zuo dem manne und tuot sinen snabel
uber des mannes munt und nimit des mannes unchraft an
sich; sa fert er auf zuo der sunnen unte liuterit sich da: So
ist der mann genesen." Physiologus,
ein Weisthum von Thieren
und von Vögeln, mitgetheilt von Wackernagel Altdeutsches Lese-
buch I. pag. 166. Es ist nicht bekannt, was für naturgeschichtliche
Thatsachen zu dieser tiefsinnig schönen Sage vom Caradrius Veran-
lassung gaben. In Sanct Gallen wurde sie von Verschiedenen ver-
schieden erfaßt, denn während sich unter den Thiernamen, die dem
Wörterbuch des heiligen Gallus vorausgesetzt sind, (s. Hattemer Denk-
male etc. I. 9. 10.) die bedeutsame Glosse findet: Cha-ra-drion: et
ipsam non habemus, sed tamen dicitur et ipsam volare per
medias noctes in sublimitate coeli,
begnügen sich spätere Hand-
schriften damit, das Wort caradrius geradezu mit lericha, Lerche,
zu übersetzen, was auf ein Verschwinden der früher bekannten Sage
zu deuten scheint. s. Hattemer Denkmale etc. I. 287. 318 u. a.
55) Spicharium novum solis feris et belluis, avibusque
domeſticiſ et domeſticatiſ juxta fratrum quod et ipſum jam
fieri jussit magnificum, condi fecit. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 16.
56) Simia nare brevi nate nuda murcaque cauda
Voceque milvina, cute criſa catta marina
In quibuſ ambabuſ nil cernitur utilitatiſ.
Ruodlieb fragm. III. 131
u. ff.
57) Dieſe Fabel von der Murmelthiere abenteuerlichem Fuhrweſen,
die ſich das Mittelalter mit großer Behaglichkeit erzählte und die z. B.
noch Sebaſtian Münſter in ſeine Cosmographey aufnahm (p. 498)
hat ihren Urſprung in Plinius historia naturalis.
58) .. „Ein vogil heizit Caradrius. in dem buoche deute-
ronomio da iſt geſcriben daz man ihn ezzen neſcule. Dannen
zelet phyſiologuſ und chût daz er aller wiz ſi. Ein miſt der
von ihm faehrt, der iſt ze den tunchelen Ougen vile gûet.
Mit diſem vogile mag man bechennen ob der ſieche mann
irſterben oder geneſen ſcol. Ob er ſterben ſcol, ſo cheret
ſich der charadriuſ von ihme. Ob er aber geneſen ſcol, ſo
cheret ſich der vogil zuo dem manne und tuot ſinen ſnabel
uber deſ manneſ munt und nimit deſ manneſ unchraft an
ſich; ſa fert er ûf zuo der ſunnen unte liuterit ſich da: So
ist der mann genesen.“ Physiologus,
ein Weisthum von Thieren
und von Vögeln, mitgetheilt von Wackernagel Altdeutſches Leſe-
buch I. pag. 166. Es iſt nicht bekannt, was für naturgeſchichtliche
Thatſachen zu dieſer tiefſinnig ſchönen Sage vom Caradrius Veran-
laſſung gaben. In Sanct Gallen wurde ſie von Verſchiedenen ver-
ſchieden erfaßt, denn während ſich unter den Thiernamen, die dem
Wörterbuch des heiligen Gallus vorausgeſetzt ſind, (ſ. Hattemer Denk-
male etc. I. 9. 10.) die bedeutſame Gloſſe findet: Cha-ra-drion: et
ipſam non habemuſ, ſed tamen dicitur et ipſam volare per
medias noctes in sublimitate coeli,
begnügen ſich ſpätere Hand-
ſchriften damit, das Wort caradrius geradezu mit lericha, Lerche,
zu überſetzen, was auf ein Verſchwinden der früher bekannten Sage
zu deuten ſcheint. ſ. Hattemer Denkmale etc. I. 287. 318 u. a.
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[422/0444] ⁵⁵⁾ Spicharium novum solis feris et belluis, avibusque domeſticiſ et domeſticatiſ juxta fratrum quod et ipſum jam fieri jussit magnificum, condi fecit. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 16. ⁵⁶⁾ Simia nare brevi nate nuda murcaque cauda Voceque milvina, cute criſa catta marina In quibuſ ambabuſ nil cernitur utilitatiſ. Ruodlieb fragm. III. 131 u. ff. ⁵⁷⁾ Dieſe Fabel von der Murmelthiere abenteuerlichem Fuhrweſen, die ſich das Mittelalter mit großer Behaglichkeit erzählte und die z. B. noch Sebaſtian Münſter in ſeine Cosmographey aufnahm (p. 498) hat ihren Urſprung in Plinius historia naturalis. ⁵⁸⁾ .. „Ein vogil heizit Caradrius. in dem buoche deute- ronomio da iſt geſcriben daz man ihn ezzen neſcule. Dannen zelet phyſiologuſ und chût daz er aller wiz ſi. Ein miſt der von ihm faehrt, der iſt ze den tunchelen Ougen vile gûet. Mit diſem vogile mag man bechennen ob der ſieche mann irſterben oder geneſen ſcol. Ob er ſterben ſcol, ſo cheret ſich der charadriuſ von ihme. Ob er aber geneſen ſcol, ſo cheret ſich der vogil zuo dem manne und tuot ſinen ſnabel uber deſ manneſ munt und nimit deſ manneſ unchraft an ſich; ſa fert er ûf zuo der ſunnen unte liuterit ſich da: So ist der mann genesen.“ Physiologus, ein Weisthum von Thieren und von Vögeln, mitgetheilt von Wackernagel Altdeutſches Leſe- buch I. pag. 166. Es iſt nicht bekannt, was für naturgeſchichtliche Thatſachen zu dieſer tiefſinnig ſchönen Sage vom Caradrius Veran- laſſung gaben. In Sanct Gallen wurde ſie von Verſchiedenen ver- ſchieden erfaßt, denn während ſich unter den Thiernamen, die dem Wörterbuch des heiligen Gallus vorausgeſetzt ſind, (ſ. Hattemer Denk- male etc. I. 9. 10.) die bedeutſame Gloſſe findet: Cha-ra-drion: et ipſam non habemuſ, ſed tamen dicitur et ipſam volare per medias noctes in sublimitate coeli, begnügen ſich ſpätere Hand- ſchriften damit, das Wort caradrius geradezu mit lericha, Lerche, zu überſetzen, was auf ein Verſchwinden der früher bekannten Sage zu deuten ſcheint. ſ. Hattemer Denkmale etc. I. 287. 318 u. a.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/444>, abgerufen am 14.05.2024.