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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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bitter sein. Da Pachomius in der Wüste saß, trat der Engel des
Herrn zu ihm und brach die Blätter des Lorbeerbaumes und schrieb
Worte des Gebetes drauf und gab sie dem Pachomius und sprach:
Verschling die Blätter; sie werden schmecken in deinem Mund wie
Galle, aber dein Herz wird erfüllt werden vom Ueberschwall wahrer
Weisheit. Und Pachomius nahm die Blätter und aß sie und von
Stund an blieb sein Mund bitter, sein Herz aber füllte sich mit Süße
und er pries den Herrn.44)

Praxedis schwieg. Es blieb eine Zeit lang still. Die andern
Frauen der Herzogin waren nicht mehr zu sehen. Wie die Klausnerin
ihren Gürtel herausreichte, hatten sie einand mit dem Ellbogen ange-
stoßen und waren leise um das Häuslein geschlichen. Sie pflückten
einen großen Strauß Heidekraut und Herbstblumen im Walde und
kicherten dazu.

Wollen wir auch solch einen Gürtel umlegen? sprach die Eine.

Wenn die Sonne schwarz aufgeht, sprach die Andre.

Praxedis hatte den Strick in's Gras gelegt. Ich will Euch Eures
Gürtels nicht berauben, sprach sie jetzt schüchtern zum Fenster der
Zelle hinauf.

O harmlos Gemüth, sprach Wiborad, der Gürtel, den wir tragen,
ist kein Kinderspiel, wie der, den ich dir reichte; der Gürtel Wiborad's
ist ein eiserner Reif mit stumpfen Stacheln und klirrt wie eine Kette
und schneidet ein; -- deine Augen erschauerten seines Anblicks45)

Praxedis schaute nach dem Wald, als wolle sie spähen, ob Ro-
meias nicht bald zurückkehre. Die Klausnerin mochte bemerken, daß es
ihrem Gast nicht allzu behaglich war, sie reichte ein Brett aus ihrem
Fensterlein, drauf war ein halb Dutzend rothgrüner Aepfel gelegt.

Wird dir die Zeit lang, Tochter der Welt? sprach sie. Greif zu,
wenn die Worte des Heils dich nicht sättigen. Backwerk und Süßig-
keit hab' ich nicht, aber auch diese Aepfel gefallen dem Herrn wohl,
sie sind die Speise der Armen.

Die Griechin wußte, was der Anstand erheischt. Aber es waren
Holzäpfel. Wie sie den ersten zur Hälfte verzehrt, verzog sich ihr
anmuthiger Mund und unfreiwillige Thränen perlten in den Augen.

Wie schmecken sie, rief die Klausnerin. Da that Praxedis, als
ob des Apfels Rest zufällig ihrer Hand entfalle: wenn der Schöpfer

bitter ſein. Da Pachomius in der Wüſte ſaß, trat der Engel des
Herrn zu ihm und brach die Blätter des Lorbeerbaumes und ſchrieb
Worte des Gebetes drauf und gab ſie dem Pachomius und ſprach:
Verſchling die Blätter; ſie werden ſchmecken in deinem Mund wie
Galle, aber dein Herz wird erfüllt werden vom Ueberſchwall wahrer
Weisheit. Und Pachomius nahm die Blätter und aß ſie und von
Stund an blieb ſein Mund bitter, ſein Herz aber füllte ſich mit Süße
und er pries den Herrn.44)

Praxedis ſchwieg. Es blieb eine Zeit lang ſtill. Die andern
Frauen der Herzogin waren nicht mehr zu ſehen. Wie die Klausnerin
ihren Gürtel herausreichte, hatten ſie einand mit dem Ellbogen ange-
ſtoßen und waren leiſe um das Häuslein geſchlichen. Sie pflückten
einen großen Strauß Heidekraut und Herbſtblumen im Walde und
kicherten dazu.

Wollen wir auch ſolch einen Gürtel umlegen? ſprach die Eine.

Wenn die Sonne ſchwarz aufgeht, ſprach die Andre.

Praxedis hatte den Strick in's Gras gelegt. Ich will Euch Eures
Gürtels nicht berauben, ſprach ſie jetzt ſchüchtern zum Fenſter der
Zelle hinauf.

O harmlos Gemüth, ſprach Wiborad, der Gürtel, den wir tragen,
iſt kein Kinderſpiel, wie der, den ich dir reichte; der Gürtel Wiborad's
iſt ein eiſerner Reif mit ſtumpfen Stacheln und klirrt wie eine Kette
und ſchneidet ein; — deine Augen erſchauerten ſeines Anblicks45)

Praxedis ſchaute nach dem Wald, als wolle ſie ſpähen, ob Ro-
meias nicht bald zurückkehre. Die Klausnerin mochte bemerken, daß es
ihrem Gaſt nicht allzu behaglich war, ſie reichte ein Brett aus ihrem
Fenſterlein, drauf war ein halb Dutzend rothgrüner Aepfel gelegt.

Wird dir die Zeit lang, Tochter der Welt? ſprach ſie. Greif zu,
wenn die Worte des Heils dich nicht ſättigen. Backwerk und Süßig-
keit hab' ich nicht, aber auch dieſe Aepfel gefallen dem Herrn wohl,
ſie ſind die Speiſe der Armen.

Die Griechin wußte, was der Anſtand erheiſcht. Aber es waren
Holzäpfel. Wie ſie den erſten zur Hälfte verzehrt, verzog ſich ihr
anmuthiger Mund und unfreiwillige Thränen perlten in den Augen.

Wie ſchmecken ſie, rief die Klausnerin. Da that Praxedis, als
ob des Apfels Reſt zufällig ihrer Hand entfalle: wenn der Schöpfer

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[29/0051] bitter ſein. Da Pachomius in der Wüſte ſaß, trat der Engel des Herrn zu ihm und brach die Blätter des Lorbeerbaumes und ſchrieb Worte des Gebetes drauf und gab ſie dem Pachomius und ſprach: Verſchling die Blätter; ſie werden ſchmecken in deinem Mund wie Galle, aber dein Herz wird erfüllt werden vom Ueberſchwall wahrer Weisheit. Und Pachomius nahm die Blätter und aß ſie und von Stund an blieb ſein Mund bitter, ſein Herz aber füllte ſich mit Süße und er pries den Herrn. ⁴⁴⁾ Praxedis ſchwieg. Es blieb eine Zeit lang ſtill. Die andern Frauen der Herzogin waren nicht mehr zu ſehen. Wie die Klausnerin ihren Gürtel herausreichte, hatten ſie einand mit dem Ellbogen ange- ſtoßen und waren leiſe um das Häuslein geſchlichen. Sie pflückten einen großen Strauß Heidekraut und Herbſtblumen im Walde und kicherten dazu. Wollen wir auch ſolch einen Gürtel umlegen? ſprach die Eine. Wenn die Sonne ſchwarz aufgeht, ſprach die Andre. Praxedis hatte den Strick in's Gras gelegt. Ich will Euch Eures Gürtels nicht berauben, ſprach ſie jetzt ſchüchtern zum Fenſter der Zelle hinauf. O harmlos Gemüth, ſprach Wiborad, der Gürtel, den wir tragen, iſt kein Kinderſpiel, wie der, den ich dir reichte; der Gürtel Wiborad's iſt ein eiſerner Reif mit ſtumpfen Stacheln und klirrt wie eine Kette und ſchneidet ein; — deine Augen erſchauerten ſeines Anblicks ⁴⁵⁾ Praxedis ſchaute nach dem Wald, als wolle ſie ſpähen, ob Ro- meias nicht bald zurückkehre. Die Klausnerin mochte bemerken, daß es ihrem Gaſt nicht allzu behaglich war, ſie reichte ein Brett aus ihrem Fenſterlein, drauf war ein halb Dutzend rothgrüner Aepfel gelegt. Wird dir die Zeit lang, Tochter der Welt? ſprach ſie. Greif zu, wenn die Worte des Heils dich nicht ſättigen. Backwerk und Süßig- keit hab' ich nicht, aber auch dieſe Aepfel gefallen dem Herrn wohl, ſie ſind die Speiſe der Armen. Die Griechin wußte, was der Anſtand erheiſcht. Aber es waren Holzäpfel. Wie ſie den erſten zur Hälfte verzehrt, verzog ſich ihr anmuthiger Mund und unfreiwillige Thränen perlten in den Augen. Wie ſchmecken ſie, rief die Klausnerin. Da that Praxedis, als ob des Apfels Reſt zufällig ihrer Hand entfalle: wenn der Schöpfer

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/51>, abgerufen am 29.04.2024.