Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.haben, der den Zeiterwartungen so schlecht *) Der Spanier darf einer würdigen, ritterlich durch-
kämpften, aus poetischem Glanz und historischer Handlung gewebten Jugendzeit sich rühmen. Er ist mündig geworden unter Jsabella und Ferdi- nand, und hat den Kulminationspunkt seines bür- gerlichen Thatvermögens in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts erreicht. Unglücklicher- weise hat er um diese Zeit eine ungeheure Erbschaft gethan, und, im Besitz derselben, mancher Anstren- gungen sich überhoben geglaubt, welche nöthig ge- wesen wären, seine Kraft ihm übend zu bewahren. Zugleich ist er finstern Leuten und Kopfhängern in die Hände gefallen, welche seinen natürlichen Beruf zum Ernst und zur Jsolirung unverhält- nißmäßig entwickelt haben. Drum hat sein Man- nesalter keineswegs beharrlich geleistet, was seine schöne Jugend versprach. Zuletzt ist er in einen tiefen Schlaf gefallen, und hat darin das ganze acht- zehnte Jahrhundert gleichsam übersprungen. Jm Jahre 1808, durch ungeheure Stöße aufgeweckt, hat er sich verwundert umgeschaut, wie Epimenides. Aus natürlich kräftigem Jnstinkt hat er nun vor allen Dingen derb um sich geschlagen nach denen, so ihn gestoßen und in seinem süßen Schlummer ihn gestört. Er hat auch wirklich die Unver- haben, der den Zeiterwartungen ſo ſchlecht *) Der Spanier darf einer wuͤrdigen, ritterlich durch-
kaͤmpften, aus poetiſchem Glanz und hiſtoriſcher Handlung gewebten Jugendzeit ſich ruͤhmen. Er iſt muͤndig geworden unter Jſabella und Ferdi- nand, und hat den Kulminationspunkt ſeines buͤr- gerlichen Thatvermoͤgens in der erſten Haͤlfte des ſechszehnten Jahrhunderts erreicht. Ungluͤcklicher- weiſe hat er um dieſe Zeit eine ungeheure Erbſchaft gethan, und, im Beſitz derſelben, mancher Anſtren- gungen ſich uͤberhoben geglaubt, welche noͤthig ge- weſen waͤren, ſeine Kraft ihm uͤbend zu bewahren. Zugleich iſt er finſtern Leuten und Kopfhaͤngern in die Haͤnde gefallen, welche ſeinen natuͤrlichen Beruf zum Ernſt und zur Jſolirung unverhaͤlt- nißmaͤßig entwickelt haben. Drum hat ſein Man- nesalter keineswegs beharrlich geleiſtet, was ſeine ſchoͤne Jugend verſprach. Zuletzt iſt er in einen tiefen Schlaf gefallen, und hat darin das ganze acht- zehnte Jahrhundert gleichſam uͤberſprungen. Jm Jahre 1808, durch ungeheure Stoͤße aufgeweckt, hat er ſich verwundert umgeſchaut, wie Epimenides. Aus natuͤrlich kraͤftigem Jnſtinkt hat er nun vor allen Dingen derb um ſich geſchlagen nach denen, ſo ihn geſtoßen und in ſeinem ſuͤßen Schlummer ihn geſtoͤrt. Er hat auch wirklich die Unver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0205" n="188"/> haben, der den Zeiterwartungen ſo ſchlecht<lb/> zuſpricht; indeſſen kann ich doch den <hi rendition="#g">Cal-<lb/> deronn</hi> in <hi rendition="#g">Schlegels</hi> und <hi rendition="#g">Gries</hi> mei-<lb/> ſterhaften Ueberſetzungen dem <hi rendition="#g">Shakes-<lb/> pear</hi> nicht gleich ſtellen. <note xml:id="seg2pn_17_1" next="#seg2pn_17_2" place="foot" n="*)">Der Spanier darf einer wuͤrdigen, ritterlich durch-<lb/> kaͤmpften, aus poetiſchem Glanz und hiſtoriſcher<lb/> Handlung gewebten Jugendzeit ſich ruͤhmen. Er<lb/> iſt muͤndig geworden unter Jſabella und Ferdi-<lb/> nand, und hat den Kulminationspunkt ſeines buͤr-<lb/> gerlichen Thatvermoͤgens in der erſten Haͤlfte des<lb/> ſechszehnten Jahrhunderts erreicht. Ungluͤcklicher-<lb/> weiſe hat er um dieſe Zeit eine ungeheure Erbſchaft<lb/> gethan, und, im Beſitz derſelben, mancher Anſtren-<lb/> gungen ſich uͤberhoben geglaubt, welche noͤthig ge-<lb/> weſen waͤren, ſeine Kraft ihm uͤbend zu bewahren.<lb/> Zugleich iſt er finſtern Leuten und Kopfhaͤngern<lb/> in die Haͤnde gefallen, welche ſeinen natuͤrlichen<lb/> Beruf zum Ernſt und zur Jſolirung unverhaͤlt-<lb/> nißmaͤßig entwickelt haben. Drum hat ſein Man-<lb/> nesalter keineswegs beharrlich geleiſtet, was ſeine<lb/> ſchoͤne Jugend verſprach. Zuletzt iſt er in einen<lb/> tiefen Schlaf gefallen, und hat darin das ganze acht-<lb/> zehnte Jahrhundert gleichſam uͤberſprungen. Jm<lb/> Jahre 1808, durch ungeheure Stoͤße aufgeweckt,<lb/> hat er ſich verwundert umgeſchaut, wie Epimenides.<lb/> Aus natuͤrlich kraͤftigem Jnſtinkt hat er nun vor<lb/> allen Dingen derb um ſich geſchlagen nach denen,<lb/> ſo ihn geſtoßen und in ſeinem ſuͤßen Schlummer<lb/> ihn geſtoͤrt. Er hat auch wirklich die Unver-</note> — Dann fol-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [188/0205]
haben, der den Zeiterwartungen ſo ſchlecht
zuſpricht; indeſſen kann ich doch den Cal-
deronn in Schlegels und Gries mei-
ſterhaften Ueberſetzungen dem Shakes-
pear nicht gleich ſtellen. *) — Dann fol-
*) Der Spanier darf einer wuͤrdigen, ritterlich durch-
kaͤmpften, aus poetiſchem Glanz und hiſtoriſcher
Handlung gewebten Jugendzeit ſich ruͤhmen. Er
iſt muͤndig geworden unter Jſabella und Ferdi-
nand, und hat den Kulminationspunkt ſeines buͤr-
gerlichen Thatvermoͤgens in der erſten Haͤlfte des
ſechszehnten Jahrhunderts erreicht. Ungluͤcklicher-
weiſe hat er um dieſe Zeit eine ungeheure Erbſchaft
gethan, und, im Beſitz derſelben, mancher Anſtren-
gungen ſich uͤberhoben geglaubt, welche noͤthig ge-
weſen waͤren, ſeine Kraft ihm uͤbend zu bewahren.
Zugleich iſt er finſtern Leuten und Kopfhaͤngern
in die Haͤnde gefallen, welche ſeinen natuͤrlichen
Beruf zum Ernſt und zur Jſolirung unverhaͤlt-
nißmaͤßig entwickelt haben. Drum hat ſein Man-
nesalter keineswegs beharrlich geleiſtet, was ſeine
ſchoͤne Jugend verſprach. Zuletzt iſt er in einen
tiefen Schlaf gefallen, und hat darin das ganze acht-
zehnte Jahrhundert gleichſam uͤberſprungen. Jm
Jahre 1808, durch ungeheure Stoͤße aufgeweckt,
hat er ſich verwundert umgeſchaut, wie Epimenides.
Aus natuͤrlich kraͤftigem Jnſtinkt hat er nun vor
allen Dingen derb um ſich geſchlagen nach denen,
ſo ihn geſtoßen und in ſeinem ſuͤßen Schlummer
ihn geſtoͤrt. Er hat auch wirklich die Unver-
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Zitationshilfe: | Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/205>, abgerufen am 15.06.2024. |