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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Werke, deren einziges oder Hauptverdienst wenigstens das Saubere ist.
Es gibt aber auch eine rohe und derbe Manier, wo mit Absicht das
Uebertriebene, Forcirte gesucht wird. Immer ist Manier eine Be-
schränkung und zeigt sich in der Unfähigkeit, gewisse Besonderheiten der
Form, es sey nun im Ganzen der Figuren (denn am besten werden
die Beispiele doch von der bildenden Kunst hergenommen) oder in ein-
zelnen Theilen zu überwinden. So gibt es Maler, die nur kurze und
stämmige, andere, die nur lang und schmal auslaufende, hagere Fi-
guren machen können; andere, die entweder nur dicke oder dünne
Beine machen oder dieselbe Form der Köpfe halsstarrig immer wieder
bringen.

Das Manierirte zeigt sich dann noch weiter in dem Verhältniß,
das den Figuren zu einander gegeben wird, vorzüglich in dem Eigensinn
der Stellungen, aber selbst in der ersten Invention und der unbieg-
samen Gewohnheit, alle Sujets von einer gewissen Seite, z. B. der
empfindsamen, der geistreichen, oder gar witzigen aufzufassen. Das
bloß Geistreiche, ebenso wie der Witz, gehört einzig zur sentimentalen
Richtung, da die Kunst im großen Styl, selbst bei Aristophanes, eigent-
lich nie witzig, sondern immer nur groß ist.

Es muß endlich noch bemerkt werden, daß die Besonderheit, welche
in dem Styl zur Allgemeinheit hinzukommt, außer der des einzelnen
Individuum, auch die der Zeit seyn kann. In diesem Sinn spricht
man von dem verschiedenen Styl verschiedener Zeitalter.

Der Styl, welchen sich der individuelle Künstler bildet, ist für ihn,
was ein Denksystem für den Philosophen im Wissen, oder für den
Menschen im Handeln ist. Winckelmann nennt ihn daher mit Recht ein
System der Kunst und sagt, daß der ältere Styl auf ein System ge-
baut gewesen.

Von den Schwierigkeiten in bedeutenden Fällen Styl und Manier
und den Uebergang des Einen zu unterscheiden, wäre viel zu sagen.
Allein dieß ist nicht unseres Amts und geht die allgemeine Wissenschaft
der Kunst nichts an.

Werke, deren einziges oder Hauptverdienſt wenigſtens das Saubere iſt.
Es gibt aber auch eine rohe und derbe Manier, wo mit Abſicht das
Uebertriebene, Forcirte geſucht wird. Immer iſt Manier eine Be-
ſchränkung und zeigt ſich in der Unfähigkeit, gewiſſe Beſonderheiten der
Form, es ſey nun im Ganzen der Figuren (denn am beſten werden
die Beiſpiele doch von der bildenden Kunſt hergenommen) oder in ein-
zelnen Theilen zu überwinden. So gibt es Maler, die nur kurze und
ſtämmige, andere, die nur lang und ſchmal auslaufende, hagere Fi-
guren machen können; andere, die entweder nur dicke oder dünne
Beine machen oder dieſelbe Form der Köpfe halsſtarrig immer wieder
bringen.

Das Manierirte zeigt ſich dann noch weiter in dem Verhältniß,
das den Figuren zu einander gegeben wird, vorzüglich in dem Eigenſinn
der Stellungen, aber ſelbſt in der erſten Invention und der unbieg-
ſamen Gewohnheit, alle Sujets von einer gewiſſen Seite, z. B. der
empfindſamen, der geiſtreichen, oder gar witzigen aufzufaſſen. Das
bloß Geiſtreiche, ebenſo wie der Witz, gehört einzig zur ſentimentalen
Richtung, da die Kunſt im großen Styl, ſelbſt bei Ariſtophanes, eigent-
lich nie witzig, ſondern immer nur groß iſt.

Es muß endlich noch bemerkt werden, daß die Beſonderheit, welche
in dem Styl zur Allgemeinheit hinzukommt, außer der des einzelnen
Individuum, auch die der Zeit ſeyn kann. In dieſem Sinn ſpricht
man von dem verſchiedenen Styl verſchiedener Zeitalter.

Der Styl, welchen ſich der individuelle Künſtler bildet, iſt für ihn,
was ein Denkſyſtem für den Philoſophen im Wiſſen, oder für den
Menſchen im Handeln iſt. Winckelmann nennt ihn daher mit Recht ein
Syſtem der Kunſt und ſagt, daß der ältere Styl auf ein Syſtem ge-
baut geweſen.

Von den Schwierigkeiten in bedeutenden Fällen Styl und Manier
und den Uebergang des Einen zu unterſcheiden, wäre viel zu ſagen.
Allein dieß iſt nicht unſeres Amts und geht die allgemeine Wiſſenſchaft
der Kunſt nichts an.

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[477/0153] Werke, deren einziges oder Hauptverdienſt wenigſtens das Saubere iſt. Es gibt aber auch eine rohe und derbe Manier, wo mit Abſicht das Uebertriebene, Forcirte geſucht wird. Immer iſt Manier eine Be- ſchränkung und zeigt ſich in der Unfähigkeit, gewiſſe Beſonderheiten der Form, es ſey nun im Ganzen der Figuren (denn am beſten werden die Beiſpiele doch von der bildenden Kunſt hergenommen) oder in ein- zelnen Theilen zu überwinden. So gibt es Maler, die nur kurze und ſtämmige, andere, die nur lang und ſchmal auslaufende, hagere Fi- guren machen können; andere, die entweder nur dicke oder dünne Beine machen oder dieſelbe Form der Köpfe halsſtarrig immer wieder bringen. Das Manierirte zeigt ſich dann noch weiter in dem Verhältniß, das den Figuren zu einander gegeben wird, vorzüglich in dem Eigenſinn der Stellungen, aber ſelbſt in der erſten Invention und der unbieg- ſamen Gewohnheit, alle Sujets von einer gewiſſen Seite, z. B. der empfindſamen, der geiſtreichen, oder gar witzigen aufzufaſſen. Das bloß Geiſtreiche, ebenſo wie der Witz, gehört einzig zur ſentimentalen Richtung, da die Kunſt im großen Styl, ſelbſt bei Ariſtophanes, eigent- lich nie witzig, ſondern immer nur groß iſt. Es muß endlich noch bemerkt werden, daß die Beſonderheit, welche in dem Styl zur Allgemeinheit hinzukommt, außer der des einzelnen Individuum, auch die der Zeit ſeyn kann. In dieſem Sinn ſpricht man von dem verſchiedenen Styl verſchiedener Zeitalter. Der Styl, welchen ſich der individuelle Künſtler bildet, iſt für ihn, was ein Denkſyſtem für den Philoſophen im Wiſſen, oder für den Menſchen im Handeln iſt. Winckelmann nennt ihn daher mit Recht ein Syſtem der Kunſt und ſagt, daß der ältere Styl auf ein Syſtem ge- baut geweſen. Von den Schwierigkeiten in bedeutenden Fällen Styl und Manier und den Uebergang des Einen zu unterſcheiden, wäre viel zu ſagen. Allein dieß iſt nicht unſeres Amts und geht die allgemeine Wiſſenſchaft der Kunſt nichts an.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/153>, abgerufen am 26.04.2024.