Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

man fast auch die Landwirthschaft, die Entbin¬
dungskunst oder Bandagenlehre philosophisch zu
machen sich bestrebt hat. Es kann nicht leicht
etwas thörichteres geben, als das Bestreben von
Rechtsgelehrten oder Aerzten, ihre Scienz mit
einem philosophischen Ansehen zu bekleiden,
während sie über die ersten Grundsätze der Phi¬
losophie in Unwissenheit sind, gleich wie wenn
jemand eine Kugel, einen Cylinder oder ein an¬
deres Solidum ausmessen wollte, dem nicht ein¬
mal der erste Satz des Euklides bekannt wäre.

Nur von der Formlosigkeit in den meisten
objectiven Wissenschaften rede ich, worinn sich
auch nicht eine Ahndung von Kunst, oder nur
die logischen Gesetze des Denkens ausdrücken,
von derjenigen Stumpfheit, die mit keinem
Gedanken sich über das Besondere erhebt, noch
sich vorzustellen vermag, daß sie, auch in dem
sinnlichen Stoff, das Unsinnliche, das Allge¬
meine darzustellen habe.

Nur das schlechthin Allgemeine ist die
Quelle der Ideen, und Ideen sind das Leben¬
dige der Wissenschaft. Wer sein besonderes

man faſt auch die Landwirthſchaft, die Entbin¬
dungskunſt oder Bandagenlehre philoſophiſch zu
machen ſich beſtrebt hat. Es kann nicht leicht
etwas thoͤrichteres geben, als das Beſtreben von
Rechtsgelehrten oder Aerzten, ihre Scienz mit
einem philoſophiſchen Anſehen zu bekleiden,
waͤhrend ſie uͤber die erſten Grundſaͤtze der Phi¬
loſophie in Unwiſſenheit ſind, gleich wie wenn
jemand eine Kugel, einen Cylinder oder ein an¬
deres Solidum ausmeſſen wollte, dem nicht ein¬
mal der erſte Satz des Euklides bekannt waͤre.

Nur von der Formloſigkeit in den meiſten
objectiven Wiſſenſchaften rede ich, worinn ſich
auch nicht eine Ahndung von Kunſt, oder nur
die logiſchen Geſetze des Denkens ausdruͤcken,
von derjenigen Stumpfheit, die mit keinem
Gedanken ſich uͤber das Beſondere erhebt, noch
ſich vorzuſtellen vermag, daß ſie, auch in dem
ſinnlichen Stoff, das Unſinnliche, das Allge¬
meine darzuſtellen habe.

Nur das ſchlechthin Allgemeine iſt die
Quelle der Ideen, und Ideen ſind das Leben¬
dige der Wiſſenſchaft. Wer ſein beſonderes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0051" n="42"/>
man fa&#x017F;t auch die Landwirth&#x017F;chaft, die Entbin¬<lb/>
dungskun&#x017F;t oder Bandagenlehre philo&#x017F;ophi&#x017F;ch zu<lb/>
machen &#x017F;ich be&#x017F;trebt hat. Es kann nicht leicht<lb/>
etwas tho&#x0364;richteres geben, als das Be&#x017F;treben von<lb/>
Rechtsgelehrten oder Aerzten, ihre Scienz mit<lb/>
einem philo&#x017F;ophi&#x017F;chen An&#x017F;ehen zu bekleiden,<lb/>
wa&#x0364;hrend &#x017F;ie u&#x0364;ber die er&#x017F;ten Grund&#x017F;a&#x0364;tze der Phi¬<lb/>
lo&#x017F;ophie in Unwi&#x017F;&#x017F;enheit &#x017F;ind, gleich wie wenn<lb/>
jemand eine Kugel, einen Cylinder oder ein an¬<lb/>
deres Solidum ausme&#x017F;&#x017F;en wollte, dem nicht ein¬<lb/>
mal der er&#x017F;te Satz des Euklides bekannt wa&#x0364;re.</p><lb/>
        <p>Nur von der Formlo&#x017F;igkeit in den mei&#x017F;ten<lb/>
objectiven Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften rede ich, worinn &#x017F;ich<lb/>
auch nicht eine Ahndung von Kun&#x017F;t, oder nur<lb/>
die logi&#x017F;chen Ge&#x017F;etze des Denkens ausdru&#x0364;cken,<lb/>
von derjenigen Stumpfheit, die mit keinem<lb/>
Gedanken &#x017F;ich u&#x0364;ber das Be&#x017F;ondere erhebt, noch<lb/>
&#x017F;ich vorzu&#x017F;tellen vermag, daß &#x017F;ie, auch in dem<lb/>
&#x017F;innlichen Stoff, das Un&#x017F;innliche, das Allge¬<lb/>
meine darzu&#x017F;tellen habe.</p><lb/>
        <p>Nur das &#x017F;chlechthin Allgemeine i&#x017F;t die<lb/>
Quelle der Ideen, und Ideen &#x017F;ind das Leben¬<lb/>
dige der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Wer &#x017F;ein be&#x017F;onderes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0051] man faſt auch die Landwirthſchaft, die Entbin¬ dungskunſt oder Bandagenlehre philoſophiſch zu machen ſich beſtrebt hat. Es kann nicht leicht etwas thoͤrichteres geben, als das Beſtreben von Rechtsgelehrten oder Aerzten, ihre Scienz mit einem philoſophiſchen Anſehen zu bekleiden, waͤhrend ſie uͤber die erſten Grundſaͤtze der Phi¬ loſophie in Unwiſſenheit ſind, gleich wie wenn jemand eine Kugel, einen Cylinder oder ein an¬ deres Solidum ausmeſſen wollte, dem nicht ein¬ mal der erſte Satz des Euklides bekannt waͤre. Nur von der Formloſigkeit in den meiſten objectiven Wiſſenſchaften rede ich, worinn ſich auch nicht eine Ahndung von Kunſt, oder nur die logiſchen Geſetze des Denkens ausdruͤcken, von derjenigen Stumpfheit, die mit keinem Gedanken ſich uͤber das Beſondere erhebt, noch ſich vorzuſtellen vermag, daß ſie, auch in dem ſinnlichen Stoff, das Unſinnliche, das Allge¬ meine darzuſtellen habe. Nur das ſchlechthin Allgemeine iſt die Quelle der Ideen, und Ideen ſind das Leben¬ dige der Wiſſenſchaft. Wer ſein beſonderes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/51
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/51>, abgerufen am 27.04.2024.