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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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wirklichen Vergnügens: Springen und Jubeln, Tanzen und psc_085.002
Singen, aber auf höherer Stufe und vermehrt, verdeutlicht psc_085.003
durch eine symbolische Handlung. Und vermuthlich ist auch die psc_085.004
dritte Äußerung des Vergnügens, das Lachen, damit verbunden: psc_085.005
vermuthlich lachen diese Menschen auch im Vorgefühl psc_085.006
des Vergnügens.

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Jedenfalls waren wohl, wie wir schon vermutheten, die psc_085.008
phallischen Lieder der Griechen ähnlich, und in diesen sieht psc_085.009
Aristoteles den Keim der Spottlieder und Komödien. Jn psc_085.010
den Komödien, z. B. den aristophanischen, ist das phallische psc_085.011
Element nicht gering und wir erkennen darin ein Urelement psc_085.012
des Komischen. Ein solches Urelement ist natürlich auch psc_085.013
vorhanden in dem geschickt Nachahmenden, auch wohl übertreibend psc_085.014
Nachahmenden, d. h. Carikirenden, dem Possenreißer: psc_085.015
Vergnügen, Lachen -- das bleibt der Zweck. Erinnern psc_085.016
wir uns an die deutsche Fastnacht, wie sie im 15. Jahrhundert psc_085.017
in Nürnberg gefeiert wurde: daß die Sitte erlaubte sich psc_085.018
zu dieser Zeit in aller Art Unanständigkeit zu ergehen, das psc_085.019
war eine große Lust und galt als ästhetischer Genuß. Da psc_085.020
haben wir das Alljährliche in der Wiederkehr der Festzeit, psc_085.021
wo der natürliche uncivilisirte Mensch losgebunden war und psc_085.022
die Fesseln der Scham abgestreift wurden. Das Gesetz hilft psc_085.023
der Natur nach: man dämmt die Zügellosigkeit ein, indem psc_085.024
man sie einmal des Jahres gestattet. Das ist alles ganz psc_085.025
ähnlich wie bei dem australischen Fest, nur daß bei diesem psc_085.026
sich alles ausschließlich um den Liebesgenuß dreht.

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Halten wir aus diesem allem fest, daß, so weit wir bis

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Singen, aber auf höherer Stufe und vermehrt, verdeutlicht psc_085.003
durch eine symbolische Handlung. Und vermuthlich ist auch die psc_085.004
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vermuthlich lachen diese Menschen auch im Vorgefühl psc_085.006
des Vergnügens.

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in Nürnberg gefeiert wurde: daß die Sitte erlaubte sich psc_085.018
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haben wir das Alljährliche in der Wiederkehr der Festzeit, psc_085.021
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ähnlich wie bei dem australischen Fest, nur daß bei diesem psc_085.026
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[85/0101] psc_085.001 wirklichen Vergnügens: Springen und Jubeln, Tanzen und psc_085.002 Singen, aber auf höherer Stufe und vermehrt, verdeutlicht psc_085.003 durch eine symbolische Handlung. Und vermuthlich ist auch die psc_085.004 dritte Äußerung des Vergnügens, das Lachen, damit verbunden: psc_085.005 vermuthlich lachen diese Menschen auch im Vorgefühl psc_085.006 des Vergnügens. psc_085.007   Jedenfalls waren wohl, wie wir schon vermutheten, die psc_085.008 phallischen Lieder der Griechen ähnlich, und in diesen sieht psc_085.009 Aristoteles den Keim der Spottlieder und Komödien. Jn psc_085.010 den Komödien, z. B. den aristophanischen, ist das phallische psc_085.011 Element nicht gering und wir erkennen darin ein Urelement psc_085.012 des Komischen. Ein solches Urelement ist natürlich auch psc_085.013 vorhanden in dem geschickt Nachahmenden, auch wohl übertreibend psc_085.014 Nachahmenden, d. h. Carikirenden, dem Possenreißer: psc_085.015 Vergnügen, Lachen — das bleibt der Zweck. Erinnern psc_085.016 wir uns an die deutsche Fastnacht, wie sie im 15. Jahrhundert psc_085.017 in Nürnberg gefeiert wurde: daß die Sitte erlaubte sich psc_085.018 zu dieser Zeit in aller Art Unanständigkeit zu ergehen, das psc_085.019 war eine große Lust und galt als ästhetischer Genuß. Da psc_085.020 haben wir das Alljährliche in der Wiederkehr der Festzeit, psc_085.021 wo der natürliche uncivilisirte Mensch losgebunden war und psc_085.022 die Fesseln der Scham abgestreift wurden. Das Gesetz hilft psc_085.023 der Natur nach: man dämmt die Zügellosigkeit ein, indem psc_085.024 man sie einmal des Jahres gestattet. Das ist alles ganz psc_085.025 ähnlich wie bei dem australischen Fest, nur daß bei diesem psc_085.026 sich alles ausschließlich um den Liebesgenuß dreht. psc_085.027   Halten wir aus diesem allem fest, daß, so weit wir bis

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/101>, abgerufen am 26.04.2024.