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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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zusammenfaßt (Kunst und Alterthum 6, 1, 1-7; psc_206.002
Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe 1, 408; Hempel psc_206.003
29, 223) -- höchst aufschlußreich und anregend.

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Diese drei Welten sind die Stoffgebiete. Jch nenne sie psc_206.005
einfach: die äußere Welt; die innere Welt; die dritte Welt. psc_206.006
Goethes Terminologie ist etwas anders:

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1) Die äußere; Goethe sagt: "die physische, und zwar psc_206.008
erstlich die nächste, wozu die dargestellten Personen gehören psc_206.009
und die sie umgiebt; .. zweitens die entferntere Welt, wozu psc_206.010
ich die ganze Natur rechne";

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2) Die innere; Goethe sagt: "die sittliche";

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3) Die dritte Welt; Goethe sagt: "die Welt der Phantasien, psc_206.013
Ahnungen, Erscheinungen, Zufälle und Schicksale." psc_206.014
Das ganze Gebiet religiöser Anschauungen ist hierher gehörig. psc_206.015
Es versteht sich, daß diese Welt an die sinnliche, d. h. psc_206.016
äußere herangebracht werden muß, "wobei denn für die psc_206.017
Modernen eine besondere Schwierigkeit entsteht, weil wir für psc_206.018
die Wundergeschöpfe, Götter, Wahrsager und Orakel der psc_206.019
Alten, so sehr es zu wünschen wäre, nicht leicht Ersatz psc_206.020
finden".

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Goethe deutet aber schon selbst auf Ersatz hin: Ahnungen, psc_206.022
Erscheinungen, Zufälle, Schicksale -- das Gebiet des psc_206.023
Aberglaubens. Der Dichter braucht sich nicht ganz auf den psc_206.024
Boden des Aberglaubens zu stellen; aber wie es in der psc_206.025
Natur selbst vorkommt, daß scheinbare Bestätigungen eintreten, psc_206.026
so darf er es auch halten: Träume, die zufällig eintreffen psc_206.027
u. s. w. Die Welt des Wahns mit ihrem Schwanken psc_206.028
zwischen scheinbarer Berechtigung und rationeller Unberechtigung

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zusammenfaßt (Kunst und Alterthum 6, 1, 1–7; psc_206.002
Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe 1, 408; Hempel psc_206.003
29, 223) — höchst aufschlußreich und anregend.

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  Diese drei Welten sind die Stoffgebiete. Jch nenne sie psc_206.005
einfach: die äußere Welt; die innere Welt; die dritte Welt. psc_206.006
Goethes Terminologie ist etwas anders:

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  1) Die äußere; Goethe sagt: „die physische, und zwar psc_206.008
erstlich die nächste, wozu die dargestellten Personen gehören psc_206.009
und die sie umgiebt; .. zweitens die entferntere Welt, wozu psc_206.010
ich die ganze Natur rechne“;

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  2) Die innere; Goethe sagt: „die sittliche“;

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  3) Die dritte Welt; Goethe sagt: „die Welt der Phantasien, psc_206.013
Ahnungen, Erscheinungen, Zufälle und Schicksale.“ psc_206.014
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Es versteht sich, daß diese Welt an die sinnliche, d. h. psc_206.016
äußere herangebracht werden muß, „wobei denn für die psc_206.017
Modernen eine besondere Schwierigkeit entsteht, weil wir für psc_206.018
die Wundergeschöpfe, Götter, Wahrsager und Orakel der psc_206.019
Alten, so sehr es zu wünschen wäre, nicht leicht Ersatz psc_206.020
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  Goethe deutet aber schon selbst auf Ersatz hin: Ahnungen, psc_206.022
Erscheinungen, Zufälle, Schicksale — das Gebiet des psc_206.023
Aberglaubens. Der Dichter braucht sich nicht ganz auf den psc_206.024
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Natur selbst vorkommt, daß scheinbare Bestätigungen eintreten, psc_206.026
so darf er es auch halten: Träume, die zufällig eintreffen psc_206.027
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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/222>, abgerufen am 26.04.2024.