Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

psc_062.001
Fragen überhaupt entfremdet; seit einiger Zeit aber führen psc_062.002
Untersuchungen über den Stil bestimmter Dichter immer psc_062.003
mehr wieder dazu zurück.

psc_062.004

Und wenn die Philologie ästhetischen Fragen nicht sehr psc_062.005
geneigt war, so hielt sie doch eine ziemlich entschiedene ästhetische psc_062.006
Tendenz fast instinctiv inne, worin eine Neuerung psc_062.007
gegenüber aller früheren Poetik und Aesthetik lag und zugleich psc_062.008
eine gewisse Fortführung der Herderschen Art, Poesie psc_062.009
anzusehen.

psc_062.010

Die frühere Poetik und Aesthetik war principiell parteiisch. psc_062.011
Die Philologie hatte die Tendenz unparteiisch zu sein.

psc_062.012

Jene suchte das wahre Epos, die wahre Lyrik, das wahre psc_062.013
Drama. Diese suchte verschiedenen Arten des Epos, der Lyrik, psc_062.014
des Dramas gerecht zu werden.

psc_062.015

Jene verglich um vorzuziehen und zu verwerfen, diese psc_062.016
verglich um Verwandtschaft und Eigenthümlichkeit schärfer zu psc_062.017
erfassen und perhorrescirte z. B. Vergleichungen zwischen psc_062.018
Homer und den Nibelungen, die auf einen Vorzug des Homer psc_062.019
hinausliefen.

psc_062.020

Sucht man mit dieser Tendenz der Philologie Ernst zu psc_062.021
machen und eine Poetik aufzubauen, worin dieselbe vollständig psc_062.022
befriedigt wäre, so scheint man damit allerdings die Hand psc_062.023
an ein aussichtsvolles Unternehmen zu legen, ja einer Richtung psc_062.024
zum Durchbruch zu verhelfen, welche schon die frühere psc_062.025
Aesthetik nicht abwehren konnte.

psc_062.026

Tritt man nun an ein Buch wie die "Poetik, Rhetorik psc_062.027
und Stilistik" von W. Wackernagel (Halle 1873) heran, so

psc_062.001
Fragen überhaupt entfremdet; seit einiger Zeit aber führen psc_062.002
Untersuchungen über den Stil bestimmter Dichter immer psc_062.003
mehr wieder dazu zurück.

psc_062.004

  Und wenn die Philologie ästhetischen Fragen nicht sehr psc_062.005
geneigt war, so hielt sie doch eine ziemlich entschiedene ästhetische psc_062.006
Tendenz fast instinctiv inne, worin eine Neuerung psc_062.007
gegenüber aller früheren Poetik und Aesthetik lag und zugleich psc_062.008
eine gewisse Fortführung der Herderschen Art, Poesie psc_062.009
anzusehen.

psc_062.010

  Die frühere Poetik und Aesthetik war principiell parteiisch. psc_062.011
Die Philologie hatte die Tendenz unparteiisch zu sein.

psc_062.012

  Jene suchte das wahre Epos, die wahre Lyrik, das wahre psc_062.013
Drama. Diese suchte verschiedenen Arten des Epos, der Lyrik, psc_062.014
des Dramas gerecht zu werden.

psc_062.015

  Jene verglich um vorzuziehen und zu verwerfen, diese psc_062.016
verglich um Verwandtschaft und Eigenthümlichkeit schärfer zu psc_062.017
erfassen und perhorrescirte z. B. Vergleichungen zwischen psc_062.018
Homer und den Nibelungen, die auf einen Vorzug des Homer psc_062.019
hinausliefen.

psc_062.020

  Sucht man mit dieser Tendenz der Philologie Ernst zu psc_062.021
machen und eine Poetik aufzubauen, worin dieselbe vollständig psc_062.022
befriedigt wäre, so scheint man damit allerdings die Hand psc_062.023
an ein aussichtsvolles Unternehmen zu legen, ja einer Richtung psc_062.024
zum Durchbruch zu verhelfen, welche schon die frühere psc_062.025
Aesthetik nicht abwehren konnte.

psc_062.026

  Tritt man nun an ein Buch wie die „Poetik, Rhetorik psc_062.027
und Stilistik“ von W. Wackernagel (Halle 1873) heran, so

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0078" n="62"/><lb n="psc_062.001"/>
Fragen überhaupt entfremdet; seit einiger Zeit aber führen <lb n="psc_062.002"/>
Untersuchungen über den Stil bestimmter Dichter immer <lb n="psc_062.003"/>
mehr wieder dazu zurück.</p>
          <lb n="psc_062.004"/>
          <p>  Und wenn die Philologie ästhetischen Fragen nicht sehr <lb n="psc_062.005"/>
geneigt war, so hielt sie doch eine ziemlich entschiedene ästhetische <lb n="psc_062.006"/>
Tendenz fast instinctiv inne, worin eine Neuerung <lb n="psc_062.007"/>
gegenüber aller früheren Poetik und Aesthetik lag und zugleich <lb n="psc_062.008"/>
eine gewisse Fortführung der Herderschen Art, Poesie <lb n="psc_062.009"/>
anzusehen.</p>
          <lb n="psc_062.010"/>
          <p>  Die frühere Poetik und Aesthetik war principiell parteiisch. <lb n="psc_062.011"/>
Die Philologie hatte die Tendenz unparteiisch zu sein.</p>
          <lb n="psc_062.012"/>
          <p>  Jene suchte das wahre Epos, die wahre Lyrik, das wahre <lb n="psc_062.013"/>
Drama. Diese suchte verschiedenen Arten des Epos, der Lyrik, <lb n="psc_062.014"/>
des Dramas gerecht zu werden.</p>
          <lb n="psc_062.015"/>
          <p>  Jene verglich um vorzuziehen und zu verwerfen, diese <lb n="psc_062.016"/>
verglich um Verwandtschaft und Eigenthümlichkeit schärfer zu <lb n="psc_062.017"/>
erfassen und perhorrescirte z. B. Vergleichungen zwischen <lb n="psc_062.018"/>
Homer und den Nibelungen, die auf einen Vorzug des Homer <lb n="psc_062.019"/>
hinausliefen.</p>
          <lb n="psc_062.020"/>
          <p>  Sucht man mit dieser Tendenz der Philologie Ernst zu <lb n="psc_062.021"/>
machen und eine Poetik aufzubauen, worin dieselbe vollständig <lb n="psc_062.022"/>
befriedigt wäre, so scheint man damit allerdings die Hand <lb n="psc_062.023"/>
an ein aussichtsvolles Unternehmen zu legen, ja einer Richtung <lb n="psc_062.024"/>
zum Durchbruch zu verhelfen, welche schon die frühere <lb n="psc_062.025"/>
Aesthetik nicht abwehren konnte.</p>
          <lb n="psc_062.026"/>
          <p>  Tritt man nun an ein Buch wie die &#x201E;Poetik, Rhetorik <lb n="psc_062.027"/>
und Stilistik&#x201C; von W. Wackernagel (Halle 1873) heran, so
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0078] psc_062.001 Fragen überhaupt entfremdet; seit einiger Zeit aber führen psc_062.002 Untersuchungen über den Stil bestimmter Dichter immer psc_062.003 mehr wieder dazu zurück. psc_062.004   Und wenn die Philologie ästhetischen Fragen nicht sehr psc_062.005 geneigt war, so hielt sie doch eine ziemlich entschiedene ästhetische psc_062.006 Tendenz fast instinctiv inne, worin eine Neuerung psc_062.007 gegenüber aller früheren Poetik und Aesthetik lag und zugleich psc_062.008 eine gewisse Fortführung der Herderschen Art, Poesie psc_062.009 anzusehen. psc_062.010   Die frühere Poetik und Aesthetik war principiell parteiisch. psc_062.011 Die Philologie hatte die Tendenz unparteiisch zu sein. psc_062.012   Jene suchte das wahre Epos, die wahre Lyrik, das wahre psc_062.013 Drama. Diese suchte verschiedenen Arten des Epos, der Lyrik, psc_062.014 des Dramas gerecht zu werden. psc_062.015   Jene verglich um vorzuziehen und zu verwerfen, diese psc_062.016 verglich um Verwandtschaft und Eigenthümlichkeit schärfer zu psc_062.017 erfassen und perhorrescirte z. B. Vergleichungen zwischen psc_062.018 Homer und den Nibelungen, die auf einen Vorzug des Homer psc_062.019 hinausliefen. psc_062.020   Sucht man mit dieser Tendenz der Philologie Ernst zu psc_062.021 machen und eine Poetik aufzubauen, worin dieselbe vollständig psc_062.022 befriedigt wäre, so scheint man damit allerdings die Hand psc_062.023 an ein aussichtsvolles Unternehmen zu legen, ja einer Richtung psc_062.024 zum Durchbruch zu verhelfen, welche schon die frühere psc_062.025 Aesthetik nicht abwehren konnte. psc_062.026   Tritt man nun an ein Buch wie die „Poetik, Rhetorik psc_062.027 und Stilistik“ von W. Wackernagel (Halle 1873) heran, so

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/78
Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/78>, abgerufen am 27.04.2024.