Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

tasienwelt verschlossen, war er sehr oft ein Fremd¬
ling in der wirklichen -- und weil er wohl wußte,
wie schlecht er beobachtete, so verbot er sich jedes Ur¬
theil, und übertrieb die Gerechtigkeit gegen frem¬
des. Niemand war mehr dazu gebohren, sich be¬
herrschen zu lassen, ohne schwach zu seyn. Dabey
war er unerschrocken und zuverlässig, sobald er
einmal überzeugt war, und besaß gleich großen
Muth, ein erkanntes Vorurtheil zu bekämpfen und
für ein anderes zu sterben.

Als der dritte Prinz seines Hauses hatte er kei¬
ne wahrscheinliche Aussicht zur Regierung. Sein
Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leidenschaften
hatten eine andre Richtung genommen.

Zufrieden von keinem fremden Willen abzuhän¬
gen, drang er den seinigen niemand zum Gesetze
auf; die geräuschlose Ruhe eines zwanglosen Pri¬
vatlebens begränzte alle seine Wünsche. Er las
viel, doch ohne Wahl. Eine nachlässige Erziehung
und frühe Kriegsdienste hatten seinen Geist nicht zur
Reife kommen lassen. Alle Kenntnisse die er nach¬
her schöpfte, vermehrten nur das verworrene Chaos
seiner Begriffe, weil sie auf keinen festen Grund
gebauet waren.

Er war Protestant, wie seine ganze Familie --
durch Geburt, nicht nach Untersuchung, die er nie
angestellt hatte, ob er gleich in einer Epoche seines
Lebens, Schwärmer darin gewesen war. Macon
ist er, so viel ich weiß, nie geworden.


Eines
A 3

taſienwelt verſchloſſen, war er ſehr oft ein Fremd¬
ling in der wirklichen — und weil er wohl wußte,
wie ſchlecht er beobachtete, ſo verbot er ſich jedes Ur¬
theil, und übertrieb die Gerechtigkeit gegen frem¬
des. Niemand war mehr dazu gebohren, ſich be¬
herrſchen zu laſſen, ohne ſchwach zu ſeyn. Dabey
war er unerſchrocken und zuverläſſig, ſobald er
einmal überzeugt war, und beſaß gleich großen
Muth, ein erkanntes Vorurtheil zu bekämpfen und
für ein anderes zu ſterben.

Als der dritte Prinz ſeines Hauſes hatte er kei¬
ne wahrſcheinliche Ausſicht zur Regierung. Sein
Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leidenſchaften
hatten eine andre Richtung genommen.

Zufrieden von keinem fremden Willen abzuhän¬
gen, drang er den ſeinigen niemand zum Geſetze
auf; die geräuſchloſe Ruhe eines zwangloſen Pri¬
vatlebens begränzte alle ſeine Wünſche. Er las
viel, doch ohne Wahl. Eine nachläſſige Erziehung
und frühe Kriegsdienſte hatten ſeinen Geiſt nicht zur
Reife kommen laſſen. Alle Kenntniſſe die er nach¬
her ſchöpfte, vermehrten nur das verworrene Chaos
ſeiner Begriffe, weil ſie auf keinen feſten Grund
gebauet waren.

Er war Proteſtant, wie ſeine ganze Familie —
durch Geburt, nicht nach Unterſuchung, die er nie
angeſtellt hatte, ob er gleich in einer Epoche ſeines
Lebens, Schwärmer darin geweſen war. Maçon
iſt er, ſo viel ich weiß, nie geworden.


Eines
A 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0013" n="5"/>
ta&#x017F;ienwelt ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, war er &#x017F;ehr oft ein Fremd¬<lb/>
ling in der wirklichen &#x2014; und weil er wohl wußte,<lb/>
wie &#x017F;chlecht er beobachtete, &#x017F;o verbot er &#x017F;ich jedes Ur¬<lb/>
theil, und übertrieb die Gerechtigkeit gegen frem¬<lb/>
des. Niemand war mehr dazu gebohren, &#x017F;ich be¬<lb/>
herr&#x017F;chen zu la&#x017F;&#x017F;en, ohne &#x017F;chwach zu &#x017F;eyn. Dabey<lb/>
war er uner&#x017F;chrocken und zuverlä&#x017F;&#x017F;ig, &#x017F;obald er<lb/>
einmal überzeugt war, und be&#x017F;aß gleich großen<lb/>
Muth, ein erkanntes Vorurtheil zu bekämpfen und<lb/>
für ein anderes zu &#x017F;terben.</p><lb/>
          <p>Als der dritte Prinz &#x017F;eines Hau&#x017F;es hatte er kei¬<lb/>
ne wahr&#x017F;cheinliche Aus&#x017F;icht zur Regierung. Sein<lb/>
Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leiden&#x017F;chaften<lb/>
hatten eine andre Richtung genommen.</p><lb/>
          <p>Zufrieden von keinem fremden Willen abzuhän¬<lb/>
gen, drang er den &#x017F;einigen niemand zum Ge&#x017F;etze<lb/>
auf; die geräu&#x017F;chlo&#x017F;e Ruhe eines zwanglo&#x017F;en Pri¬<lb/>
vatlebens begränzte alle &#x017F;eine Wün&#x017F;che. Er las<lb/>
viel, doch ohne Wahl. Eine nachlä&#x017F;&#x017F;ige Erziehung<lb/>
und frühe Kriegsdien&#x017F;te hatten &#x017F;einen Gei&#x017F;t nicht zur<lb/>
Reife kommen la&#x017F;&#x017F;en. Alle Kenntni&#x017F;&#x017F;e die er nach¬<lb/>
her &#x017F;chöpfte, vermehrten nur das verworrene Chaos<lb/>
&#x017F;einer Begriffe, weil &#x017F;ie auf keinen fe&#x017F;ten Grund<lb/>
gebauet waren.</p><lb/>
          <p>Er war Prote&#x017F;tant, wie &#x017F;eine ganze Familie &#x2014;<lb/>
durch Geburt, nicht nach Unter&#x017F;uchung, die er nie<lb/>
ange&#x017F;tellt hatte, ob er gleich in einer Epoche &#x017F;eines<lb/>
Lebens, Schwärmer darin gewe&#x017F;en war. Ma<hi rendition="#aq">ç</hi>on<lb/>
i&#x017F;t er, &#x017F;o viel ich weiß, nie geworden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="catch">Eines<lb/></fw>
          <fw place="bottom" type="sig">A 3<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0013] taſienwelt verſchloſſen, war er ſehr oft ein Fremd¬ ling in der wirklichen — und weil er wohl wußte, wie ſchlecht er beobachtete, ſo verbot er ſich jedes Ur¬ theil, und übertrieb die Gerechtigkeit gegen frem¬ des. Niemand war mehr dazu gebohren, ſich be¬ herrſchen zu laſſen, ohne ſchwach zu ſeyn. Dabey war er unerſchrocken und zuverläſſig, ſobald er einmal überzeugt war, und beſaß gleich großen Muth, ein erkanntes Vorurtheil zu bekämpfen und für ein anderes zu ſterben. Als der dritte Prinz ſeines Hauſes hatte er kei¬ ne wahrſcheinliche Ausſicht zur Regierung. Sein Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leidenſchaften hatten eine andre Richtung genommen. Zufrieden von keinem fremden Willen abzuhän¬ gen, drang er den ſeinigen niemand zum Geſetze auf; die geräuſchloſe Ruhe eines zwangloſen Pri¬ vatlebens begränzte alle ſeine Wünſche. Er las viel, doch ohne Wahl. Eine nachläſſige Erziehung und frühe Kriegsdienſte hatten ſeinen Geiſt nicht zur Reife kommen laſſen. Alle Kenntniſſe die er nach¬ her ſchöpfte, vermehrten nur das verworrene Chaos ſeiner Begriffe, weil ſie auf keinen feſten Grund gebauet waren. Er war Proteſtant, wie ſeine ganze Familie — durch Geburt, nicht nach Unterſuchung, die er nie angeſtellt hatte, ob er gleich in einer Epoche ſeines Lebens, Schwärmer darin geweſen war. Maçon iſt er, ſo viel ich weiß, nie geworden. Eines A 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/13
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/13>, abgerufen am 15.10.2024.