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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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gleichgültig sind. -- Und wer wird dieses leug¬
nen wollen? Der Dolchstich, der das Leben eines
Heinrichs IV. und eines Domitians endigt, sind
beyde ganz die nehmliche Handlung."

Recht, aber die Motive --

"Die Motive also bestimmen die moralische
Handlung. Und woraus bestehen die Motive?"

Aus Vorstellungen.

"Und was nennen Sie Vorstellungen?"

Innre Handlungen oder Thätigkeiten des den¬
kenden Wesens, die äußern Thätigkeiten corre¬
spondiren.

"Eine moralische Handlung ist also eine Folge
innrer Thätigkeiten, welche äußern Veränderun¬
gen correspondiren?"

Ganz richtig.

"Wenn ich also sage, die Begebenheit ABC
ist eine moralische Handlung, so heißt dieß so viel,
als der Reihe äußrer Veränderungen, welche diese
Begebenheit ABC ausmachen, ist eine Reihe inn¬
rer Veränderungen abc vorhergegangen?"

So ist es.

"Die Handlungen abc waren also bereits be¬
schlossen, als die Handlungen ABC anfingen."

Nothwendig.

"Wenn also ABC auch nicht angefangen hätte,
so wäre abc darum nicht weniger gewesen. War
nun die Moralität in abc enthalten, so blieb sie
auch, wenn wir ABC ganz vertilgen."

Ich verstehe Sie, gnädigster Herr -- und
so wäre dasjenige, was ich für das erste Glied

in
d. Geisterseher. K

gleichgültig ſind. — Und wer wird dieſes leug¬
nen wollen? Der Dolchſtich, der das Leben eines
Heinrichs IV. und eines Domitians endigt, ſind
beyde ganz die nehmliche Handlung.“

Recht, aber die Motive —

„Die Motive alſo beſtimmen die moraliſche
Handlung. Und woraus beſtehen die Motive?“

Aus Vorſtellungen.

„Und was nennen Sie Vorſtellungen?“

Innre Handlungen oder Thätigkeiten des den¬
kenden Weſens, die äußern Thätigkeiten corre¬
ſpondiren.

„Eine moraliſche Handlung iſt alſo eine Folge
innrer Thätigkeiten, welche äußern Veränderun¬
gen correſpondiren?“

Ganz richtig.

„Wenn ich alſo ſage, die Begebenheit ABC
iſt eine moraliſche Handlung, ſo heißt dieß ſo viel,
als der Reihe äußrer Veränderungen, welche dieſe
Begebenheit ABC ausmachen, iſt eine Reihe inn¬
rer Veränderungen abc vorhergegangen?“

So iſt es.

„Die Handlungen abc waren alſo bereits be¬
ſchloſſen, als die Handlungen ABC anfingen.“

Nothwendig.

„Wenn alſo ABC auch nicht angefangen hätte,
ſo wäre abc darum nicht weniger geweſen. War
nun die Moralität in abc enthalten, ſo blieb ſie
auch, wenn wir ABC ganz vertilgen.“

Ich verſtehe Sie, gnädigſter Herr — und
ſo wäre dasjenige, was ich für das erſte Glied

in
d. Geiſterſeher. K
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[145/0153] gleichgültig ſind. — Und wer wird dieſes leug¬ nen wollen? Der Dolchſtich, der das Leben eines Heinrichs IV. und eines Domitians endigt, ſind beyde ganz die nehmliche Handlung.“ Recht, aber die Motive — „Die Motive alſo beſtimmen die moraliſche Handlung. Und woraus beſtehen die Motive?“ Aus Vorſtellungen. „Und was nennen Sie Vorſtellungen?“ Innre Handlungen oder Thätigkeiten des den¬ kenden Weſens, die äußern Thätigkeiten corre¬ ſpondiren. „Eine moraliſche Handlung iſt alſo eine Folge innrer Thätigkeiten, welche äußern Veränderun¬ gen correſpondiren?“ Ganz richtig. „Wenn ich alſo ſage, die Begebenheit ABC iſt eine moraliſche Handlung, ſo heißt dieß ſo viel, als der Reihe äußrer Veränderungen, welche dieſe Begebenheit ABC ausmachen, iſt eine Reihe inn¬ rer Veränderungen abc vorhergegangen?“ So iſt es. „Die Handlungen abc waren alſo bereits be¬ ſchloſſen, als die Handlungen ABC anfingen.“ Nothwendig. „Wenn alſo ABC auch nicht angefangen hätte, ſo wäre abc darum nicht weniger geweſen. War nun die Moralität in abc enthalten, ſo blieb ſie auch, wenn wir ABC ganz vertilgen.“ Ich verſtehe Sie, gnädigſter Herr — und ſo wäre dasjenige, was ich für das erſte Glied in d. Geiſterſeher. K

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/153>, abgerufen am 28.04.2024.