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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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keit u. s. f. in einem vorzüglich hohen Grade, und
lassen Sie ihm nur die einzige Eigenschaft, die wir
gutes Herz nennen, mangeln -- werden Sie ihn
einem andern vorziehen, der jene Eigenschaften in
einem niedrigern Grade, dieß leztere aber in seinem
größten Umfang besitzet? Unstreitig ist jener ein
weit thätigerer Mensch als dieser, und da nach
Ihnen die Thätigkeit der Kräfte den moralischen
Preis bestimmt, so würde also Ihr Urtheil für ihn
ausfallen, und mit dem gewöhnlichen Urtheil der
Menschen in einem Widerspruche sich befinden.

"Es würde unfehlbar sehr übereinstimmend
damit seyn. Ein Mensch, dessen Verstandeskräfte
in einem hohen Grade thätig sind, wird eben so
gewiß auch ein vortreffliches Herz besitzen, als er
das, was er an sich selbst liebet, an einem andern
nicht hassen kann. Wenn die Erfahrung dagegen
zu streiten scheint, so hat man entweder zu freyge¬
big von seinem Verstande, oder von moralischer
Güte zu eingeschränkt geurtheilt. Ein großer
Geist mit einem empfindenden Herzen steht in der
Ordnung der Wesen eben so hoch über dem geist¬
reichen Bösewicht, als der Dummkopf mit einem
weichen, man sagt besser weichlichen, Herzen
unter diesem stehet."

Aber ein Schwärmer, und einer von der hef¬
tigen Art, ist doch offenbar ein thätigeres Wesen,
als ein Alltagsmensch mit phlegmatischem Blut und
beschränkten Sinnen?

"Bey
K 5

keit u. ſ. f. in einem vorzüglich hohen Grade, und
laſſen Sie ihm nur die einzige Eigenſchaft, die wir
gutes Herz nennen, mangeln — werden Sie ihn
einem andern vorziehen, der jene Eigenſchaften in
einem niedrigern Grade, dieß leztere aber in ſeinem
größten Umfang beſitzet? Unſtreitig iſt jener ein
weit thätigerer Menſch als dieſer, und da nach
Ihnen die Thätigkeit der Kräfte den moraliſchen
Preis beſtimmt, ſo würde alſo Ihr Urtheil für ihn
ausfallen, und mit dem gewöhnlichen Urtheil der
Menſchen in einem Widerſpruche ſich befinden.

„Es würde unfehlbar ſehr übereinſtimmend
damit ſeyn. Ein Menſch, deſſen Verſtandeskräfte
in einem hohen Grade thätig ſind, wird eben ſo
gewiß auch ein vortreffliches Herz beſitzen, als er
das, was er an ſich ſelbſt liebet, an einem andern
nicht haſſen kann. Wenn die Erfahrung dagegen
zu ſtreiten ſcheint, ſo hat man entweder zu freyge¬
big von ſeinem Verſtande, oder von moraliſcher
Güte zu eingeſchränkt geurtheilt. Ein großer
Geiſt mit einem empfindenden Herzen ſteht in der
Ordnung der Weſen eben ſo hoch über dem geiſt¬
reichen Böſewicht, als der Dummkopf mit einem
weichen, man ſagt beſſer weichlichen, Herzen
unter dieſem ſtehet.“

Aber ein Schwärmer, und einer von der hef¬
tigen Art, iſt doch offenbar ein thätigeres Weſen,
als ein Alltagsmenſch mit phlegmatiſchem Blut und
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„Bey
K 5
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[153/0161] keit u. ſ. f. in einem vorzüglich hohen Grade, und laſſen Sie ihm nur die einzige Eigenſchaft, die wir gutes Herz nennen, mangeln — werden Sie ihn einem andern vorziehen, der jene Eigenſchaften in einem niedrigern Grade, dieß leztere aber in ſeinem größten Umfang beſitzet? Unſtreitig iſt jener ein weit thätigerer Menſch als dieſer, und da nach Ihnen die Thätigkeit der Kräfte den moraliſchen Preis beſtimmt, ſo würde alſo Ihr Urtheil für ihn ausfallen, und mit dem gewöhnlichen Urtheil der Menſchen in einem Widerſpruche ſich befinden. „Es würde unfehlbar ſehr übereinſtimmend damit ſeyn. Ein Menſch, deſſen Verſtandeskräfte in einem hohen Grade thätig ſind, wird eben ſo gewiß auch ein vortreffliches Herz beſitzen, als er das, was er an ſich ſelbſt liebet, an einem andern nicht haſſen kann. Wenn die Erfahrung dagegen zu ſtreiten ſcheint, ſo hat man entweder zu freyge¬ big von ſeinem Verſtande, oder von moraliſcher Güte zu eingeſchränkt geurtheilt. Ein großer Geiſt mit einem empfindenden Herzen ſteht in der Ordnung der Weſen eben ſo hoch über dem geiſt¬ reichen Böſewicht, als der Dummkopf mit einem weichen, man ſagt beſſer weichlichen, Herzen unter dieſem ſtehet.“ Aber ein Schwärmer, und einer von der hef¬ tigen Art, iſt doch offenbar ein thätigeres Weſen, als ein Alltagsmenſch mit phlegmatiſchem Blut und beſchränkten Sinnen? „Bey K 5

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/161>, abgerufen am 27.04.2024.