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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Seine Unruhe war schrecklich. Nichts zerstreute
ihn, nichts vermochte ihn zu fesseln. Sein gan¬
zes Wesen war in fieberischer Bewegung, für alle
Gesellschaft war er verloren, und das Uebel wuchs
in der Einsamkeit. Nun wurde er nie mehr von
Besuchen belagert, als eben in dieser Woche.
Sein naher Abschied war angekündigt, alles dräng¬
te sich herbey. Man mußte diese Menschen be¬
schäftigen, um ihre argwöhnische Aufmerksamkeit
von ihm abzuziehen; man mußte ihn beschäfti¬
gen, um seinen Geist zu zerstreuen. In diesem
Bedrängniß verfiel Civitella auf das Spiel, und
um die Menge wenigstens zu entfernen, sollte hoch
gespielt werden. Zugleich hoffte er, bey dem
Prinzen einen vorüber gehenden Geschmack an dem
Spiel zu erwecken, der diesen romanhaften
Schwung seiner Leidenschaft bald ersticken, und
den man immer in der Gewalt haben würde, ihm
wieder zu benehmen. "Die Karten, sagte Civi¬
tella, haben mich vor mancher Thorheit bewahrt,
die ich im Begriff war, zu begehen, manche wie¬
der gut gemacht, die schon begangen war. Die
Ruhe, die Vernunft, um die mich ein paar schöne
Augen brachten, habe ich oft am Pharotisch wie¬
der gefunden, und nie hatten die Weiber mehr
Gewalt über mich, als wenn mir's an Geld ge¬
brach, um zu spielen."

Ich lasse dahin gestellt seyn, in wie weit Civi¬
tella recht hatte -- aber das Mittel, worauf wir
gefallen waren, fing bald an, noch gefährlicher

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Seine Unruhe war ſchrecklich. Nichts zerſtreute
ihn, nichts vermochte ihn zu feſſeln. Sein gan¬
zes Weſen war in fieberiſcher Bewegung, für alle
Geſellſchaft war er verloren, und das Uebel wuchs
in der Einſamkeit. Nun wurde er nie mehr von
Beſuchen belagert, als eben in dieſer Woche.
Sein naher Abſchied war angekündigt, alles dräng¬
te ſich herbey. Man mußte dieſe Menſchen be¬
ſchäftigen, um ihre argwöhniſche Aufmerkſamkeit
von ihm abzuziehen; man mußte ihn beſchäfti¬
gen, um ſeinen Geiſt zu zerſtreuen. In dieſem
Bedrängniß verfiel Civitella auf das Spiel, und
um die Menge wenigſtens zu entfernen, ſollte hoch
geſpielt werden. Zugleich hoffte er, bey dem
Prinzen einen vorüber gehenden Geſchmack an dem
Spiel zu erwecken, der dieſen romanhaften
Schwung ſeiner Leidenſchaft bald erſticken, und
den man immer in der Gewalt haben würde, ihm
wieder zu benehmen. „Die Karten, ſagte Civi¬
tella, haben mich vor mancher Thorheit bewahrt,
die ich im Begriff war, zu begehen, manche wie¬
der gut gemacht, die ſchon begangen war. Die
Ruhe, die Vernunft, um die mich ein paar ſchöne
Augen brachten, habe ich oft am Pharotiſch wie¬
der gefunden, und nie hatten die Weiber mehr
Gewalt über mich, als wenn mir's an Geld ge¬
brach, um zu ſpielen.“

Ich laſſe dahin geſtellt ſeyn, in wie weit Civi¬
tella recht hatte — aber das Mittel, worauf wir
gefallen waren, fing bald an, noch gefährlicher

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[183/0191] Seine Unruhe war ſchrecklich. Nichts zerſtreute ihn, nichts vermochte ihn zu feſſeln. Sein gan¬ zes Weſen war in fieberiſcher Bewegung, für alle Geſellſchaft war er verloren, und das Uebel wuchs in der Einſamkeit. Nun wurde er nie mehr von Beſuchen belagert, als eben in dieſer Woche. Sein naher Abſchied war angekündigt, alles dräng¬ te ſich herbey. Man mußte dieſe Menſchen be¬ ſchäftigen, um ihre argwöhniſche Aufmerkſamkeit von ihm abzuziehen; man mußte ihn beſchäfti¬ gen, um ſeinen Geiſt zu zerſtreuen. In dieſem Bedrängniß verfiel Civitella auf das Spiel, und um die Menge wenigſtens zu entfernen, ſollte hoch geſpielt werden. Zugleich hoffte er, bey dem Prinzen einen vorüber gehenden Geſchmack an dem Spiel zu erwecken, der dieſen romanhaften Schwung ſeiner Leidenſchaft bald erſticken, und den man immer in der Gewalt haben würde, ihm wieder zu benehmen. „Die Karten, ſagte Civi¬ tella, haben mich vor mancher Thorheit bewahrt, die ich im Begriff war, zu begehen, manche wie¬ der gut gemacht, die ſchon begangen war. Die Ruhe, die Vernunft, um die mich ein paar ſchöne Augen brachten, habe ich oft am Pharotiſch wie¬ der gefunden, und nie hatten die Weiber mehr Gewalt über mich, als wenn mir's an Geld ge¬ brach, um zu ſpielen.“ Ich laſſe dahin geſtellt ſeyn, in wie weit Civi¬ tella recht hatte — aber das Mittel, worauf wir gefallen waren, fing bald an, noch gefährlicher zu M 4

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/191>, abgerufen am 28.04.2024.