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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Der Gegenstand kann die Dimensionen vergessen machen: man fand es nicht unschicklich, daß der Olympische Jupiter nicht aufstehen durfte, weil er das Dach eingestoßen hätte, und Herkules auf einem geschnittnen Steine erscheint noch übermenschlich groß. Über den Gegenstand können nur verkleinernde Dimensionen täuschen. Das Gemeine wird durch eine kolossale Ausführung gleichsam multiplizirt.



Wir lachen mit Recht über die Chinesen, die beym Anblick Europäischer Porträte mit Licht und Schatten, fragten, ob die Personen denn wirklich so fleckig wären? Aber würden wir es wagen, über einen alten Griechen zu lächeln, dem man ein Stück mit Rembrandschen Helldunkel gezeigt, und der in seiner Unschuld gemeynt hätte: so mahlte man wohl im Lande der Cimmerier?



Kein kräftigeres Mittel gegen niedrige Wollust als Anbetung der Schönheit. Alle höhere bildende Kunst ist daher keusch, ohne Rücksicht auf die Gegenstände; sie reinigt die Sinne, wie die Tragödie nach Aristoteles die Leidenschaften. Jhre zufälligen Wirkungen kommen hiebey nicht in Betracht, denn in schmutzigen Seelen kann selbst eine Vestalinn Begierden erregen.



Gewisse Dinge bleiben unübertroffen, weil die Bedingungen, unter denen sie erreicht werden, zu herabwürdigend sind. Wenn nicht etwa einmal ein versoffner Gastwirth wie Jan Steen ein Künstler wird,

Der Gegenstand kann die Dimensionen vergessen machen: man fand es nicht unschicklich, daß der Olympische Jupiter nicht aufstehen durfte, weil er das Dach eingestoßen haͤtte, und Herkules auf einem geschnittnen Steine erscheint noch uͤbermenschlich groß. Über den Gegenstand koͤnnen nur verkleinernde Dimensionen taͤuschen. Das Gemeine wird durch eine kolossale Ausfuͤhrung gleichsam multiplizirt.



Wir lachen mit Recht uͤber die Chinesen, die beym Anblick Europaͤischer Portraͤte mit Licht und Schatten, fragten, ob die Personen denn wirklich so fleckig waͤren? Aber wuͤrden wir es wagen, uͤber einen alten Griechen zu laͤcheln, dem man ein Stuͤck mit Rembrandschen Helldunkel gezeigt, und der in seiner Unschuld gemeynt haͤtte: so mahlte man wohl im Lande der Cimmerier?



Kein kraͤftigeres Mittel gegen niedrige Wollust als Anbetung der Schoͤnheit. Alle hoͤhere bildende Kunst ist daher keusch, ohne Ruͤcksicht auf die Gegenstaͤnde; sie reinigt die Sinne, wie die Tragoͤdie nach Aristoteles die Leidenschaften. Jhre zufaͤlligen Wirkungen kommen hiebey nicht in Betracht, denn in schmutzigen Seelen kann selbst eine Vestalinn Begierden erregen.



Gewisse Dinge bleiben unuͤbertroffen, weil die Bedingungen, unter denen sie erreicht werden, zu herabwuͤrdigend sind. Wenn nicht etwa einmal ein versoffner Gastwirth wie Jan Steen ein Kuͤnstler wird,

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[48/0237] Der Gegenstand kann die Dimensionen vergessen machen: man fand es nicht unschicklich, daß der Olympische Jupiter nicht aufstehen durfte, weil er das Dach eingestoßen haͤtte, und Herkules auf einem geschnittnen Steine erscheint noch uͤbermenschlich groß. Über den Gegenstand koͤnnen nur verkleinernde Dimensionen taͤuschen. Das Gemeine wird durch eine kolossale Ausfuͤhrung gleichsam multiplizirt. Wir lachen mit Recht uͤber die Chinesen, die beym Anblick Europaͤischer Portraͤte mit Licht und Schatten, fragten, ob die Personen denn wirklich so fleckig waͤren? Aber wuͤrden wir es wagen, uͤber einen alten Griechen zu laͤcheln, dem man ein Stuͤck mit Rembrandschen Helldunkel gezeigt, und der in seiner Unschuld gemeynt haͤtte: so mahlte man wohl im Lande der Cimmerier? Kein kraͤftigeres Mittel gegen niedrige Wollust als Anbetung der Schoͤnheit. Alle hoͤhere bildende Kunst ist daher keusch, ohne Ruͤcksicht auf die Gegenstaͤnde; sie reinigt die Sinne, wie die Tragoͤdie nach Aristoteles die Leidenschaften. Jhre zufaͤlligen Wirkungen kommen hiebey nicht in Betracht, denn in schmutzigen Seelen kann selbst eine Vestalinn Begierden erregen. Gewisse Dinge bleiben unuͤbertroffen, weil die Bedingungen, unter denen sie erreicht werden, zu herabwuͤrdigend sind. Wenn nicht etwa einmal ein versoffner Gastwirth wie Jan Steen ein Kuͤnstler wird,

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/237>, abgerufen am 16.05.2024.