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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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Bey der göttlichen Komödie geht das Brustbild des Dichters aus Wolken hervor, unter ihm die verkleinerte Misgestalt Lucifers, oberhalb ein Engel des Lichtes mit verbreiteten Fittigen und gehobnen Armen, Sterne zur Rechten und Linken. Dante ist wie immer mit dem Lorbeerkranze über der Florentinischen Mütze vorgestellt, mit sinnender Miene, den Zeigefinger der rechten Hand an die Stirn gelegt. Der stete Hang zum Grübeln und die Kämpfe eines mühevollen Lebens haben auf diesem Gesichte das Gepräge ursprünglicher Sonderbarkeit mit noch tieferen Furchen eingegraben: es ist eins von jenen, deren Aehnlichkeit nicht leicht verfehlt wird. Der Zeichner hatte zwar das Recht, es etwas jugendlicher zu halten: denn nach der Dichtung fällt Dante's Wanderung durch die Geisterreiche in sein fünf und dreyßigstes Jahr. Er hat aber mit Bedacht mehr das Alter gewählt, in welchem Dante wirklich dichtete, und dadurch nicht bloß den Gegensatz mit der Jugend Virgils und Beatricens gewonnen. Den Urheber des geheimnißvollen Werkes denkt man sich unwillkührlich mit den Zügen ernster Jahre: in ihnen erscheint das Ringen nach heiligender Wahrheit, das ihn begeisterte, aber noch nicht von den irdischen Mühsalen zur Vollendung hindurchgedrungen ist.

Daß die Figuren Dante's und seiner Begleiter, erst des Virgil, dann der Beatrice, nach der Natur der Sache so häufig wiederkommen müssen, weil an ihre Fortschritte alles übrige gereiht ist, könnte eine große Unbequemlichkeit scheinen, die Flaxman jedoch, ohne den Reichthum seiner Erfindung erschöpfen zu lassen, überwunden

Bey der goͤttlichen Komoͤdie geht das Brustbild des Dichters aus Wolken hervor, unter ihm die verkleinerte Misgestalt Lucifers, oberhalb ein Engel des Lichtes mit verbreiteten Fittigen und gehobnen Armen, Sterne zur Rechten und Linken. Dante ist wie immer mit dem Lorbeerkranze uͤber der Florentinischen Muͤtze vorgestellt, mit sinnender Miene, den Zeigefinger der rechten Hand an die Stirn gelegt. Der stete Hang zum Gruͤbeln und die Kaͤmpfe eines muͤhevollen Lebens haben auf diesem Gesichte das Gepraͤge urspruͤnglicher Sonderbarkeit mit noch tieferen Furchen eingegraben: es ist eins von jenen, deren Aehnlichkeit nicht leicht verfehlt wird. Der Zeichner hatte zwar das Recht, es etwas jugendlicher zu halten: denn nach der Dichtung faͤllt Dante's Wanderung durch die Geisterreiche in sein fuͤnf und dreyßigstes Jahr. Er hat aber mit Bedacht mehr das Alter gewaͤhlt, in welchem Dante wirklich dichtete, und dadurch nicht bloß den Gegensatz mit der Jugend Virgils und Beatricens gewonnen. Den Urheber des geheimnißvollen Werkes denkt man sich unwillkuͤhrlich mit den Zuͤgen ernster Jahre: in ihnen erscheint das Ringen nach heiligender Wahrheit, das ihn begeisterte, aber noch nicht von den irdischen Muͤhsalen zur Vollendung hindurchgedrungen ist.

Daß die Figuren Dante's und seiner Begleiter, erst des Virgil, dann der Beatrice, nach der Natur der Sache so haͤufig wiederkommen muͤssen, weil an ihre Fortschritte alles uͤbrige gereiht ist, koͤnnte eine große Unbequemlichkeit scheinen, die Flaxman jedoch, ohne den Reichthum seiner Erfindung erschoͤpfen zu lassen, uͤberwunden

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[209/0219] Bey der goͤttlichen Komoͤdie geht das Brustbild des Dichters aus Wolken hervor, unter ihm die verkleinerte Misgestalt Lucifers, oberhalb ein Engel des Lichtes mit verbreiteten Fittigen und gehobnen Armen, Sterne zur Rechten und Linken. Dante ist wie immer mit dem Lorbeerkranze uͤber der Florentinischen Muͤtze vorgestellt, mit sinnender Miene, den Zeigefinger der rechten Hand an die Stirn gelegt. Der stete Hang zum Gruͤbeln und die Kaͤmpfe eines muͤhevollen Lebens haben auf diesem Gesichte das Gepraͤge urspruͤnglicher Sonderbarkeit mit noch tieferen Furchen eingegraben: es ist eins von jenen, deren Aehnlichkeit nicht leicht verfehlt wird. Der Zeichner hatte zwar das Recht, es etwas jugendlicher zu halten: denn nach der Dichtung faͤllt Dante's Wanderung durch die Geisterreiche in sein fuͤnf und dreyßigstes Jahr. Er hat aber mit Bedacht mehr das Alter gewaͤhlt, in welchem Dante wirklich dichtete, und dadurch nicht bloß den Gegensatz mit der Jugend Virgils und Beatricens gewonnen. Den Urheber des geheimnißvollen Werkes denkt man sich unwillkuͤhrlich mit den Zuͤgen ernster Jahre: in ihnen erscheint das Ringen nach heiligender Wahrheit, das ihn begeisterte, aber noch nicht von den irdischen Muͤhsalen zur Vollendung hindurchgedrungen ist. Daß die Figuren Dante's und seiner Begleiter, erst des Virgil, dann der Beatrice, nach der Natur der Sache so haͤufig wiederkommen muͤssen, weil an ihre Fortschritte alles uͤbrige gereiht ist, koͤnnte eine große Unbequemlichkeit scheinen, die Flaxman jedoch, ohne den Reichthum seiner Erfindung erschoͤpfen zu lassen, uͤberwunden

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/219>, abgerufen am 19.05.2024.