Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

Jn Beatricens Gestalt ist die verklärte Geliebte und die Heilige verschmolzen: die himmlische Weisheit hat die Mienen einer zarten Jungfrau, der gegenüber die Runzeln in Dante's Gesicht sich erheitern. Ein Schleyer wallt ihr hinten vom Haupte bis zu den Füßen herab und verbindet sich mit einem Kleide, das um Brust und Arme anschließt, sich dann erweitert, und unten fliegend in Falten bricht, da hingegen der ganze Wurf jener männlichen Gewänder durch ein paar starke Striche bestimmt wird. Auf ähnliche Art wie Beatrice sind auch die andern weiblichen Wesen des Himmels: Matilda, die natürlichen und christlichen Tugenden, und selbst einmal die Mutter Gottes gekleidet; nur bleibt zuweilen der Schleyer weg, und die Haare fliegen oder sind in einen Wirbel gewunden. Diese Tracht ist eine glückliche Auskunft zwischen dem Bedürfniß der Zeichnung und den Foderungen des Kostums, welches für Sitten und Geist eines Zeitalters sehr mahlend seyn kann, und es hier wirklich ist: ohne nonnenhafte Verhüllung drückt sich eine so eigne Jungfräulichkeit darin aus; unmöglich könnte man eine Griechisch drappirte Frau für eine solche religiöse Grazie erkennen. Die schlanken Körper entfernen jeden irdischen Begriff, und die Formen zeichnen sich, zum Beyspiel bey dem Tanz der Tugenden um den symbolischen Wagen, auf das bescheidenste durch.

Wenn von Wundern der Leidenschaft und des Pathos die Rede ist, so wird Ugolino genannt: eine von den Darstellungen, die eigentlich weit über die Sphäre der Poesie hinauswirken, weil menschliches Gefühl die einzige Bedingung ist, um aufs tiefste von ihr erschüttert

Jn Beatricens Gestalt ist die verklaͤrte Geliebte und die Heilige verschmolzen: die himmlische Weisheit hat die Mienen einer zarten Jungfrau, der gegenuͤber die Runzeln in Dante's Gesicht sich erheitern. Ein Schleyer wallt ihr hinten vom Haupte bis zu den Fuͤßen herab und verbindet sich mit einem Kleide, das um Brust und Arme anschließt, sich dann erweitert, und unten fliegend in Falten bricht, da hingegen der ganze Wurf jener maͤnnlichen Gewaͤnder durch ein paar starke Striche bestimmt wird. Auf aͤhnliche Art wie Beatrice sind auch die andern weiblichen Wesen des Himmels: Matilda, die natuͤrlichen und christlichen Tugenden, und selbst einmal die Mutter Gottes gekleidet; nur bleibt zuweilen der Schleyer weg, und die Haare fliegen oder sind in einen Wirbel gewunden. Diese Tracht ist eine gluͤckliche Auskunft zwischen dem Beduͤrfniß der Zeichnung und den Foderungen des Kostums, welches fuͤr Sitten und Geist eines Zeitalters sehr mahlend seyn kann, und es hier wirklich ist: ohne nonnenhafte Verhuͤllung druͤckt sich eine so eigne Jungfraͤulichkeit darin aus; unmoͤglich koͤnnte man eine Griechisch drappirte Frau fuͤr eine solche religioͤse Grazie erkennen. Die schlanken Koͤrper entfernen jeden irdischen Begriff, und die Formen zeichnen sich, zum Beyspiel bey dem Tanz der Tugenden um den symbolischen Wagen, auf das bescheidenste durch.

Wenn von Wundern der Leidenschaft und des Pathos die Rede ist, so wird Ugolino genannt: eine von den Darstellungen, die eigentlich weit uͤber die Sphaͤre der Poesie hinauswirken, weil menschliches Gefuͤhl die einzige Bedingung ist, um aufs tiefste von ihr erschuͤttert

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0221" n="211"/>
          <p>Jn Beatricens Gestalt ist die verkla&#x0364;rte Geliebte und die Heilige verschmolzen: die himmlische Weisheit hat die Mienen einer zarten Jungfrau, der gegenu&#x0364;ber die Runzeln in Dante's Gesicht sich erheitern. Ein Schleyer wallt ihr hinten vom Haupte bis zu den Fu&#x0364;ßen herab und verbindet sich mit einem Kleide, das um Brust und Arme anschließt, sich dann erweitert, und unten fliegend in Falten bricht, da hingegen der ganze Wurf jener ma&#x0364;nnlichen Gewa&#x0364;nder durch ein paar starke Striche bestimmt wird. Auf a&#x0364;hnliche Art wie Beatrice sind auch die andern weiblichen Wesen des Himmels: Matilda, die natu&#x0364;rlichen und christlichen Tugenden, und selbst einmal die Mutter Gottes gekleidet; nur bleibt zuweilen der Schleyer weg, und die Haare fliegen oder sind in einen Wirbel gewunden. Diese Tracht ist eine glu&#x0364;ckliche Auskunft zwischen dem Bedu&#x0364;rfniß der Zeichnung und den Foderungen des Kostums, welches fu&#x0364;r Sitten und Geist eines Zeitalters sehr mahlend seyn kann, und es hier wirklich ist: ohne nonnenhafte Verhu&#x0364;llung dru&#x0364;ckt sich eine so eigne Jungfra&#x0364;ulichkeit darin aus; unmo&#x0364;glich ko&#x0364;nnte man eine Griechisch drappirte Frau fu&#x0364;r eine solche religio&#x0364;se Grazie erkennen. Die schlanken Ko&#x0364;rper entfernen jeden irdischen Begriff, und die Formen zeichnen sich, zum Beyspiel bey dem Tanz der Tugenden um den symbolischen Wagen, auf das bescheidenste durch.</p><lb/>
          <p>Wenn von Wundern der Leidenschaft und des Pathos die Rede ist, so wird Ugolino genannt: eine von den Darstellungen, die eigentlich weit u&#x0364;ber die Spha&#x0364;re der Poesie hinauswirken, weil menschliches Gefu&#x0364;hl die einzige Bedingung ist, um aufs tiefste von ihr erschu&#x0364;ttert
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0221] Jn Beatricens Gestalt ist die verklaͤrte Geliebte und die Heilige verschmolzen: die himmlische Weisheit hat die Mienen einer zarten Jungfrau, der gegenuͤber die Runzeln in Dante's Gesicht sich erheitern. Ein Schleyer wallt ihr hinten vom Haupte bis zu den Fuͤßen herab und verbindet sich mit einem Kleide, das um Brust und Arme anschließt, sich dann erweitert, und unten fliegend in Falten bricht, da hingegen der ganze Wurf jener maͤnnlichen Gewaͤnder durch ein paar starke Striche bestimmt wird. Auf aͤhnliche Art wie Beatrice sind auch die andern weiblichen Wesen des Himmels: Matilda, die natuͤrlichen und christlichen Tugenden, und selbst einmal die Mutter Gottes gekleidet; nur bleibt zuweilen der Schleyer weg, und die Haare fliegen oder sind in einen Wirbel gewunden. Diese Tracht ist eine gluͤckliche Auskunft zwischen dem Beduͤrfniß der Zeichnung und den Foderungen des Kostums, welches fuͤr Sitten und Geist eines Zeitalters sehr mahlend seyn kann, und es hier wirklich ist: ohne nonnenhafte Verhuͤllung druͤckt sich eine so eigne Jungfraͤulichkeit darin aus; unmoͤglich koͤnnte man eine Griechisch drappirte Frau fuͤr eine solche religioͤse Grazie erkennen. Die schlanken Koͤrper entfernen jeden irdischen Begriff, und die Formen zeichnen sich, zum Beyspiel bey dem Tanz der Tugenden um den symbolischen Wagen, auf das bescheidenste durch. Wenn von Wundern der Leidenschaft und des Pathos die Rede ist, so wird Ugolino genannt: eine von den Darstellungen, die eigentlich weit uͤber die Sphaͤre der Poesie hinauswirken, weil menschliches Gefuͤhl die einzige Bedingung ist, um aufs tiefste von ihr erschuͤttert

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/221
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/221>, abgerufen am 29.05.2024.