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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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ganz methaphysischen, läßt sich das hohe Alter
sogar historisch aus dem Gebrauch der Termino-
logie, oder etymologisch aus den zusammengesetz-
ten Worten nachweisen. Es ist eben auch eine
von den ungegründeten Voraussetzungen, daß in
der ältesten Epoche jeder Sprache kühne Bild-
lichkeit und die Fantasie allein herrsche; bei vie-
len Sprachen ist es wirklich so, aber nicht bei
allen, besonders nicht bei der indischen, die sich
zunächst und ursprünglich wohl mehr durch phi-
losophischen Tiefsinn und ruhige Klarheit aus-
zeichnet, als durch poetische Begeisterung und
Bilderfülle, so sehr sie auch der ersten fähig, und
obwohl die letzte in den schmuckreichen Gedichten
des Kalidas sogar herrschend ist.

Aber diese Poesie gehört einer ganz späten
Epoche der indischen Bildung an; je höher wir
bei dem bis jetzt bekannten in das Alterthum
hinaufgehen, je schlichter und prosaischer finden
wir die Sprache, aber freilich nicht trocken und
leblos abstract, sondern durchaus sinnvoll bedeu-
tend und schön durch die einfache Klarheit. So
ist sie in Monu's metrisch abgefaßtem Gesetzbuch,
wo die größere Alterthümlichkeit und Verschie-

ganz methaphyſiſchen, laͤßt ſich das hohe Alter
ſogar hiſtoriſch aus dem Gebrauch der Termino-
logie, oder etymologiſch aus den zuſammengeſetz-
ten Worten nachweiſen. Es iſt eben auch eine
von den ungegruͤndeten Vorausſetzungen, daß in
der aͤlteſten Epoche jeder Sprache kuͤhne Bild-
lichkeit und die Fantaſie allein herrſche; bei vie-
len Sprachen iſt es wirklich ſo, aber nicht bei
allen, beſonders nicht bei der indiſchen, die ſich
zunaͤchſt und urſpruͤnglich wohl mehr durch phi-
loſophiſchen Tiefſinn und ruhige Klarheit aus-
zeichnet, als durch poetiſche Begeiſterung und
Bilderfuͤlle, ſo ſehr ſie auch der erſten faͤhig, und
obwohl die letzte in den ſchmuckreichen Gedichten
des Kalidas ſogar herrſchend iſt.

Aber dieſe Poeſie gehoͤrt einer ganz ſpaͤten
Epoche der indiſchen Bildung an; je hoͤher wir
bei dem bis jetzt bekannten in das Alterthum
hinaufgehen, je ſchlichter und proſaiſcher finden
wir die Sprache, aber freilich nicht trocken und
leblos abſtract, ſondern durchaus ſinnvoll bedeu-
tend und ſchoͤn durch die einfache Klarheit. So
iſt ſie in Monu’s metriſch abgefaßtem Geſetzbuch,
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[69/0088] ganz methaphyſiſchen, laͤßt ſich das hohe Alter ſogar hiſtoriſch aus dem Gebrauch der Termino- logie, oder etymologiſch aus den zuſammengeſetz- ten Worten nachweiſen. Es iſt eben auch eine von den ungegruͤndeten Vorausſetzungen, daß in der aͤlteſten Epoche jeder Sprache kuͤhne Bild- lichkeit und die Fantaſie allein herrſche; bei vie- len Sprachen iſt es wirklich ſo, aber nicht bei allen, beſonders nicht bei der indiſchen, die ſich zunaͤchſt und urſpruͤnglich wohl mehr durch phi- loſophiſchen Tiefſinn und ruhige Klarheit aus- zeichnet, als durch poetiſche Begeiſterung und Bilderfuͤlle, ſo ſehr ſie auch der erſten faͤhig, und obwohl die letzte in den ſchmuckreichen Gedichten des Kalidas ſogar herrſchend iſt. Aber dieſe Poeſie gehoͤrt einer ganz ſpaͤten Epoche der indiſchen Bildung an; je hoͤher wir bei dem bis jetzt bekannten in das Alterthum hinaufgehen, je ſchlichter und proſaiſcher finden wir die Sprache, aber freilich nicht trocken und leblos abſtract, ſondern durchaus ſinnvoll bedeu- tend und ſchoͤn durch die einfache Klarheit. So iſt ſie in Monu’s metriſch abgefaßtem Geſetzbuch, wo die groͤßere Alterthuͤmlichkeit und Verſchie-

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/88>, abgerufen am 29.04.2024.